Halbwahrheiten

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Abgesehen davon, dass ich scheinbar am Nachmittag einem nervigen Gespräch mit Noah ausgesetzt sein würde, hatte ich ein noch viel größeres Problem, das ich irgendwie nicht bedacht hatte.

Buddy musste mal raus. Und außer mir war natürlich niemand zu Hause.

Ich rieb mir über den Nasenrücken.

Fantastisch. Jetzt hatte ich die Wahl zwischen einem, im schlechtesten Fall, vollgeschissenen oder einem, im besten Fall, vollgepissten Boden. Beides war nichts, bei dem ich mich sonderlich freuen würde. Was auch der einzige Grund war, warum ich mich überhaupt traute, einen Schritt auf das Drecksvieh zuzumachen.

Dabei half es nicht unbedingt, dass er wie irre an der Leine zog und mich ankläffte. Im Gegenteil verpasste es mir eine halbe Panikattacke.

Ich konnte das nicht.

Unwohl blieb ich stehen, als Buddy hochsprang, sich auf die Hinterbeine stellte und mir seinen Bauch zeigte. Der Anblick löste minimal Übelkeit in mir aus.

Einundzwanzigjähriger Pseudopsychopath hat eine Heidenangst vor süßen Baby-Welpen. Holt die Presse.

„Runter!", zischte ich und seufzte frustriert, als er mir nicht gehorchte. Stattdessen machte er einige tapsige Schritte auf seinen Hinterläufen und bellte mich weiter an.

Ich atmete tief ein, fischte mein Handy aus der Tasche.

Es war nur ein flüchtiger Gedanke, der mich dazu drängte, meine Mutter anzurufen, weil ich wusste, dass sie mit Karacho hier antanzen würde, sobald ich auch nur das Wort Hund erwähnte. Vor allem im Zusammenhang mit dem Satzanfang Ich bin allein mit.

Aber jetzt nachzugeben, wäre in etwa, als würde ich mir eingestehen, gegen diesen beschissenen Köter verloren zu haben.

Ich meine, ich könnte es schaffen. Wenn ich vorsichtig war und Handschuhe trug und eventuell irgendwo eine Ritterrüstung fand.

„Scheiße." Ich lachte bitter. Mein Verhalten war vollkommen albern. Der Mist mit Hektor war jetzt über siebzehn Jahre her, schätzungsweise. Damals war ich noch ein Kind gewesen, mittlerweile war ich erwachsen.

Nur nützte mir das Wissen darum nichts, weil Buddy selbstverständlich der gleichen Rasse angehören musste. Wie sollte es auch anders sein?

Bedenke, dass du dir das selbst eingebrockt hast.

„Okay, hör zu." Ich beugte mich minimal vor. „Ich werde gleich nach der Leine greifen und du wirst stillhalten, geht das in dein Miniaturgehirn?"

Bellen.

Könnte man als Zustimmung deuten. Oder auch als Warnung.

Jetzt oder nie.

Ich spannte mich an, bückte mich-

Und entfernte mich wieder.

„Ruhig, ruhig." Ich wischte mir mit beiden Händen übers Gesicht. „Das ist nicht so schwer. Er kann dir nichts tun. Und du ihm genauso wenig."

Der nächste Versuch.

Ich lief extra langsam um ihn herum. Mittlerweile kam es mir nur noch unpraktisch vor, dass Noah einen derart festen Knoten in die Leine gewebt hatte.

„Bleib", mahnte ich und hatte gerade die Hand nach meinem Ziel ausgestreckt, als eine klebrige Zunge mich streifte.

Ich quietschte. Wie eine gottverdammte Gummiente.

In meinem AbgrundWhere stories live. Discover now