Heimatkoordinaten

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Herr vollbärtiger Barkeeper hatte mir rotzfrech meinen Autoschlüssel entwendet. Er nannte es Aufpassen, ich nannte es Aufdrängen. Ich hatte schließlich schon oft besoffen Maschinen bedient. Dabei war ich vielleicht noch nie so dicht wie heute gewesen, aber ich würde angekommen. Und selbst, wenn ich in Stücken zu Hause abgeliefert werden würde, wäre es immer noch besser, als mir sein neunmalkluges Gelaber antun zu müssen.

„Das wird schon wieder. Jedes Paar verkracht sich mal. Meine Frau und ich haben schonmal mitten im Scheidungsjahr gesteckt und uns trotzdem wieder zusammengerauft."

„Ich habe nicht getrunken, weil wir uns gestritten haben." Ich verzog das Gesicht. Warum war denn heute jeder der Meinung, zu wissen, was in mir vorging?

„Oh Junge, du bist ziemlich fertig, hm? Du nuschelst." Er lachte, ich blickte nicht ganz durch, weshalb. Ich meine, in meinen Ohren klang ich total nüchtern. Aber vielleicht war das auch nur Wunschdenken, keine Ahnung.

„Also mach dir keinen Kopf, okay? Kauf' ihm einen schönen Strauß und die Sache ist wieder geritzt."

Ich war aber nicht schuld an der Auseinandersetzung!" Na gut, vielleicht lallte ich doch ein bisschen. Ein bisschen sehr extrem.

„Manchmal muss man über seinen Schatten springen. Weißt du, wie oft ich mich schon bei meiner Ollen entschuldigen musste, obwohl ich rein gar nichts gemacht habe?" Schmunzelnd holte er ein Päckchen Zigaretten aus seiner Tasche und zündete sich einen Sargnagel an.

Ich beobachtete ihn einen Moment dabei, bevor ich die Hand in seine Richtung ausstreckte. „Ich will auch einen."

„Nope, kannst du knicken. Das würde dir bloß einen zusätzlichen Rausch verpassen."

„Und?" Genervt schnippte ich mit den Fingern, aber er rauchte einfach weiter, ohne mir ebenfalls einen anzubieten. Stattdessen grinste er mich belustigt an.

„Dein Freund hat's auch nicht gerade leicht mit dir, was? Bist ja ziemlich fordernd."

Ich schnalzte mit der Zunge, atmete tief ein. Mir war immer noch schlecht, obwohl ich mich bereits mehrmals über die Klobrille gebeugt hatte – was eventuell auch daran liegen könnte, dass ich danach einfach munter weitergetrunken hatte.

Hm.

„Der mag das, wenn ich so bin."

„Das bezweifle ich aber. Der Kleine hat ausgesehen, als würden die Niagarafälle seinen Augen entspringen."

Dann hatte er seine Tränen ja nicht unbedingt lange einhalten können, nachdem er getürmt war.

Ich wandte mich ab, verschränkte die Arme vor der Brust, fiel aufgrund der Bewegung leicht auf die Seite, rappelte mich aber noch rechtzeitig wieder auf, bevor ich den Asphalt küssen konnte. Ich sah auch ohne weitere Missgeschicke schon lädiert genug aus.

„Manchmal muss man eben in den sauren Apfel beißen."

„Es interessiert mich nicht, was du dazu zu sagen hast", murmelte ich leicht abgelenkt, weil seine nutzlose Lebensweisheit mir gerade Bilder in den Kopf drängte, auf denen ich Noah biss, weil er ein Apfel war. Also, weil er nach einem roch.

Ich fasste mir an die Stirn. Was für ein dummer Vergleich.

„War nur ein gut gemeinter Rat."

Ich antwortete nicht und schaute stur auf die Straße, wartete auf zwei Scheinwerfer, die mich endlich von diesem Typen wegbringen würden.

Ein paar Ewigkeiten später war es dann schließlich so weit.

„Mein Autoschlüssel", verlangte ich und nahm sie ihm grob ab, als er sie glucksend vor mich hielt.

In meinem AbgrundWhere stories live. Discover now