Die Wahrheit

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So langsam bekomme ich echt Angst. Papa ist so wütend, wie noch nie. Phil und Paula stehen teilnahmslos daneben und warten, bis sie ihren Einsatz haben. „Hier.", sagt Alex und übergibt das Material an Phil. Dieser kniet sich zu mir. „Okay Mira. Wir kriegen das hin.", sagt er ruhig. Ich schüttle panisch mit dem Kopf und bekomme nun Schnappatmung. „Mist, Hyperventilation.", brummt er und Alex und Paula kommen zu mir. Paula drückt ihre Hand auf mein Brustbein und drückt immer leicht, wenn ich zu schnell atme. Währenddessen sehe ich, dass Phil sich Handschuhe anzieht. „Nein, Stop!", schreie ich, so gut ich kann. Phil wartet eine Sekunde und sieht dann Papa an, der eine Geste macht, dass Phil weiter machen soll. „Phil, ich bitte dich. Mach das nicht.", flehe ich ihn an. Ich weiß, dass ich ihn das gerade sehr schwer mache. „Mira, ich weiß, dass du es nicht willst. Glaube mir aber bitte, wenn ich dir sage, dass es dir danach besser geht.", antwortet er sanft. Ich schüttle immer noch mit dem Kopf und bekomme langsam Tränen. Jetzt bleibt mir nur noch eine Möglichkeit. Die heißt ‚zappeln'. Sofort beginne ich mich am ganzen Körper zu bewegen, sodass er keine Chance hat. „Leute festhalten.", brummt Papa. Daraufhin nimmt er meinen rechten Arm und Alex meinen linken. Paula steht hinter mir und hat ihre Hände auf meinen Schultern. Phil, der vor mir kniet, hat meine Beine zwischen seine geklemmt. Das ist für mich gerade extrem schlimm. Noch nie wurde ich gegen meinen Willen behandelt. „Mach jetzt schnell.", knurrt Papa, woraufhin Phil meinen Arm aus meinem Pullover holt. Sofort schiessen allen die Wunden in die Augen. Alle halten in ihrer Position inne, bis Phil weiter macht. Jetzt habe ich auch mit dem zappeln aufgehört und lasse mich erschöpft nach hinten fallen. Ich sehe im Augenwinkel, dass Papa sich nicht bewegt, doch ich bin zu schwach, um zu fragen, was los ist. Nachdem Phil die Infusion rangehangen hat, untersucht er die Wunden, reinigt und verbindet sie. Dann sitzen wir alle stumm im Wohnzimmer.
Nach etwa einer halben Stunde seufzt Papa und stützt sich mit den Armen auf seinen Beinen ab. „Wie lange schon? Und warum?", fragt er, womit er meinen Arm meint. Alle anderen heben auch ihren Kopf und sehen mich besorgt an. „Nicht lange, nur ein Mal.", antworte ich knapp und leise. Papa nimmt besorgt und ratlos sein Kinn in die Hand und überlegt, was er sagen soll, doch es kommt nichts mehr. Jedoch ergreift Paula dann das Wort. „Mira?", fragt sie lieb. Ich sehe sie an und erkenne sofort den Schmerz in ihren Augen. „Hm?", kommt nur von mir. Sie knetet ihre Hände und rutscht etwas zu mir rüber. „Wieso sagst du denn nicht, dass es dir so schlecht geht? Wir sind doch immer für dich da, das weißt du doch.", sagt sie und legt dann ihre Hand auf mein Bein. Ich hebe ratlos die Schultern und sehe beschämend auf den Boden.
Nach einer Zeit des Schweigens, ergreife ich das Wort. „Es ist halt nicht leicht momentan.", sage ich ehrlich und merke, wie sich erste Tränen aus meinen Augen schleichen. Paula, die neben mir sitzt, legt ihren Arm beruhigend um mich und zieht mich in eine Umarmung. „Was meinst du?", fragt Papa, nun wieder etwas ruhiger. „Ich...ähm...es...also...", stammle ich vor mich hin. „Erst sortieren, dann reden.", erinnert mich Alex. Ich nicke und atme ein paar mal tief durch. Dann entscheide ich mich für die Wahrheit, und zwar die ganze Wahrheit. „Es begann vor längerer Zeit. Da habe ich gesehen, dass Jonas, wie gesagt nur dünne Mädchen folgt und dachte, ich muss dann abnehmen, um ihn zu gefallen. Außerdem habe ich vor längerer Zeit eine Nachricht von Lina bekommen, wo unsere Reitlehrerin sagt, dass ich bald den Reitverein wechseln muss, wenn ich nicht mehr herkomme. Dann fingen die Symptome an, mit der Übelkeit, den Bauchschmerzen und die Appetitlosigkeit. Ich wollte euch das nicht sagen, weil ich sonst noch länger beim Training gefehlt hätte. Womit ich auch zu kämpfen habe, ist mit euch beiden Paula und Phil. Ihr habt gesagt, dass ihr nach der Hochzeit schwanger werden wollt. Ich habe echt Angst, dass wenn ihr ein Kind bekommt, ihr weg zieht und man euch nicht mehr sieht. Ihr seid die besten und wichtigsten Menschen in meinem Leben und ich möchte das nicht verlieren. Ja und zu guter letzt hat mich das mit Alex belastet. Alex, du bist wie mein bester Freund in dieser Familie und das du mich ignorierst, hat mich schon verletzt. Irgendwann kam ich mit dem Druck nicht mehr klar und habe mich wieder selbst verletzt.", erkläre ich meine Gefühlslage ausführlich. Dann herrscht eine Weile stille. „Es tut mir leid meine süße. Hätte ich das gewusst, hätte ich mich besser um dich gekümmert.", sagt Papa und steht auf. „Komm her.", sagt er und zieht mich in seine Arme. Wie ich dieses Gefühl vermisst habe. „Ich hab dich lieb Papa.", nuschle ich ihn an die Schulter. „Und ich dich erst, meine kleine Prinzessin.", antwortet er und streicht mir beruhigend über den Rücken. Danach setzen wir uns wieder hin. „Ähm Mira. Ich denke, ich bin dir oder euch eine Erklärung nötig. Meine Abwesenheit hatte einen Grund.", sagt Alex plötzlich. Alle sehen ihn verwirrt an. „Also, ich habe jemanden kennengelernt und wir sind gerade dabei, ein paar zu werden.", sagt er glücklich. Aufgeregt stehe ich auf und springe auf ihn. „Omg wie cool. Der kleine Alex ist verliebt.", sage ich und umarme ihn. Er lacht und hebt mich dann von seinem Schoß und setzt mich wieder zurück auf die Couch. „Wer ist denn die glückliche, Kumpel? Lädst du sie mal ein?", fragt Phil und nimmt dann Paula fest in seinen Arm. „Also.", beginnt Alex und kratzt sich am Kopf. Wir alle sehen ihn abwartend an. „Meine Freundin ist Tabea.", sagt er beschämend. „Rohde?", fragt Paula plötzlich, woraufhin er nickt. „Oh wie schön.", kommt von uns allen.
Nach einigen weiteren Minuten ergreift Phil das Wort. „Mira, Paula und ich werden versuchen ein Kind zu bekommen. Jedoch musst du wissen, dass du für uns auch wie eine Tochter bist und wir dich auch immer wie eine Tochter behandeln werden. Außerdem werden wir höchstwahrscheinlich hier wohnen bleiben.", geht Phil auf meine sorge ein. Ich nicke erleichtert und so vertrage ich mich wieder mit allen.

Den Abend verbringen wir noch kurz zusammen, bis wir alle schlafen gehen. Für morgen bin ich noch einmal krankgeschrieben, da ich zum Kinderarzt muss.

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Man liest sich im nächsten Teil:)

Zwischen Himmel und HölleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt