Hausfriedensbruch

401 44 180
                                    


Es war minimal verstörend, als erste Tätigkeit des Morgens die Glubscherchen zu öffnen und direkt in die schwarzen Lochaugen eines weiß-roten Clowns zu blicken, der einen mit seinem nichtssagenden Strichlächeln bedachte.

„Nimm das Scheusal aus meinem Sichtfeld."

Noah zuckte leicht, dann tauchte seine Visage hinter der des Clowns auf. „Mh?"

„Ich hätte dir die Dinger nicht geschenkt, wenn ich gewusst hätte, dass ich du sie ins Bettchen mitnimmst."

„I-ich hatte noch n-nie eines."

„Ein Kuscheltier?"

Er nickte sachte, drückte den Clown an seine Brust. Seine Lider waren noch halb geschlossen, er noch nicht richtig wach. „M-mein Vater hat gesagt, d-dass das Mädchenkram ist."

„Sehr sympathischer Mann, immer noch." Ich rollte mich auf den Rücken, fuhr mir durchs Haar, gähnte. „Ich habe zur Geburt einen Plüschwolf geschenkt bekommen. Von meinem Vater."

„H-hast du ihn immer noch?"

„Nein." Ich schüttelte den Kopf. „Der ist jetzt Emmas Eigentum."

„Oh."

Ich runzelte die Stirn. „Warum klingst du traurig?"

„W-weil es dein erstes Kuscheltier war. Und es jetzt n-nicht mehr dir g-gehört."

„Als wäre das ein Drama. Ist ja nicht so, als würde ich ihn noch brauchen."

„Ich habe auch keine Sp-Spielsachen mehr von früher."

„Aha."

Wir verfielen in Schweigen.

Ich tastete nach meinem Handy, das die Nacht hinweg irgendwo zwischen Wand und Bett eingeklemmt worden war.

Acht Uhr Siebzehn. Um neun begann der Zwischendienst.

Seufzend richtete ich mich auf. „Ich muss aufstehen."

„O-okay." Noah erhob sich ebenfalls, legte den Clown aufs Kopfkissen. „I-ich mache dir wieder Frühstück. A-also, wenn du möchtest."

Wie kam er überhaupt auf den Gedanken, ich würde nicht wollen? Er war doch sogar derjenige, der mich ständig mit Essen bestach.

„Habt ihr einen Sandwichmaker?"

„Ähm, ja?"

„Dann benutz' ihn. Ein Brot mit Käse und Salami, das andere mit Schinken."

Er befreite sich hastig von der Decke. „I-ich beeile mich!"

Ich antwortete nicht, sah ihm stumm dabei zu, wie er aus dem Zimmer und in die Küche flitzte.

Währenddessen haute ich mich nochmal für fünf Minuten hin.


Ich sollte zur Arbeit, aber mit dem Sollen war das so eine Sache. Das war nichts für mich.

Dabei hatte ich schon auf dem Parkplatz des Krankenhauses gestanden, nur um wieder umzudrehen und zurück in mein Bett zu kriechen. Der Stationsleitung erzählte ich etwas von Magen-Darm, da fragte nie einer genauer nach. Vor allem nicht, wenn man gerade einen Patienten mit Verdacht auf Clostridien bei sich isoliert lagerte. Wer könnte schon mit hundertprozentiger Sicherheit sagen, ob ich mir nicht ein paar seiner Erregerchen eingefangen hatte?

Zufrieden wickelte ich mich in meine Decke ein, den Laptop seitlich aufgestützt, damit ich im Liegen lesen konnte. Dennis' Facebook-Profil. Der war nämlich der nächste Kandidat auf meiner Abschlussliste. Allerdings gab es bei ihm tatsächlich absolut nichts Weltbewegendes. Eine kleine Schwester ungefähr in Emmas Alter, keine Haustiere, keine Freundin, keine dummen Posts, aus denen ich ihm irgendwie einen Strick drehen könnte. Und scheinbar keine Besitztümer, die ihm irgendwie wichtig waren.

In meinem AbgrundWo Geschichten leben. Entdecke jetzt