Öffnen ist nicht einfach, doch vertrauen ist schwerer

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Verzweifelt sitze ich nun auf dem Badewannenrand und wiege die Klinge in meiner Hand hin und her. Würde es schlimm sein, es zu machen? Es ist so verdammt schwer. Ich weiß einfach nicht, wie ich das länger aushalten soll. Seufzend lege ich die Klinge wieder weg und wasche mein Gesicht mit eiskaltem Wasser. Das hilft mir zumindest etwas klare Gedanken zu bekommen. Danach folgt ein Blick in den Spiegel, der genau das aussagt, was ich fühle. Nämlich Überforderung, leere und Einsamkeit. Ich weiß selber nicht, woher diese Gefühle und Gedanken kommen, da ich momentan nichts habe, was mich belastet. Klar, das mit Jonas setzt mir ziemlich zu aber das ist normalerweise kein Grund, sich selbst zu verletzen. Es ist einfach nur so, dass ich mich spüren will und um diese leere loszuwerden.
Plötzlich klopft es. „Mira alles okay da drinnen?", hallt Alex stimme gedämpft durch die Tür. „Ähm ja, ich bin gleich fertig.", antworte ich und richte mein gespieltes Lächeln. Noch einmal tief durchatmen und rausgehen. Vor der Tür steht Alex, alleine. Das wäre meine Gelegenheit mit ihm zu reden, doch ich will erst sicher gehen, dass wir auch wirklich nicht gestört werden. „Wo sind die anderen?", frage ich unsicher und werfe einen Blick durch den Flur. „Unten. Und da bleiben sie auch. Wir beide, wir werden jetzt reden. Ich merke doch, dass du was auf dem Herzen hast, nur werden wir immer unterbrochen. Dieses Mal reden wir aber, ohne das irgendwas dazwischen kommt. Versprochen.", sagt er und führt mich in sein Zimmer, welches direkt gegenüber vom Badezimmer ist. Ich gehe zuerst rein und setze mich auf das große Bett, auf das er sich ebenfalls setzt, nachdem er die Tür abgeschlossen hat. „Also, was ist los? Was bedrückt dich?", fragt er sanft. Ich spiele nervös mit dem Saum meines Oberteils. Irgendwie fällt es mir gerade nicht mehr so leicht, darüber zu reden, deshalb hebe ich nur die Schultern. Er seufzt und legt einen Arm um meine Schultern. Ich merke, wie etwas warmes über meine Wangen läuft, was Alex mit seinem Daumen wegwischt, doch die Tränen werden schneller als er. „Komm her.", sagt er und nimmt mich nun ganz in den Arm. „Jetzt weine dich erstmal aus.", seufzt er beruhigend, was ich auch minutenlang mache. Irgendwann, nach einer gefühlten Ewigkeit, beruhige ich mich wieder und löse mich aus der Umarmung. „Geht's wieder?", fragt er besorgt, was ich durch ein Nicken kommentiere und einige Male meinen Rotz hochziehe.
„So und jetzt fangen wir nochmal in Ruhe an. Wie gehts dir im Moment?", fragt er ruhig und nimmt meine Hand in seine. „Nicht so gut.", antworte ich ehrlich. Er nickt, weil er das wahrscheinlich selber schon gemerkt hat. „Möchtest du drüber reden?", fragt er dann. Ich hebe meinen Blick und nicke leicht. „Aber du musst es für dich behalten.", sage ich mit ernster Stimme. Erst sieht er mich verwirrt an, doch dann nickt er. Ich hoffe, ich bin keine Belastung für ihn. Er wäre doch jetzt lieber bei Tabea oder? Wer will sich schon mit einer depressiven Jugendlichen auseinandersetzen? „Willst du nicht lieber zu Tabea? Sie wartet bestimmt auf dich.", sage ich deshalb unsicher. Sofort sieht er mich perplex an. „Was? Nein. Ich bin jetzt hier, weil es mir wichtig ist, wie es dir geht. Und ich bleibe solange, bis es dir besser geht und du dir den Kummer von der Seele gesprochen hast.", antwortet er. Wow. Womit habe ich ihn nur verdient. „Danke.", hauche ich und hole dann nochmal tief Luft. „Es ist so...ich weiß selber nicht wieso, aber...also...", stottere ich vor mich hin. „Lass dir Zeit und suche erstmal nach den richtigen Worten.", redet er mir dazwischen, als er meine Unsicherheit bemerkt. Ich nicke und überlege, wie ich es ihm am besten sage.
„Ich habe den Drang mich zu verletzen.", antworte ich nach einigen Sekunden leise, in der Hoffnung, dass er es nicht gehört hat, doch er nickt und fasst sich dann ans Kinn, während er schwer ausatmet. War wohl doch etwas viel auf einmal. „Hast du es getan?", fragt er dann frustriert. Ich schüttle den Kopf und streife mir den Pullover über den Kopf, damit er meine ganzen Arme betrachten kann. Er nimmt sie in die Hand und dreht die Innenseiten nach oben, doch da findet er nur die Narben vom letzen Mal. Er atmet erleichtert aus und legt dann die Hand auf meine Schulter. „Ich bin froh, dass du es mir gesagt hast und stolz, dass du es nicht gemacht hast. Wieso hast du denn den Drang? Ist etwas vorgefallen?", fragt er besorgt. Ich ziehe mir den Pullover wieder an und hebe dann unwissend die Schultern. „Das ist ja das Problem. Ich weiß es nicht. Ich habe meine Narben gesehen und wollte mich selber wieder spüren."
Er scheint nachzudenken, denn er bleibt ruhig. „Alex?", spreche ich ihn an. Er sieht mich an und wartet auf meine Frage. „Du darfst das niemanden erzählen und schon gar nicht Papa okay?", kommt von mir. Er seufzt einmal schwer und nimmt dann meine Hand. „Mira, das ist nicht so einfach. Wenn du dir doch irgendwann was tust und jemand erfährt, dass ich davon wusste, kann ich in Teufelsküche kommen. Hast du schonmal über eine Psychotherapie nachgedacht?" Meint der das jetzt echt ernst? Ich vertraue ihm etwas an und er weiß nicht, ob er es für sich behalten kann. Will er mich komplett verarschen? Wütend springe ich auf und renne zur Tür. „Was hast du vor?", fragt er besorgt und springt ebenfalls auf. „Ey Alex du bist so ein Arsch. Nie wieder rede ich mit dir.", schreie ich ihn an und boxe dann gegen die Tür, weil ich vor lauter Wut die Tür nicht aufgeschlossen bekomme. „Hey beruhige dich. Was habe ich den Falsches gesagt?", fragt er und will mich in den Arm nehmen, doch ich schubse ihn weg. „Lass mich verdammt. Mein Vertrauen zu dir ist weg. Für immer!", brülle ich und fange vor lauter Verzweiflung an, mir das Handgelenk kaputt zu kratzen. Er bemerkt das und nimmt meine Hände in seine, damit ich aufhöre. „Lass mich los!", schreie ich und reiße ihm meine Hände weg. Dann drehe ich mich wieder zur Tür und bekomme sie nun endlich auf. Wütend und tränenüberströmt laufe ich die Treppe runter, vorbei am Wohnzimmer, wo Tabea und Paula sitzen und mich verwirrt anstarren. „Was ist? Alex erzählt euch eh gleich alles!", brülle ich, ziehe mir die Schuhe über und verlasse das Haus. Alex ist so ein Idiot. Ich habe echt krasse Probleme, mich jemanden anzuvertrauen, dann mache ich das und seine Antwort ist, dass er nicht weiß, ob er das für sich behalten soll weil er sonst in Teufelsküche kommen kann und das ich über eine Therapie nachdenken soll. Ich gehe doch nicht zu so einem bescheuerten Seelenklempner, der mich wahrscheinlich noch in die Klapse sperrt.

Nach mehreren Stunden finde ich mich in einem Park wieder und schalte mein Handy an, welches die unzähligen Anrufe und Nachrichten von Alex, Paula, Papa und Phil zeigt. Scheisse, hat Alex den anderen das echt schon erzählt? So ein Arsch. Ich schreibe eine Nachricht in die Gruppe, in der steht, dass ich bald nach Hause komme und schalte das Handy gleich wieder aus.
Mal sehen, wie viel Anschiss und Vorwürfe ich nachher bekomme. Am besten bleibe ich einfach draußen.

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Man liest sich im nächsten Teil:)

Zwischen Himmel und HölleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt