Kraftmessung und ihre Folgen (Teil I)

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Oh Mist, Mist, Mist, Mist, Mist, Mist, Mist ..."

Der April konnte morgens ziemlich kühl sein – vorausgesetzt, man schlief nachts mit offenem Fenster und wurde brutal der Bettwäsche entrissen.

Murrend rollte ich mich auf den Bauch. Die Matratze war noch aufgeheizt.

„Paul!"

„Paul schläft noch. Und er hätte gerne seine Decke wieder."

„A-aber wir haben sieben Uhr! Ich habe vergessen, meinen Wecker zu stellen!"

Stimmt, da war ja etwas gewesen.

Langsam schlug ich meine Augen auf.

Noah kniete auf dem Boden vor mir, die Decke halb um seine Beine geschlungen. Vermutlich war er vor Schock einfach hinausgekullert.

Ich schnaufte amüsiert. „Und wann beginnt der Unterricht? Viertel vor Acht? Dann hast du doch noch massig Zeit."

„Aber ich muss vorher nochmal zu mir und danach muss ich mindestens zwanzig Minuten zur Schule laufen. Wenn ich schnell bin." Er schlug die Hände dramatisch vor das Gesicht. „Tante wird mich umbringen. Ich kriege Hausarrest, bis ich vierzig bin. Oh Gott."

Ich blinzelte ihn verschlafen an. „Du hast gerade nicht einmal gestottert."

„E-echt?"

Tja, soviel dazu.

Ich stemmte mich mit den Unterarmen hoch, gähnte ihn offen an. „Darfst du unter Hausarrest Besuch bekommen?"

„Was?"

„Sag schon."

„N-nein. Das ist doch Ha-Hausarrest."

Kein Besuch wäre schlecht. Wenn Ingrid ihn in seinem Zimmer einsperren wollte, sollte sie das ruhig tun, aber mich ebenfalls auszusperren, käme mir sehr ungelegen.

„Kann ich nicht wissen. Solche Strafen habe ich nie bekommen."

„W-welche dann?"

Ich stand auf, schaute von oben auf ihn herab. „Arztbesuche."

Seine Glupscherchen verwandelten sich in riesige Fragezeichen, ich trat ihm mit der Fußspitze gegen den linken Oberschenkel.

„Zieh dich an. Ich sorge dafür, dass du pünktlich zur Schule kommst."

„Aber wie ...?"

„Ich fahre dich jetzt heim und gleich danach zum Unterricht."

„Ja?"

„Mh, also los. Ich muss heute auch noch arbeiten."

„S-sofort!" Er sprang auf, stolperte und schlug prompt mit den Unterarmen an der Bettkante auf. „Aua ..."

Es war nur eine Frage der Zeit, bis der Schussel sich selbst umbrachte, so tollpatschig, wie er war.

Ich schüttelte den Kopf und schnaubte unterdrückt.

Unglaublich.


Tante Ingrid wartete bereits auf uns. Mit verschränkten Armen. Wie eine polnische Oma, eine stockwütende polnische Oma.

„Guten Morgen", grinste ich entschuldigend, die Arme von hinten um Noahs Hüften gelegt. „Sorry fürs späte Heimbringen."

„P-Paul wollte mir noch etwas zeigen und d-dann sind wir eingeschla-a-fen."

In meinem AbgrundWhere stories live. Discover now