Spieluhr

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Obwohl alles in mir danach schrie, Noah hier und jetzt auf den Pranger zu stellen, ging ich erstmal duschen. Rasierte mich. Putzte mir die Zähne. Knipste mir sogar die Nägel. Das alles, um perfekt auszusehen. Ich würde nicht mit ungewaschenen Haaren und nach Schweiß und Erbrochenem riechend bei ihm auftauchen. Er sollte mich sehen und wissen, was er da gerade verpasste. Wen er sich aufgrund seiner eigenen Dummheit durch die Lappen gehen ließ.

Jemanden wie mich würde er niemals wieder zwischen die Finger kriegen.

Schnaubend warf ich einen Blick in den Spiegel.

Ich sah ein bisschen müde aus, aber das war's dann auch schon. Meine Haut war glatt und eben, nur hier und da hing noch der trübe, gelbliche Schatten der in den letzten Wochen kassierten Schläge nach. Nicht auffällig und so, wie ich Noah einschätzte, stand der Freak vermutlich darauf. Ich hatte eh im Gefühl, dass er ein wenig zu sehr auf Rabiatheit abfuhr. Und die würde er, bei Gott, gleich in ihrer Reinheit schlucken dürfen. Wenn auch eher auf der mentalen Ebene.

Ich stieß mich vom Waschbecken ab und stiefelte zurück in mein Zimmer. Mein Kopf steckte gerade mitten in meinem Kleiderschrank, als hüpfende Schritte neben mir Halt machten. Dann trat ein winziger Fuß gegen meine Wade.

Genervt lehnte ich mich zurück. „Was willst du, Emma?"

„Gehst du weg?"

„Mh", brummte ich und wandte mich wieder von ihr ab. Ich brauchte irgendetwas zum Anziehen, von dem ich wusste, dass Noah der Sabber aus den Mundwinken laufen würde.

Leider hatte ich kein Piratenkostüm da.

Schmunzelnd fischte ich stattdessen eine dieser Armeehosen in grau heraus, die an den Knöcheln einen Bund hatten. Darin würde ich mich wenigstens gut bewegen können.

„Zu Noah?" Emma schmiss sich auf mein Bett, während ich überlegte, ob sich da wohl noch irgendwelche Überreste nächtlicher Aktivitäten befanden. Es war schon einmal passiert, dass sie mich freundlich darauf hingewiesen hatte, dass meine Decke an einer Stelle Flecken eingetrockneter Milch gehabt hatte.

„Japp." Ich schlüpfte in die Hose und suchte mir ein schwarzes T-Shirt heraus, zerrte es mir über den Schädel und steckte es mir vorne in den Bund der Hose.

Als ich Noah damals das erste Mal bei sich zuhause überrascht hatte, hatte er ein ähnliches Outfit angehabt, nur mit Schlabbershorts.

Ich runzelte die Stirn.

Das war Unsinn. Die einzige Gemeinsamkeit war bloß der in die Hose gestopfte Saum des Oberteils. Außerdem war es total dämlich, dass ich mich daran erinnerte.

„Ich mag ihn immer noch nicht."

„Da sind wir ja schon zwei", murmelte ich.

„Was meinst du?"

„Dass du dich freuen darfst, weil ich ihn nur besuchen gehe, um endgültig Schluss zu machen." Und mir meine Spieluhr wiederzuholen.

Emma sprang zurück auf die Füße. Als ich zu ihr sah, musterte sie mich seltsam ernst. „Habt ihr Streit?"

„Könnte man so sagen."

„Also", meinte sie und kam näher, um mir den Zeigefinger in den Bauch zu piksen, „ich mag Noah ja gar nicht, aber wenn du schon so böse guckst, wenn ihr euch bloß streitet, dann solltet ihr euch einfach wieder vertragen."

Toll, jetzt meinte eine Achtjährige schon, mir Beziehungstipps geben zu müssen.

„Ich gucke so böse, weil ich ihn nochmal sehen muss, und nicht, weil ich ihn vermisse."

In meinem AbgrundWhere stories live. Discover now