Sie ist wie eine tickende Zeitbombe

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Ich habe zwar mit dem Gedanken gespielt, einfach draußen zu bleiben, doch weiß jeder, dass ich das nie machen würde, weshalb ich jetzt schon wieder vor meiner Haustür stehe. Auch zehn Minuten später stehe ich immer noch dort, weil ich-so vergesslich wie ich manchmal bin-mein Schlüssel vergessen habe. Ich will auch nicht klingeln, denn wenn ich das tue, wird irgendjemand mir die Tür öffnen und mit mir reden wollen. Darauf habe ich keine Lust. Dann fällt mir der Eingang vom Garten aus ein. Da wäre die Chance höher, dass mich niemand entdeckt, obwohl das auch wieder ziemlich unwahrscheinlich ist, denn es ist Nachmittag und die anderen sind bereits vom Dienst zurückgekommen und sitzen wahrscheinlich im Wohnzimmer. Scheiss drauf, ich klingle einfach.
„Mira, Gott sei dank.", begrüßt mich Phil und zieht mich in eine Umarmung. „Mensch Mädchen, wir haben uns Sorgen gemacht. Du bist ja ganz unterkühlt. Komm mit, ab in die Wärme.", sagt der Mann besorgt und schiebt mich ins Haus. „Leute, sie ist da.", ruft er nach oben, da keiner unten ist. Na toll, hätte ich also doch durch die Gartentür kommen und und unauffällig in meinem Zimmer verschwinden können. Dann hört man gepolter auf der Treppe und kurze Zeit später stehen sie alle vor mir. Ja alle. Papa, Paula, Alex, Tabea und Phil. „Schätzchen.", stöhnt Papa erleichtert und nimmt mich auch kräftig in den Arm. „Darüber reden wir definitiv noch.", sagt er gleich im nächsten Moment und drückt mich von sich weg. „Ich geh eben ins Badezimmer.", sage ich und mache mich in die Richtung der Treppe. „Wieso?", flüstert Alex mir zu, während die anderen wieder ihre Wege gehen. Er denkt wahrscheinlich ich will mir wehtun. „Baden.", antworte ich knapp und gehe dann weiter. Er läuft mir hinterher, was mich schon wieder mit den Augen rollen lässt. Er ist erstmal bei mir unten durch und das kann er auch so schnell nicht gerade biegen. „Bitte Mira, ich habe es keinem gesagt. Sei doch nicht so sauer.", fleht er mich an, doch ich schenke ihm keine Aufmerksamkeit und gehe einfach in mein Zimmer, wo ich mir frische Klamotten raussuche. Er steht hinter mir und versucht mit allen Mitteln meine Aufmerksamkeit zu erlangen. „Alex lass mich einfach okay. Ich will jetzt baden gehen und das schaffe ich auch ohne dich. Und wenn was passiert frage ich die anderen nach Hilfe.", sage ich, wobei der letzte Satz eher als Provokation diente. Er schnaubt verzweifelt und lässt mich dann gehen. Okay, ein bisschen tut mir das schon leid, weil Alex ja auch nichts zu den anderen gesagt hat, aber das er das schon in Erwägung zieht, macht mich sauer.
„Mira, wie lange badest du noch?", höre ich Phil rufen. „Wieso?", knurre ich und schlage die nächste Seite meines Buches auf. „Du musst dein Antibiotikum nehmen. Weißt ja, morgens und abends.", sagt er. Ist es schon abends? War ich solange damit beschäftigt mich im Spiegel zu betrachten, zu rasieren und zu baden? „Wie spät ist es denn?", frage ich und lege nun mein Buch weg. „17:30", antwortet Phil. Wow, ich war anderthalb Stunden im Badezimmer. „Ich muss noch meine Haare waschen, dann bin ich fertig.", antworte ich, was er mit einem okay beantwortet.

Etwa 15 Minuten später laufe ich die Treppe nach unten und finde alle WG-Bewohner auf. Phil und Paula stehen in der Küche und küssen sich. Alex und Tabea sitzen auf der Couch und Papa ist dabei den Ofen anzumachen. Meine Tablette liegt neben Phil auf der Küchenzeile, weshalb ich in seine Richtung gehe und mir ein Glas aus dem Schrank hole. „Ah da bist du ja. Tablette liegt hier.", sagt er, als er sich von Paula löst, die schon deutlich besser aussieht, auch wenn der Vorfall gerade mal ein Tag her ist.
Ich nehme die Tablette ein und stehe dann verloren in der Küche rum. Soll ich jetzt wieder hoch gehen oder hier unten bleiben? Unentschlossen spiele ich mit den Bändern an meinem Hoodie und starre in die leere. „Mira, der Ofen ist an. Komm her, es ist schön warm.", sagt Papa, der sich mittlerweile zu Tabea und Alex gesetzt hat. Ich nicke und mache mich auf den Weg zum Ofen, der tatsächlich eine angenehme Wärme ausstrahlt. Doch anstatt mich zu Alex und den anderen zu setzen, setze ich mich direkt vor den Ofen und beobachte die Flammen. „Nicht so nah, sonst kriegst du noch einen Sonnenbrand.", scherzt Alex, was Papa und Tabea zum Lachen bringt. Ich drehe mich nur zu ihn um und funkle ihn finster an. „Ist alles gut zwischen euch?", fragt Papa, der anscheinend die Spannung zwischen uns bemerkt. Wenn Alex jetzt auch nur ansatzweise etwas sagt, was ich ihn anvertraut habe, kann ich für nichts mehr garantieren. „Nur eine kleine Meinungsverschiedenheit gehabt.", winkt Alex locker ab. Okay, gut für ihn. Seufzend drehe ich mich wieder Richtung Ofen, der schön knistert. Phil und Paula gesellen sich nun auch zu uns. „Wollen wir heute was bestellen? Pizza oder so?", fragt Phil in die Runde, woraufhin alle bejahen außer ich. „Mira?", fragt er deshalb verwirrt. Ich drehe mich um und nicke dann. „Ja klar, wieso nicht?", antworte ich lächelnd.

Als die Pizza eine Stunde später geliefert wird, setzen wir uns an den Tisch und essen gemeinsam. Die ganze Stunde haben Alex und ich kein Wort miteinander gesprochen, was die anderen ziemlich verwirrt hat, denn sonst sind Alex und ich eigentlich die, die abends für Stimmung sorgen, wenn alle dabei sind. So wie gestern mit unserem Po-Workout.
Ich beiße etwas ängstlich von der Pizza ab, denn eigentlich soll ich ja Schonkost zu mir nehmen aber Phil meinte, dass ich das heute Abend als Ausnahme sehen soll. Ich hoffe nur, dass das Medikament was bringt, denn ich habe keine Lust, mich gleich zu übergeben.

„Ja ich gehe dann in mein Zimmer.", sage ich und stehe vom Tisch auf. Ich habe nach einem Pizzastück aufgehört, damit wirklich nichts passiert. „Was? Wieso das denn? Bleib doch bei uns.", mischt Papa sich ein. Ich schüttle nur mit dem Kopf und laufe langsam Richtung Treppe. „Na schön. Dann schonmal gute Nacht, falls wir uns heute nicht mehr sehen.", sagt Papa, woraufhin die anderen mir auch gute Nacht wünschen. Ich tue es ihnen gleich und verschwinde dann in mein Zimmer, wo ich Jonas nach einem Treffen morgen frage. Er schreibt auch relativ schnell zurück, dass es klappt. Super, denn sonst wäre ich morgen mit Alex, Papa und Tabea alleine. Muss nicht sein. Die Pizza bahnt sich auch Gott sei dank keinen Weg nach oben. Ich habe zwar leichte Bauchschmerzen aber nicht so wie sonst.

Als ich mir gerade eine Serie auf Netflix anmachen will, klopft es und Alex Kopf erscheint zwischen Tür und Türrahmen. Stöhnend stehe ich auf und drücke die Tür zu, welche aber kurze Zeit später wieder geöffnet wird. „Was ist denn los Mira? Ich habe doch niemanden was gesagt.
Wieso bist du so wütend auf mich?", fragt er verzweifelt und kommt in mein Zimmer. Da ich keine Lust auf Diskussion habe, lege ich mich einfach wieder ins Bett und schalte die Serie an. „Autsch.", brumme ich, als es wieder leicht zieht im Bauch. „Alles in Ordnung? Hast du schmerzen?", fragt er besorgt. „Nein.", brumme ich und mache mein Fernseher lauter, um ihn nicht reden zu hören. „Und jetzt hau ab.", knurre ich nochmal, doch er bleibt da, wo er ist. „Man Mira, okay du hast mein Versprechen. Ich werde niemanden davon erzählen.", sagt er nun lauter, um gegen die Stimmen im Fernseher anzukommen. Das erste mal sehe ich ihn in die Augen und schaue, ob er das ernst meint, doch dann...
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Man liest sich im nächsten Teil:)

Zwischen Himmel und HölleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt