Auf den Hund gekommen (Teil I)

381 45 104
                                    


Der Wasserkocher blubberte. Ich verfolgte die Bewegungen, spielte mit dem Teebeutel in meiner Tasse.

Mein Kopf schmerzte wieder, aber ich war mir sicher, dass es dieses Mal nichts mit meiner bestimmt schon ausgeheilten Gehirnerschütterung zu tun hatte. Eher mit der Tatsache, dass meine Mutter sich für den Tag von der Arbeit hatte freistellen lassen. Und jetzt der Meinung war, Emma von der Schule abholen zu müssen, obwohl das heute meine Aufgabe gewesen wäre.

Ich meine, was dachte diese Frau eigentlich? Dass ich meine kleine Schwester erdrosseln würde? Dass man mich mit ihr nicht alleinlassen konnte?

Der Schalter sprang klackend um, ließ mich wissen, dass der Kocher die gewünschte Temperatur erreicht hatte.

Genervt kippte ich das Wasser in meine Tasse und schwenkte den Beutel darin etwas herum, sah zu, wie die Farbe sich langsam ausbreitete, während der süße Duft nach Äpfeln in die Luft stieg.

Das hätte ich eigentlich vor über einer Stunde gebraucht.

Ich wartete stumm die acht Minuten Ziehzeit, bevor ich den ersten Schluck tat und mir prompt die komplette Zunge verbrannte.

Fluchend ließ ich den Tee wieder sinken, wischte mir übers Gesicht.

Ich war müde, aber dieses Gefühl in meinem Magen ließ mich einfach nicht zur Ruhe kommen. Genau deswegen stand ich, wie bestellt und nicht abgeholt, hier unten herum und wartete darauf, dass meine Mutter mit Emma wieder nach Hause kam, weil der Giftzwerg mich ja vielleicht irgendwie ablenken konnte. Mit ihrer sorgenfreien, kindlichen Naivität.

Netterweise drehte sich keine Viertelstunde später bereits der Schlüssel in der Haustür herum, bevor Emma auch schon zu mir in die Küche gehüpft kam, als wüsste sie, zu welcher Aufgabe ich sie gerade innerlich verdonnert hatte. „Mama hat gesagt, du kannst mich nicht abholen, weil du einen Schädel-Hirn-Traum hast!"

Ich hob eine Braue. „Trauma. Keinen Traum."

Der Unterschied interessierte sie nur scheinbar nicht, so belanglos, wie sie mit den Schultern zuckte. „Aber bei den Hausaufgaben kannst du mir trotzdem helfen, oder?"

„Mh." Darauf hatte ich gehofft – auf Mathematikaufgaben, die so stumpfsinnig waren, dass sie meinen Schädel mit dumpfer Watte vollstopfen würden.

„Ich kann dir auch helfen, Schatz." Meine Mutter trat zu uns, vermied den direkten Blick in meine Richtung.

Ich verspannte mich. „Passt schon, Mama. Ich mache das gerne." Außerdem brauchte ich diese Tätigkeit, um ihr keine zu scheuern. Ich fühlte mich momentan etwas gewaltbereit.

„Genau! Paul hilft mir." Emma packte mich am Handgelenk. „Wir gehen jetzt hoch. Komm, Frankenstein!"

Ich warf meiner Mutter ein gehässiges Lächeln zu, weil die Nervensäge sich glasklar für mich entschieden hatte, bevor ich mich wieder meiner Schwester zuwandte. „Und es heißt immer noch Frankensteins Monster."


„Hast du Streit mit Mama?"

„Ein bisschen."

„Ihr streitet öfter, oder? Sie ist manchmal voll komisch, wenn du da bist."

Ich antwortete nicht, tippte stattdessen auf eine der Rechenaufgaben. „Wenn du alle Nummern in der Reihe zusammenzählst, was kommt dann raus?"

„Ähm." Sie benutzte ihre Finger, runzelte dabei die Stirn. „Zweiundzwanzig?"

„Warum hast du dann in der nächsten Zeile eine Drei hingeschrieben?"

In meinem AbgrundWo Geschichten leben. Entdecke jetzt