Gewichtige Höhepunkte

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Wichser Nummer Zwei, namentlich Yannik, wie ich mir von Noah sagen ließ, verschwand keine zehn Minuten nach der Aktion auf den Toiletten. Ich rechnete, ehrlich gesagt, ein wenig damit, dass mir am Ausgang ein Pulk wütender Abiturienten entgegenkommen würde. Ich war nicht blöd, ich wusste, dass ich keine Chance hatte, wenn eine ganze Gruppe auftauchte. Da konnten sie gerne jünger sein, mehr als sechs Fäusten und Füßen würde ich nicht gleichzeitig ausweichen können. Und Noah wäre beim besten Willen keine Hilfe. Eher eine zusätzliche Belastung.

Umso überraschter war ich also, als nach Vorstellungsschluss niemand auf uns wartete. Keiner da, um Rache zu nehmen.

Ich ließ meinen Blick von links nach rechts schweifen.

Vielleicht hatte ich dem kleinen Stinker tatsächlich genug Angst gemacht, dass er sich nicht mal traute, es mir heimzuzahlen.

Ich klopfte mir selbst auf die Schulter.

„Paul?" Noahs Finger streiften unsicher meine. „D-darf ich?"

„Warum solltest du nicht?" Dachte er vielleicht, meine Aussage von damals würde auch außerhalb bestimmter Aktivitäten gelten? Dass er mich nicht anfassen sollte, wenn ich es ihm nicht explizit erlaubte?

„Weil die Leute dann vielleicht denken, dass du sch-schwul bist."

Oder auch nicht. Ich interpretierte eindeutig zu viel in seine soziale Inkompetenz hinein.

„Juckt mich nicht." Andrea wohnte zu weit weg, um dieses Kino zu besuchen, und Tina war es nicht wert. Ich war immer noch angefressen. Minimal.

„Du bist mutig."

Ich starrte zu ihm hinunter, während er neben mir herlief, den Blick auf unsere verschränkten Hände fixiert.

„Warum mutig? Du hast dich doch in der Schule geoutet, oder nicht?"

„Ja, aber ..." Er hielt inne, zeigte dann mit ausgestrecktem Arm nach vorne. „Dein Auto!"

„Erstaunlich nicht? Es steht noch genau da, wo ich es geparkt habe. Fantastisch." Ich zog leicht an ihm. „Hör auf, vom Thema abzulenken. Oder lenk wenigstens erfolgreicher ab."

„Ei-einen Versuch war's w-wert."

Gegen meinen Willen musste ich schmunzeln. Er taute langsam auf. „Einen ausgesprochen jämmerlichen Versuch."

Er schwieg, dann ließ er die Schultern hängen. „Ich wollte nicht, dass es jemand herausfindet."

„Ungewolltes Outing?"

Nicken. Seine Hand wurde mal wieder schwitzig.

„Was ist passiert?"

„N-nichts Besonderes."

Ich schnaufte. „Willst du unsere Beziehung etwa auf Lügen aufbauen?"

„Beziehung?" Er hob den Kopf und strahlte mich an, wie damals beim Mittagessen. Hielt man ihm den kleinen Finger hin, wollte er direkt den gesamten Arm und den Rest am besten kostenlos dazu.

„Nicht so hastig. Wir sind noch in der Kennenlernphase." Das schien ihn nicht unbedingt von seiner Wolke herunterzuholen. Ich verdrehte die Augen. „Wie kam's also zu der Offenbarung deiner sexuellen Präferenz?"

„Ich habe mich, uhm, verliebt?"

„Aha? Und das hat man dir so sehr angesehen, dass jeder wusste, dass du am anderen Ufer fischst?" Wobei, falls er bei dem armen Kerl auch sofort einen Ständer in dessen Nähe bekommen hatte, wie bei mir im Supermarkt, würde es mich nicht wundern, wenn alle es mitbekommen hatten.

In meinem AbgrundWhere stories live. Discover now