Mörderische Missverständnisse

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Also irgendwie kam ich mir leicht paranoid vor.

Ich verschränkte die Arme vor der Brust.

Es könnte natürlich auch reiner Zufall sein. Wäre allerdings ein seltsamer Zufall, nachdem ich mit eigenen Augen festgestellt hatte, dass die Wäschetrommel leergefegt war und auch keine weitere Maschine mehr lief. Genauso wenig, wie noch etwas zum Trocknen auf der Terrasse hing. Und die gebügelten Sachen hatte meine Mutter mir heute Morgen aufs Bett gelegt.

Die Sache war nun aber die, dass mir ein Pullover und zwei T-Shirts fehlten – unter anderem das, was ich gerade am Leib trug. Jenes, das Noah mir geliehen hatte. Und sich jetzt nicht mehr in meinem Schrank befand.

„Nicht sein scheiß Ernst", murmelte ich vor mich hin und durchsuchte ein letztes Mal meine Kleiderstapel, aber nichts. Die waren weg. Und meine Mutter hatte sie mit Sicherheit nicht weggeworfen.

Oder hatte ich sie mal bei Andrea liegenlassen?

Gut möglich.

Leider war es auch genauso gut möglich, dass Noah mein Zeug hatte mitgehen lassen – nur wann? Er hatte nie einen Rucksack dabeigehabt, oder? Und sooft war er auch noch nicht hier gewesen.

Seufzend fuhr ich mir durchs Haar.

Eventuell hatte ich ihn minimal unterschätzt, was seine Obsession mir bezüglich anging. Aber darüber würde ich mir den Kopf zerbrechen, wenn es soweit war. Heute Mittag zum Beispiel, wenn ich den kleinen Freak wieder von der Schule abholte. Dann würde ich aus ihm herausquetschten, was an meiner Anschuldigung tatsächlich dran war.

Aber vorerst hatte ich etwas Besseres zu tun. Es gab nämlich noch drei leicht bis stark beschränkte Jungen, um die ich mich kümmern musste. Da ich allerdings nicht Superman war und es mit allen gleichzeitig aufnehmen konnte, musste ich sie einzeln erwischen. Bestenfalls in einer dunklen Seitengasse.

Ich wandte mich von meinen vermissten Kleidungsstücken ab und machte es mir mit meinem Laptop auf dem Bett bequem, bevor ich auf Facebook Noahs Profil aufrief.

Wie erwartet, hatte der Idiot Dennis, Yannik und Marvin in seiner Freundesliste. Keine Ahnung, was er sich dabei dachte, mir kam es aber sehr gelegen. Es wäre mühsam gewesen, jeden einzelnen Marvin nach dem richtigen abzusuchen. Und weil der Ginger gerade eh fröhliche Erinnerungen an meine eigene Schulzeit heraufbeschwor, fing ich auch gleich mit ihm an.

Bloß wurde nichts aus dem Versuch, weil er seine Seite für Fremde nicht zugänglich geschaltet hatte. Nur Freunde hatten Zugriff auf seine Daten.

Hm.

Freunde, ja?

Ich zog mein Handy aus der Hosentasche und tippte eine kurze Nachricht an Noah: Schick mir die E-Mailadresse, mit der du dich bei Facebook angemeldet hast, und dein Passwort.

Es dauerte vielleicht zehn Minuten, dann hatte ich meine Antwort.

Obsessive Weirdo: Ich habe mein Profil doch extra öffentlich gestellt.

Das war nicht, worum ich ihn gebeten hatte. Wobei-

Wie meinst du das?, schrieb ich zurück und legte meinen Laptop auf meinem Bauch ab, um beide Hände frei zu haben.

Obsessive Weirdo: Damit du bei mir nachgucken kannst, wenn du magst.

Dann war er überhaupt nicht leichtsinnig gewesen und hatte den Scheiß absichtlich für mich sichtbar gemacht?

Wirklich, Noah war nicht ganz so blöd, wie ich es wohl gerne hätte.

Ich brauche Zugriff auf Marvins Profil, deswegen muss ich mich bei dir einloggen, wechselte ich zurück zum eigentlichen Thema.

In meinem AbgrundWo Geschichten leben. Entdecke jetzt