Das Kunstwerk

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Nach dem gemeinsamen Frühstück gehe ich Duschen, wobei mein Blick auf meinen Arm fällt. Der Drang ist groß, doch ich bleibe standhaft. Ich will die anderen nicht enttäuschen. Ich hoffe Alex und Phil halten wirklich dicht, sonst macht Papa mich zu Spaghetti Bolognese.
Nach der Dusche gehe ich nach unten, um den anderen mitzuteilen, dass ich keine Bauchschmerzen mehr habe und mir auch nicht schlecht ist. „Das ist sehr schön.", antwortet Papa, der auf seinem Handy mit irgendjemanden schreibt. Alex und Tabea liegen Arm und Arm auf der Couch und schauen im Fernseher irgendeinen Krimi. Ich setze mich zu ihnen auf den Sessel und scrolle in meinem Handy rum. Noch immer beschäftigen mich diese Gedanken, rund um den Drang, mich selbst zu verletzen. Da Alex gerade sein Handy in die Hand nimmt, nutze ich diese Gelegenheit und schreibe ihm. Ich will nicht länger alleine mit diesen Gedanken sein.

Ich: Alex, ich muss dir was sagen. Ich habe wieder diesen Drang. Bitte sag es keinem.

Er schaut noch etwas länger auf sein Handy und dann zu mir. Verzweifelt lächle ich ihn an und beobachte, wie er was in sein Handy tippt.

Alex: Möchtest du irgendwo hingehen zum reden? Übers Handy finde ich das etwas blöd.
Ich: In mein Zimmer? Ich kann sagen, dass ich dir die Geschenke für Weihnachten zeigen will.
Alex: Ok

Nach dieser Nachricht stecke ich mein Handy weg und stehe auf. „Alex kommst du mal bitte mit? Ich muss dir was zeigen, wegen Weihnachten und könnte hier und da deinen Rat gebrauchen.", sage ich freundlich, woraufhin er aufsteht. „Ihr bleibt hier unten.", knurre ich, woraufhin Papa nur die Hände hebt und dann weiter chattet. Mit wem schreibt er denn die ganze Zeit? Egal, das muss warten. „Bis gleich.", sage ich und ziehe Alex mit mir nach oben.
In meinem Zimmer setzen wir uns auf mein Bett, nachdem er die Tür geschlossen hat. „Also, bist du dir sicher, dass du reden möchtest? Nach der Sache letztes Mal, möchte ich nicht, dass du wieder sauer auf mich wirst.", sagt er. Ich schüttle mit dem Kopf und ziehe meine Beine an mich, sodass ich im Schneidersitz vor ihm sitze. „Nein Alex. Ich werde nicht sauer. Versprochen.", antworte ich und überlege dann, wie ich anfangen soll über mein Problem zu reden. Doch Alex nimmt mir die Überforderung ab und beginnt das Gespräch. „Hast du es getan?", fragt er besorgt und blickt auf meine bedeckten Arme. Sofort ziehe ich die Ärmel hoch, damit er sieht, dass ich nichts gemacht habe. „Nein Alex aber ich habe Angst, dass ich diesem Druck nicht mehr lange standhalten kann.", seufze ich verzweifelt. Er nimmt meine Arme in seine Hände und streichelt mit dem Daumen über meine Narben. „Triggert dich der Anblick von den Narben?", fragt er, als er gerade über die größte Narbe streicht. Ich nicke leicht und sehe ihn dann in die Augen. „Jedes Mal, wenn ich sie sehe möchte ich mich wieder spüren. Ich will, dass die Narben wieder zu Wunden werden. Ich weiß, dass das krank klingt aber ich weiß einfach nicht weiter.", antworte ich betrübt und ziehe dann meine Ärmel runter. Der Anblick macht mich buchstäblich krank. „Das klingt nicht krank Mäuschen. Ich verstehe deinen Gedankengang voll und ganz, jedoch müssen wir das verhindern. Den ersten Schritt hast du schon gemacht und bist zu mir gekommen. Das kannst du auch in Zukunft immer wieder machen. Egal ob ich, Paula, Phil oder Tabea. Bei deinem Papa verstehe ich das, das du es nicht mit ihm besprechen möchtest aber wir sind für dich da. Als nächstes finden wir Strategien, wie du diesen Drang wiederstehen kannst und dann besiegen wir diesen inneren Dämon okay?", ermutigt er mich. Ich nicke und umarme ihn dann kräftig. „Danke Alex. Ich wüsste echt nicht, was ich ohne euch tun soll.", seufze ich. Er streicht mir liebevoll über den Rücken und drückt mich nach einiger Zeit von sich. Etwas verwirrt beobachte ich, wie er aufsteht und einen Stift von meinem Schreibtisch holt. „Was hast du vor?", frage ich irritiert. „Vertraust du mir?", fragt er, ohne auf meine Frage zu antworten. Ich nicke und schaue ihn dann wieder verwirrt an. „Dann schließe deine Augen und lasse sie zu.", sagt er bestimmend. Immer noch verwundert tue ich was er sagt. Ich merke seine Hände an meinen Arm und wie er meinen Ärmel hochschiebt. „Alex.", sage ich und öffne die Augen. „Lass deine Augen zu, vertrau mir.", antwortet er nur und schließt meine Augenlider mit seinen Finger. Er streicht ein paar mal über meine Narben und dann merke ich etwas kitzeliges. „A-Alex, das kitzelt.", sage ich lachend. „Ich weiß. Versuch trotzdem still zu halten und lass bloß deine Augen zu.", antwortet er ernst. Ich gehorche und lasse sie zu.
Nach einiger Zeit hört das kitzeln auf und Alex schiebt mich von mein Bett, durch mein Zimmer. „Sag schon, was hast du gemacht?", frage ich ungeduldig, da er mir immer noch die Augen zuhält. „Eine Sekunde noch.", brummt er und dreht mich dann noch etwas. Wenn ich mich nicht täusche, stehen wir vor meinem Schrank. „Okay du darfst die Augen öffnen.", sagt er und entfernt seine Hände von mir. Ich öffne sie und bemerke, dass ich vor dem Spiegel stehe, der an einer der Schranktüren ist. Mein Blick gleitet bis zu meinem Handgelenk, welches immer noch freigelegt ist. Ich erkenne etwas grünes, rotes und noch viel mehr Farben und muss etwas näher rangehen, um es zu erkennen. Alex steht schmunzelnd hinter mir. „Brauchst du eine Brille?", fragt er lachend, weil ich so nah am Spiegel stehe. Ohne zu antworten schaue ich auf meinen Unterarm und erkenne keine Narben mehr. Anstatt Narben sind da jetzt wunderschöne Rosen in verschiedensten Farben. Sofort fällt meine Kinnlade runter. „A-Alex, das ist...wow.", stottere ich. Mein Arm sieht wunderschön aus und das erste mal seit langem, kann ich länger auf meinen Arm schauen, als ein paar Sekunden, ohne den Drang zu verspüren, mir wehzutun. „Ich hoffe, dass du so etwas zufriedener bist, wenn du auf deinen Arm guckst.", sagt er. Sprachlos drehe ich mich um und umarme ihn. „Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Es ist das schönste, was ich mir im Moment vorstellen kann. Vielen Dank.", sage ich, wobei ich schon fast weine. „Das freut mich.", antwortet er glücklich.

Nach ein paar Minuten sind Alex und ich schon wieder auf den Weg nach unten. Er hat mich verstanden, als ich meinte, dass ich dieses Kunstwerk aber nicht vor Papa zeigen will, da er sonst fragen stellt, wieso Alex mir da was drauf malt. Alex hat das so hingenommen und ist wahrscheinlich überglücklich, dass ich seit langen wieder richtig zufrieden bin. Das muss ich später auf alle Fälle Phil zeigen.

Gegen 14 Uhr kommen die zwei auch endlich, doch ich komme nicht dazu, Phil meinen Arm zu zeigen, denn Jonas hat mir gerade geschrieben, dass er da ist.

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Sorry, dass ich hier so inaktiv war. Ist momentan etwas schwierig bei mir und schaffe es teilweise nicht, an zwei Geschichten gleichzeitig zu arbeiten. Ich hoffe, dass sich das bald wieder ändert, denn ich möchte diese Story gerne lange weiterführen.

Man liest sich im nächsten Teil:)

Zwischen Himmel und HölleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt