Treffsichere verbale Ausbrüche

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Es brauchte Noah nur vier, nicht ganz leere Drinks, um ihn vollkommen abzuschießen. Schon nach dem zweiten hatte er mich tatsächlich von sich aus um Nachschub gebeten, was zur Folge hatte, dass er wie eine von der Konsistenz her puddingähnliche Schaufensterpuppe an meiner rechten Seite hing, mit beiden Beinen über meinen Schenkeln, und immer wieder mit seiner Nase über meinen Oberarm rieb. Ich hoffte für ihn, dass er mich nicht gerade als Taschentuch missbrauchte.

„Du bist weich."

„Das sagst du mir bereits zum sechsten Mal. Wenn der Satz erneut deine Lippen verlässt, muss ich mir eine Spachtel kaufen, um mein Ego vom Boden aufzukratzen."

„Ich helfe dir." Er war völlig dicht. Nicht, dass ich nicht auch ein kleines bisschen angeduselt wäre, aber Noah stotterte nicht mehr. Seit gut einer Stunde – in der ich ihn fürsorglich weiter mit Hochprozentigem versorgt hatte – redete er vollkommen fehlerfrei. Das war mir anfangs gar nicht so richtig aufgefallen, weil ich seine Art des Sprechens eben gewöhnt war, aber jetzt hinterließ jeder flüssige Satz ein lautes Echo in meinen Ohren.

Denn Noah sprach viel. Und er sprach gerne, wie ein monströser Wasserfall, über alles Mögliche. Drei Drittel davon wollte ich überhaupt nicht wissen, nur hielt ihn das nicht auf.

„Weißt du", nuschelte er und drückte sich ein kleines bisschen von mir weg, kniff dabei die Augen zusammen. Aus irgendeinem Grund hatte er sich die Brille ausgezogen und weigerte sich nun, sie wieder anzuziehen. „Wir hätten schon Monate früher zusammen sein können, wenn du nicht ständig eine Freundin gehabt hättest."

„Was du nicht sagst." Ich schmunzelte ihn an, kippte mir ein paar Schlucke Fanta hinter die Kiemen. Ich musste ausnüchtern, damit mich morgen keine Gedächtnislücken daran hindern könnten, Noah brühwarm zu berichten, was für einen Mist er mir gebeichtet hatte. Oder noch beichten würde.

„Ja!" Er wischte sich kurz übers Gesicht. „Ich meine, ich wette, Tina hat dich nicht so viel machen lassen. Ich sage nicht nein, wenn du was willst. Und ich backe dir Kuchen."

„Gestern hast du aber sehr wohl nein gesagt, als ich mit dir schlafen wollte."

„Aber nur, weil du so ... so freizügig bist." Er strahlte mich an, sichtlich zufrieden mit seiner Wortwahl. Ich konnte mich auch nicht beschweren, immerhin hätte er meine Lebensweise auch als Herumhuren umschreiben können. „In der Schule in Sexualkunde haben die Lehrer gesagt, dass man immer Kondome benutzen soll. Außer man will Kinder kriegen, aber ... das geht ja nicht."

„Gebärmutterloser Korinthenkacker."

„Bist du immer noch böse deswegen?"

„Ein bisschen."

„Dann sei nicht mehr böse."

Okay, der besoffene Noah war um einiges schlagfertiger als der nüchterne. Die Frage war nur, ob mir das gefiel.

„Ist das deine Lösung? Würdest du einem depressiven Menschen auch sagen Sei wieder fröhlich und Puff, ist er geheilt?"

„Das ist was ganz anderes!" Er sah mich beinahe empört an.

Ich hob eine Braue. „Ach ja? Und wieso?"

„Na, weil ich dich liebe."

„Das passt gerade so überhaupt nicht in den Kontext, mein Herz."

„Doch, tut es." Er verringerte den Abstand zu mir und griff nach meiner Hand. „Ich liebe dich schon richtig lange. Noch bevor wir uns im Supermarkt getroffen haben."

In meinem AbgrundWo Geschichten leben. Entdecke jetzt