Auf der Suche (Teil I)

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„Sorry." Die blondgelockte Barbie hinter dem Empfangstresen ließ eine derart große Kaugummiblase platzen, dass das klebrige Zeug sich auf ihrer gesamten Oberlippe bis zur Nase hin verteilte. Schien sie allerdings nicht zu stören, weil sie einfach in die Matschepampe hineingriff und sich die einzelnen Fäden zurück in den Mund stopfte. „Ich hab' erst vor 'ner halben Stunde mit der Schicht angefangen."

Ich hatte Kopfschmerzen, richtig schlimme. Wenn diese Schnepfe nicht gleich aufhörte, mir etwas vorzuschmatzen, würde ich ihr den Mund mit Panzertape zubappen. „Und Ihre Kollegin von gestern? Hat sie vielleicht gesehen, ob jemand gegen Mittag das Motel verlassen hat?"

Sie schob das halb verdaute Ding in ihrem Mund zwischen die Schneidezähne, ließ es mich kurz sehen, bevor sie weiter darauf herumkaute. „Ne."

Ich vermisste Rosalinde, ehrlich.

„Moment. Ich habe ein Foto, vielleicht erinnern Sie sich dann." Ich kramte mein Handy hervor und ging meine Galerie durch. Dummerweise waren dort nur recht explizite Bilder von ihm. Bloß ein Annehmbares hatte sich in einer Nacht vor zwei Wochen mit in meine Sammlung geschlichen, weil der Anblick etwas Seltsames in meiner Lendenregion ausgelöst hatte. „Hier."

„Mhm." Sie schaute nur flüchtig hin, schien aber irgendwie abgeneigt von der Tatsache, dass die Ablichtung Noah im Tiefschlaf zeigte. „Noch nie gesehen."

Ich presste die Kiefer aufeinander, lächelte gezwungen. „Wissen Sie vielleicht, wann Rosalinde wieder Schicht hat?"

Die nächste Blase platzte. „Keine Ahnung."

„Hören Sie", meine Schläfen pochten, „er ist mein fester Freund und ich mache mir Sorgen um ihn. Er wollte gestern Mittag nur kurz spaziergehen und ist einfach nicht wieder aufgetaucht."

„Warum suchen Sie dann erst jetzt nach ihm?" Zusätzlich zu den feuchten Geräuschen, die ihr Mund verursachte, klackerte sie jetzt auch noch mit ihren langen, falschen Nägeln auf dem Holz des Tisches zwischen uns herum. Es strapazierte meine eh schon sehr gereizten Nerven.

„Weil ich in der Zwischenzeit geschlafen habe." Ich lehnte mich etwas zu ihr rüber. „Wären Sie wohl so nett und würden Ihre Mitarbeiterin diesbezüglich kontaktieren?"

„Hab' ihre Nummer nicht." Sie lächelte höhnisch. „Arbeite noch nicht lange hier, wissen Sie?"

Warum schien sich in letzter Zeit das gesamte Universum gegen mich zu verbrüdern?

„Okay, passen Sie auf." Ich atmete lautstark aus. „Melden Sie sich einfach, wenn Sie etwas erfahren, in Ordnung?"

„Klar."

„Soll ich Ihnen Name und Zimmernummer aufschreiben?"

„Passt schon. Alles da oben abgespeichert." Sie tippte sich auf den Schädel. Mit etwas Glück spießte sie sich dabei selbst auf.

„Sicher doch." Ich verbarg die offensichtliche Wut in meinen Gesichtszügen nicht, als ich sie ein letztes Mal mit den Augen fixierte, bevor ich mich umdrehte und wieder Richtung Treppenhaus stiefelte.

„Wissen Sie", hallte ihre Stimme nochmal zu mir herüber, als mein rechter Schuh sich bereits mit der ersten Treppenstufe bekanntgemacht hatte, „es kommt nicht gerade selten vor, dass hier wer einfach abhaut."

Ich ballte die Hände zu Fäusten. „Er ist nicht abgehauen."

„Klar." Sie schmatzte. „Das sagen sie alle, aber weg ist die Freundin dann trotzdem."

Sie ist männlich."

Sie zuckte mit den Schultern. Alles an ihrer Haltung verachtete mich, doch sie sagte nichts mehr. Und ich wurde das unangenehme Gefühl nicht los, dass sie dachte, ich hätte Noah etwas angetan. Als müsste sie schweigen, um ihn vor mir zu schützen.

In meinem AbgrundWhere stories live. Discover now