Der Noah-Abklatsch

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Es gab Dinge, die konnte ich nicht ausstehen. Verbrennungen zum Beispiel oder Gipsverbände, weil die einen schlichtweg körperlich einschränkten, obwohl die Schmerzen ja eigentlich schon wieder weg waren. Außerdem juckte die Haut darunter immer ganz fürchterlich. Und eine Stelle sechs Wochen nicht waschen zu können, was einfach widerlich. Aber noch lange nicht so widerlich wie dieses befremdliche Etwas in meinen Eingeweiden, das die Melodie von Twinke, twinkle little Star gerade in ihnen heraufbeschwor. Seit geschlagenen sechsundvierzig Minuten, ich hatte auf die Uhr geschaut.

Meine Fingerkuppen fühlten sich taub an, als sie über den Rand der Spieluhr strichen. Die Einkerbungen von etlichen Zusammenstößen mit diversen Fußböden waren fein säuberlich ausgebessert, die Augen wackelten wieder im Klang des Liedes von links nach rechts und an der Schnur am Boden der Spieluhr war ein Griff befestigt worden. Die Schnur, die sich jahrelang nicht hatte ziehen lassen, weil meine Ausraster den Mechanismus im Inneren kaputtgemacht hatten.

Ich zog meine Hand wieder zurück und ließ die Spieluhr in meinem Schoß liegen.

Er hatte sogar die Stellen übermalt, an denen der Lack abgesplittert war. Im passenden Braunton. Man sah die Unebenheiten kaum, wenn man nicht genau hinsah.

Mein Blick wanderte gen Decke, verhakte sich in den Mustern der weißen Tapete, während die letzte Note des Liedes verklang und ich mich fragte, warum zu Teufel der kleine Freak das getan hatte. Er hätte meine Sachen zerstören oder einsauen können oder was auch immer ihm Kreatives einfiel, aber stattdessen hatte er Antiquitätenhändler gespielt und sie repariert. Natürlich wäre es auch denkbar, dass er damit schon vor unserem Streit fertiggewesen war, aber gottverdammt wusste er denn nicht, wie viel mehr er mich damit hätte erpressen können, wenn ich auch nur geahnt hätte, dass sie wieder fröhlich vor sich hin klimperte?

Ich kniff die Augen zusammen.

Sein Verhalten ergab keinen Sinn und es war auch einfach scheiße hinterlistig. Noah durfte keine Dinge tun, die meinen Bauch schummrig und meinen Nacken eiskalt werden ließen. Er durfte mich nicht verwirren und so gänzlich entgegengesetzt all meinen Erfahrungen mit ehemaligen Partnerinnen handeln.

Es überfordert mich auf eine vollkommen unangenehme Weise und ich wusste nicht, was ich dagegen tun sollte. Ich wollte mir einreden, dass das innerliche Brodeln der letzten Wochen jetzt endlich nachlassen würde und das einzig Wichtige war, dass ich meine Uhr wiederhatte. Bloß fühlte es sich längst nicht so beruhigend an, wie es das sollte. Und ich hatte absolut keinen Anhaltspunkt, weshalb.


Es war denkbar unschön, dadurch aus dem Traumland geholt zu werden, dass an einem herumgewurschtelt wurde. Das war in der Regel nämlich nur schön, wenn das Gewurschtel aus einem Mund um meinen Schwanz herum bestand.

„Was soll das?", murrte ich und wischte mir grob über die Visage. Ich hätte anders reagiert, wenn mir da schon bewusst gewesen wäre, dass es meine Mutter war, der ich mein vorzeitiges Aufwachen zu verdanken hatte – weil sie mir meine Spieluhr entrissen hatte.

Als ich meine Hände zu Fäusten ballte, schlossen sie sich um sich selbst und nicht um Hartplastik.

Alarmiert schoss ich hoch.

Sie stand da, mit tiefen Furchen in der Stirn und meinem Besitz zwischen den Fingern.

Mir drehte sich der Magen um. „Das gehört mir."

Aber sie achtete gar nicht auf meinen Einwand. „Ist das die Spieluhr, die ich dir als Baby geschenkt habe?"

„Das ist Noahs." Ich legte eine gute Portion Müdigkeit in meine Stimme und merzte diese verräterische Feindseligkeit in ihr aus. Die war viel zu auffällig. „Er hat sie hier liegenlassen, bevor wir ... bevor er Schluss gemacht hat."

In meinem AbgrundNơi câu chuyện tồn tại. Hãy khám phá bây giờ