(K-)ein Familienessen (Teil I)

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Das seltsame an auferlegten Gesetzen war, dass man sich natürlicherweise dagegenstellen wollte. Ich hätte die Nacht sehr wohl im Gästezimmer verbringen können. Die Bettwäsche war bequem und mein Körper nach dem Orgasmus müde, aber die bloße Tatsache, dass Tantchen der Meinung war, mir vorschreiben zu können, wo ich die nächsten Stunden zu verbringen hatte, löste in mir, je länger ich darüber nachdachte, desto heftiger den Drang aus, mein Lager woanders aufzuschlagen.

So kam es schließlich dazu, dass ich stumm auf den Flur hinaus linste.

Zum einen hoffte ich irgendwie, dass Ingrid mich erwischte. Die Frau war unterhaltsam und ich stellte mir unweigerlich vor, wie sich mich lauthals fluchend mit einem Schlappen in der Hand zu meinem vorgesehenen Bett jagen würde. Zum anderen wäre es sicher nicht minder witzig, wenn sie am nächsten Morgen Noahs Zimmer betrat und mich darin vorfand.

Ich wählte die zweite Möglichkeit.

Grinsend schlüpfte ich hinaus, vor mir freie Bahn, und huschte zur richtigen Tür. Lautlos drückte ich sie auf, dahinter völlige Dunkelheit. Aus den Untiefen hörte ich gleichmäßiges, leises Atmen.

Möglichst unauffällig betrat ich den Raum und tastete mich vorsichtig bis zu Noah vor. Jetzt war es praktisch, dass er nichts mittendrin stehen hatte. Weniger gefährlich für meine Zehen.

Dann traf mein Schienbein auf die Bettkante.

Ich hielt inne und kniete mich nieder, blinzelte in die Schwärze, bis meine Augen sich daran gewöhnt hatten.

Da lag er, mit dem Gesicht in meine Richtung und einem Knäul zwischen den Armen.

Der Freak kuschelte doch tatsächlich mit dem T-Shirt, dass ich nach der Störung durch Ingrid hiergelassen hatte.

Gruselig, das stank bestimmt nach billigem Wodka und Schweiß.

Mit hochgezogenen Brauen zupfte ich leicht daran, aber er reagierte nicht, deswegen ging ich rotzfrech dazu über, ihn einfach an den Schultern an die Wand zu schieben. Seine Matratze bot an für sich gerade mal genug Platz für eine Person. Ich brauchte ein paar Zentimeter mehr, um mich zu ihm quetschten zu können.

„Was ...?" Verschlafen löste er den Klammergriff um sein selbsternanntes Kuscheltier und streckte blind die Hand aus.

Direkt in mein Auge.

„Verflucht, kannst du mal aufhören, mir heute ständig wehzutun?", zischte ich und zwinkerte gegen die Tränen an, die sich unweigerlich am unteren Lidrand bildeten.

Paul?" Er schoss hoch, starrte mich an. „Was machst du h-hier? Wenn meine T-tante wiederkommt und dich sieht, dann-"

„Wenn du weiterhin dermaßen laut bleibst, hört sie uns mit Sicherheit", murmelte ich und stieß ihn, zugegeben, vielleicht ein bisschen brutaler, als nötig gewesen wäre, zur anderen Bettseite, bevor ich mich neben ihn zwängte.

Er quiekte, ich entriss ihm mein Oberteil und warf es auf den Boden. „Mach so etwas nicht."

„W-wie ...?"

„Mit meiner verschwitzten Kleidung schmusen."

Er riss die Augen weit auf. „Ich habe nicht-"

„Natürlich nicht. Deswegen hattest du mein Shirt bis eben noch an dich gedrückt, als hinge dein Leben davon ab."

Sogar im Dunkel konnte ich erkennen, wie abartig er sich schämte. Es entschädigte mich minimal für seine Tollpatschigkeit.

„Ich wollte nur etwas von dir haben ..."

In meinem AbgrundWo Geschichten leben. Entdecke jetzt