Alles Ungute zum Geburtstag (Teil II)

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„Ach, was ich noch vergessen habe." Ich verschränkte die Arme auf dem Tisch. „Noah kommt nachher bei mir vorbei. Er muss ziemlich masochistisch veranlagt sein, dass er mir eine zweite Chance gibt, denkst du nicht auch? Ich meine, nach allem, was ich ihm angetan habe ..."

Sie spannte die Kiefer an. „Er ist erwachsen und kann eigenständige Entscheidungen treffen."

Ich lehnte mich vor. „Was denn? Keine Warnung? Keine Angst, dass ich ihm-"

„Was heißt masochistisch?" Emmas Fuß knallte unter dem Tisch gegen mein Schienbein, ich biss mir auf die Zunge.

Fast hätte ich Dinge von mir gegeben, die nicht für Kinderohren bestimmt waren.

„Das bedeutet", murmelte ich und lockerte meine Körperhaltung etwas, „dass jemand einen anderen Menschen so sehr liebt, dass er bei ihm bleibt, selbst wenn es manchmal schwierig ist."

Sie schaute mich nachdenklich an. „Wie wenn man sich oft streitet und dann doch wieder verträgt?"

Ich nickte knapp. „Genau."

„Verstehe." Ihre Pupillen zuckten von mir weg zu Fiona hin. „Also sind du und Mama masochistisch, oder?"

Ich starrte Emma an. Wie kam sie denn auf den Bockmist? „Nein", meinte ich. „Mama ist zu heftig damit beschäftigt, mich nicht zu lieben, deswegen kann sie gar nicht masochistisch sein. Sonst wäre sie nämlich traurig, dass ich nicht mehr zu Hause wohne."

„Hör auf, deiner Schwester irgendwelchen Unsinn zu erzählen!" Fiona hatte ebenfalls von ihrem Kuchenstück abgelassen. Wut kratzte an ihren Stimmbändern. „Du kennst den Grund, aus dem du ausziehen musstest."

Oh ja, den kenne ich. Aber die Wahrheit ist doch, dass du nur darauf gewartet hast, dass ich irgendeinen Fehler mache, damit du mich endlich loswerden kannst, oder irre ich mich?"

Ihre Maske bröckelte gemeinsam mit dem undefinierbaren Laut, der ihren Lippen entkam. „Einen Fehler? Du hast den Jungen misshandelt, mit dem du zusammen warst! Das ist das Gleiche, wie wenn dein Vater mich schlagen würde!" Sie schoss hoch, die Hände an der Tischkante abgestützt. „Fändest du das etwa in Ordnung?"

Ich lächelte sie an. „Das wäre nicht nur in Ordnung, ich würde ihm die Ehre sogar abnehmen."

Schweigen, von allen am Tisch, sogar von Emma, obwohl ich mir nicht sicher war, inwieweit sie verstand, was sich hier gerade zusammenbraute, bevor Fiona zittrig einatmete, den Arm Richtung Küchentür ausgestreckt: „Raus."

Okay, das konnte sie sich getrost abschminken. Unsere Auseinandersetzung war noch nicht beendet, jedenfalls nicht von meiner Seite aus. „Ne", sagte ich also und schlug die Beine übereinander. „Ich hab noch knapp zwanzig Minuten, bis ich los muss."

„Ich will, dass du gehst." Ihre Stimme klang hölzern.

Ich zog demonstrativ die Schultern an. „Bring mich dazu."

Fionas Mund wurde eine strenge, gerade Linie, aber noch bevor sie etwas erwidern konnte, war Marcus schon aufgestanden. „Ich will nicht, dass du so mit deiner Mutter redest."

Da war es wieder. Natürlich musste er sich auf ihre Seite stellen. Was auch sonst. „Sie ist nicht meine Mutter. Oder hat sie mich spontan nach der Adoption durch ihre Fot-"

Ich rechnete nicht damit, eine verpasst zu bekommen. Aber vor allem rechnete ich nicht damit, dass es ihre Hand sein würde. Die von meinem Vater vielleicht, aber nicht ihre. Fiona hatte mich noch nie geschlagen.

In meinem AbgrundWo Geschichten leben. Entdecke jetzt