Spiele im Supermarkt

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Mein Vater war anders als meine Mutter. Er glaubte nicht daran, was etliche Psychologen bestätigt oder eben nicht bestätigt hatten. Für ihn war es Mumpitz, für mich war es schrecklich praktisch. Er hatte keinen Grund, mich zu kontrollieren.

„Na, Großer?" Er steckte den Kopf durch den Spalt zwischen Tür und Rahmen und blickte mich fröhlich an.

Ich drehte mich auf meinem Stuhl zu ihm herum. Es war sein kleines Ritual, mich nach der Arbeit kurz zu begrüßen, sich auf das Fußende meines Bettes zu setzen und seine fünf Minuten Vaterschaft zu genießen. Mich störte das nicht, ich sorgte lediglich dafür, dass er mich immer dann erwischte, wenn ich augenscheinlich gerade lernte.

Ich war artig. Und das durfte er Mama ruhig stecken, wenn sie ihn gleich darüber ausquetschen würde, worüber wir uns denn unterhalten hätten.

„Hallo", erwiderte ich und sah ihm dabei zu, wie er es sich auf meiner Matratze gemütlich machte. „Wie war die Arbeit?"

„Ach, wie immer." Er winkte ab. „Viel zu tun, wenig Zeit."

„Habt ihr nicht im Frühling immer die Reifenwechsel?"

Er brummte. „Ja, die beginnen auch bald wieder."

„Dann bist du wieder jeden Samstag in der Werkstatt?"

„Genau." Er fuhr sich durchs Haar. Aus irgendeinem Grund hatte er es sich angewöhnt, zu mir zu kommen, bevor er duschen ging. Seine Unterarme waren von schwarzer Schliere übersät, sein Blaumann durch und durch beschmutzt. Wenigstens pflanzte er seinen Hintern nicht mehr auf mein Kopfkissen, das war schon einmal ein Fortschritt. „Und wie war's in der Schule?"

„Gut." Ich zog die Stuhllehne vor mich, um meinen Schädel darauf ablegen zu können. „Wir durften eher weg. Also war ich nochmal bei Tina."

„Tina?" Papa wackelte mit den Brauen.

Ich grinste zurück. „Mhm."

„Ist es mittlerweile was Ernstes? Willst du sie mal zum Kuchen einladen?"

„Himmel, nein!" Mir entschlüpfte ein abwertendes Lachen. „Ich will nichts von ihr. Zumindest keine Beziehung."

„Brich ihr nicht das Herz." Er wollte streng sein, aber das Blitzen in seinen Augen verriet ihn. Wäre auch schwachsinnig von ihm, mich belehren zu wollen, wo der doch in seiner Jugend selbst ein derartiger Freigeist gewesen war.

„Keine Sorge, sie weiß, woran sie bei mir ist."

„Na dann." Er klopfte sich kurz auf die Oberschenkel. „Gib mir Bescheid, wenn du die Richtige kennenlernst." Und stand auf. „Dann musst du sie uns vorstellen."

„Sicher doch. Das lasse ich mir bestimmt nicht entgehen."

Er lachte rau. „Schlaf gut, Großer."

„Gleichfalls. Und", ich zwinkerte ihm schelmisch zu, „erzähl Mama nichts davon, dass ich nur Spaß mit Tina habe. Du weißt, sie versteht solche Dinge nicht."

Er tat, als würde er sich einen Reißverschluss vor dem Mund zuziehen, und verließ mein Schlafzimmer. Mein Signal, endlich meine Lernunterlagen beiseite zu schieben. War schließlich nicht so, als hätte ich sie mir tatsächlich angeschaut. Immerhin zählten die Noten bis zum Examen nicht.

Stattdessen schnappte ich mir meinen Laptop, ein Paar Kopfhörer und verbrachte den Rest des Tages damit, mir sinnlose Videos auf Youtube anzusehen, während Papa im Nebenraum Partei für mich ergriff.

Weil ich ein derart intelligenter, lieber Junge war. Und weil man als Mutter doch nicht misstrauisch dem eigenen Sohn gegenüber sein durfte.

Ich hörte ihnen eine Weile lang zu, dann drehte ich die Lautstärke höher und ließ mich beschallen, bis ich müde genug war, um endlich einzuschlafen.

In meinem AbgrundWhere stories live. Discover now