Fehlgeschlagener Selbstbetrug (Teil II)

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Es gab Dinge, die musste man wohl einfach auf die harte Tour lernen. Eines dieser Dinge war es, aufdringliche Nachbarinnen nicht unbeaufsichtigt zu lassen.

„Süß!" Ronja schmunzelte. „Voll niedlich." Und dann lachte sie. Sie lachte mich aus.

Mein Gehirn erlebte einen spontanen Kurzschluss, einen, der mich vorpreschen und sie unsanft mit dem Rücken gegen meine Schreibtischkante befördern ließ, eingekesselt von meinem Körper.

Nichts anfassen", zischte ich. „Ich habe dir gesagt, dass du nichts anfassen sollst!"

Keine Ahnung, was für eine Reaktion ich darauf von ihr erwartete, aber ganz sicher kein Schnauben.

„Ist ja gut." Und dann legte sie meine Spieluhr einfach auf meinem Schreibtisch ab, als wäre nichts gewesen. Es verwirrte mich – die Tatsache, dass sie ohne Widerstand nachgab und sich keinerlei Einschüchterung in ihrem Gesicht abzeichnete.

Hatte ich ihr keine Angst eingejagt?

Unruhig trat ich einen Schritt nach hinten. Wütend zu sein, war schwer, wenn sie nicht wie erwartet reagierte. Es sorgte dafür, dass ich eher sauer auf mich selbst wurde, weil ich meine Spieluhr einfach nachlässig auf meinem Kopfkissen liegengelassen hatte. Es hätte nicht sein müssen, wäre die letzte Nacht nicht dermaßen anstrengend gewesen.

„Sorry." Sie zog die Schultern hoch. „Eigentlich wollte ich mich hinter der Tür verstecken und dich erschrecken, wenn du aus dem Bad kommst, aber dann hab ich deine Spieluhr gesehen und die ist so niedlich!" Ihre Hände klatschten gegen ihre Wangen, sie sah verzückt aus – ich konnte dieses Benehmen nicht deuten, wusste nicht, ob die Mimik schadenfreudiger Intention entsprang und sie plante, mich zukünftig damit zu erpressen, dass ich wie ein verschissenes Kleinkind auf Twinkle, twinkle little Star angewiesen war, um an rauen Abenden einschlafen zu können.

Scheiße.

Ich verkürzte den eben selbst hergestellten Abstand wieder, verschränkte die Arme vor der Brust. Ich durfte sie nicht wissen lassen, was es mit meiner Spieluhr auf sich hatte. Ich durfte nicht zulassen, dass sie mich wie Noah damals behandelte. Das wäre fatal.

„Du wirst niemandem davon erzählen", warnte ich sie, um meinen Standpunkt klarzumachen. „Das Drecksteil habe ich eh nur, weil es ein Erinnerungsstück ist."

Sie grinste, weiterhin keineswegs eingeschüchtert. „Klar, nur deswegen."

Okay, nein, falscher Alarm. Ich konnte doch noch wütend auf andere werden. Und Hitze verspüren. Dieses ekelhafte Gefühl, wenn die Gefäße im Gesicht sich aus irgendeinem Grund weiteten und das Blut sich in den Wangen staute.

Ich hasste es. Es machte mich wahnsinnig, wenn ich die Kontrolle über meinen Körper verlor. Solche Dinge passierten mir nicht – ich musste es rückgängig machen. Ronja sollte verstehen, wo sich ihr verdammter Platz befand, nämlich nicht über mir. Sie hatte dankbar dafür zu sein, wenn ich ihr erlaubte, in meinem Schatten zu stehen.

Nerviges, exzentrisches Weib.

Meine Finger fanden ihr Kinn, rissen ihr Gesicht zu mir nach oben, während ich meine Stimme eine Oktave tiefer fallen ließ. „Machst du dich gerade über mich lustig?"

Es funktionierte nicht, hatte überhaupt keine Wirkung auf sie. Meine Mutter, die hätte gezuckt und sich hilfesuchend nach ihrem Ehemann umgeschaut, aber Ronja musterte mich einfach nur irgendwie neugierig und ich kam, zum Teufel, nicht dahinter, warum die Frau keinerlei Angst zeigte. Stattdessen formte sie mit ihrem Mund ein großes Oh, als hätte ich ihr gerade irgendwelche anatomische Zusammenhänge erklärt, die sie im Unterricht verschlafen hatte.

In meinem AbgrundOpowieści tętniące życiem. Odkryj je teraz