Falsche Schuldzuweisungen

312 37 112
                                    


Es wunderte mich nicht im Geringsten, dass ich von irgendwelchen verworrenen Kriegszuständen träumte. Vor unserer Haustür herrschte nämlich gerade einer.

Benommen pflückte ich mein Gesicht von der Tischplatte und starrte auf die Uhr am Ofendisplay. 23:54. Gar nicht mal spät. Mein Nickerchen hatte keine halbe Stunde gedauert. Aber der Weckdienst könnte netter sein.

Moment!", schnauzte und quälte mich in die Senkrechte. Welcher lebensmüde Hornochse hämmerte bitte um diese Uhrzeit auf unsere Klingel ein?

Ich schlurfte aus der Küche, in den Flur und blickte zur Eingangstür. Durch die drei Parallelogramme aus Milchglas konnte ich eine schemenhafte Gestalt im Licht der Straßenlaternen erkennen. Eine kleine Gestalt.

Wenn Niels gekommen war, um sich über meine wenig freundliche Nachricht zu beschweren, könnte er klopfen und bimmeln, soviel er wollte. Ich hatte morgen frei, dementsprechend gab es keinen notwendigen Schlaf, von dem er mich damit abhalten könnte. Auf Streitgespräche hatte ich gerade nämlich absolut keine Lust. Da nahm ich liebend gerne eine nervige Geräuschkulisse in Kauf.

„Wer ist da?", fragte ich vorsichtshalber und verschränkte schon einmal abwehrend die Arme vor der Brust. „Niels?"

„N-nein. Nicht Niels!"

Oha. Was wollte Noah denn hier? Als er zurück ins Gebäude gestampft war, hatte er nicht unbedingt danach ausgesehen, als würde er mich so schnell wiedersehen wollen.

Oder?

Ich runzelte die Stirn und dachte gar nicht lange nach, bevor ich einfach die Tür aufzog und – Sternchen.

Benommen stolperte ich einen halben Meter nach hinten weg und fasste mir perplex an die Nase.

Hatte er mir gerade etwa...?

„Was zum Henker?", stieß ich aus und hatte gerade mein Gleichgewicht zurückerlangt, als er mich wie ein Profi-Wrestler bodycheckte. Mit genügend Anlauf, um mich von den Füßen zu reißen, wohlgemerkt, weil man mit Socken auf gebohnerten Fliesen wirklich verdammt wenig Grip hatte. Und es war auch verdammt unangenehm, mit dem Hintern voraus auf den Boden zu fliegen.

„D-du scheiß ... du scheiß Arschloch!" Ich war noch damit beschäftigt, mein Kreuzbein zu bemitleiden, als er ausholte und mir eine Ohrfeige verpasste, die es, im Gegensatz zu seinem vorangegangenen Hieb, mächtig in sich hatte. Sie war deftig genug, um meine Welt in einen einzigen kreischenden Ton zu verwandeln, der mich hastig nach seinen Handgelenken schnappen ließ, bevor er zur nächsten Backpfeife ansetzen konnte.

Geht's noch?", fluchte ich und starrte entgeistert auf seine rechte Hand in meiner. Die Innenfläche war gerötet, so erbarmungslos hatte er mich eben geschlagen. Das war-

Ich hatte keine Ahnung, was das war. Außer falsch. Ich meine, Noah benahm sich, als wäre er ein Gremlin, den jemand versehentlich nach Mitternacht gefüttert hatte. Dabei hatten wir noch nicht einmal offiziell Null Uhr.

„W-wie konntest du nur?!" Meine Wangen wurden nass. Das war untypisch, weil ich seit Jahren nicht mehr geflennt hatte und es auch im Moment nicht tat.

Irritiert kniff ich die Lider zusammen und richtete meine Aufmerksamkeit von Noahs Hand auf sein Gesicht, das aus nächster Nähe erschreckend danach aussah, als würde es schon seit geraumer Zeit aus allen Löchern Flüssigkeit absondern.

Hatte ich etwas verpasst? Nach der Aktion hinterm Parkplatz hatte ich doch gar nichts mehr gemacht. Ergo hatte er gar keinen Grund, so verzweifelt auf mich einzudreschen und dabei zu gucken, als hätte er in mir den Leibhaftigen in Persona gefunden.

In meinem AbgrundHikayelerin yaşadığı yer. Şimdi keşfedin