Büffel und Elefanten (Teil II)

333 29 74
                                    


Man lernte nie aus, egal in welchem Alter man sich befand. Ich für meinen Teil lernte an diesem Tag, dass ich nicht nur eine Abneigung gegen Hundewelpen hatte, sondern gegen alle Arten von Miniaturgeschöpfen, deren Schädelknochen mit der eisernen Kraft eines vierjährigen Kindes und eines Steines zerschmettert werden konnten.

Mit anderen Worten: ich hatte Angst vor Kaninchen.

„W-willst du es streicheln?" Noah hielt mir einen der mausgrauen Schlappohren entgegen. Dunkle Knopfaugen funkelten mich an.

Ich trat unauffällig den Rückzug an und schlich mich zur anderen Seite des eingezäunten Streichelzoos, der in der Mitte durch eine Schiebetür in zwei Hälften geteilt wurde. Auf der einen Seite huschten Karnickel und Meerschweinchen durch die Gegend, auf der anderen Ziegen und Schafe. Und weil letztere keine Herzrhythmusstörungen hervorriefen, verschanzte ich mich in ihrem Bereich.

„Passt schon", sagte ich, als ich drüben ankam, und wurde sogleich von einer Schar auffordernder Blicke begrüßt. Scheinbar wurden Ziegen stinkig, wenn man ohne Futtertüte bei ihnen ankreuzte. Anders konnte ich mir den Schädel nicht erklären, der immer wieder hart gegen mein rechtes Bein stieß. Angepisst.

„D-du musst ihnen was zu essen geben." Tierflüsterer Noah stiefelte zur Abgrenzung, das Häschen immer noch an seine Brust gedrückt, und hielt mir seine Tüte mit den Karottensnacks hin.

Ich grapschte mir eine halbe Handvoll und ließ es auf den Boden rieseln, aber sie ignorierten diese liebevolle Geste einfach und glotzten mich weiter an. Und boxten mich mit ihren Köpfen.

Ich kniff die Augen zusammen und starrte zurück. Keine Ahnung, was die von mir wollten. Das Futter lag genau zu ihren Füßen.

„N-nein." Noah schüttelte den Kopf. „Mit der Hand."

„Mit der Hand?" Ich schnitt eine Grimasse. „Dann hab ich deren Speichel an meiner Haut kleben. Die sollen sich mal nicht so anstellen und nehmen, was sie kriegen. Vom Boden."

„D-da hinten ist eine Toilette zum Händewaschen." Und das haute er mit völlig nichtssagender Mimik raus, als würde er irgendetwas von mir erwarten – vermutlich, dass ich die Dreckswesen tatsächlich direkt fütterte und nicht über Umwege.

Toll.

Ich wandte mich von den Viechern ab und öffnete die Schiebetür für ihn, weil ich mich ganz bestimmt nicht dreckig machen würde. „Du kannst sie gerne füttern, wenn du Tiersabber so toll findest."

Er rollte mit den Augen. Wenn er nicht damit aufhörte, verdrehte ich ihm auch gleich etwas. „H-hier, nimm kurz."

Menschliche Reflexe waren Mist. Als Noah auf meine Seite herüberwechselte und mir im Vorbeigehen das Kaninchen in die Arme drückte, griff ich wie von selbst zu, komplett automatisch, ohne mir Gedanken darüber zu machen, was ich da gerade tat. Die Realisation kam erst, als das Ding in meinen Armen zu strampeln begann und ich mich selbst wie aus der Vogelperspektive dabei beobachten konnte, wie ich zugriff. Fester, immer fester, damit es nicht herunterfiel. Damit es aufhörte zu zappeln. Versehentlich. Extra.

„P-Paul?"

Das Kaninchen zitterte.

„Paul?"

Ich konnte mich selbst atmen hören. Nur hatte ich das Gefühl, dass für die Lautstärke verhältnismäßig wenig Sauerstoff in meinen Lungen ankam. Bis meine Hände plötzlich leer waren. Von einem Herzschlag auf den anderen war da kein Fell mehr, das über meine Haut rieb, kein ängstliches Quieken. Einfach Leere – und Noah.

In meinem AbgrundWhere stories live. Discover now