Die Definition von Bedenkzeit

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„Handy gefällig?"

Ich stolperte einen Schritt nach hinten, weg von dem leuchtenden Display, das gerade sehr unsanft Bekanntschaft mit meiner Nase gemacht hatte.

„Was zum Teufel?", fluchte ich und rieb mir einmal quer über den Zinken. „Warum steht du direkt vor meiner Tür?"

„Na, damit ich nicht allein zur Schule laufen muss." Ronja grinste mich an, wackelte dann mit ihrem Smartphone herum. „Und weil du gestern unbedingt mit deinem Schätzchen schreiben wolltest."

Pfui, was für ein schrecklicher Kosename.

„Hat sich erledigt." Ich schob sie beiseite und mich im Anschluss an ihr vorbei, bevor ich die Tür zuzog und einmal abschloss, damit niemand die drei Habseligkeiten stibitzen konnte, die ich da drin verwahrte. Ehrlich, jeder Einbrecher würde mit weniger wieder rauskommen, als er reingegangen war. Was mir eventuell zu denken geben sollte.

„Wie das?" Sie folgte mir, als ich die Treppen ins Erdgeschoss nach unten lief, um das Gebäude zu verlassen.

„Bin zu ihm hin und hab's geklärt."

Sie legte den Kopf schief. Skeptisch. „Um ... was, vier Uhr morgens?"

„Drei Uhr", verbesserte ich und trat nach draußen. Der Nachteil am Sommer war, dass die Sonne schon in aller Herrgottsfrühe auf der Haut brannte. Und in den Augen.

„Dann seid ihr wieder ein Paar?" Ihr schien die Helligkeit nichts auszumachen, gemessen daran, wie wahnsinnig weit sie ihre Augen aufreißen konnte, ohne dass im Zuge dessen ihre Pupillen gegrillt wurden.

„So gut wie." Ich kniff die Lider zusammen. Licht war auch Pfui. „Er hat mich um zwei Wochen Bedenkzeit gebeten."

„Bedenkzeit? Oh je." Sie verzog das Gesicht. „Und was hast du jetzt vor?"

Was war das denn für eine minderbemittelte Frage?

„Was wohl? Warten natürlich", schnaubte ich. „Das will er doch." Der kleine Sadist im Masochisten-Pelz.

„Meinst du das gerade ernst?"

Ich linste zu ihr rüber, musterte ihren verdatterten Gesichtsausdruck. Sie war stehengeblieben. „Ja?"

„Bist du irgendwie blöd?"

Diese Behauptung kam jetzt ein bisschen überraschend. Ich meine, da zeigte ich mich einmal kooperativ und tat, worum Noah mich anflehte, und dann wurde ich deswegen beschimpft? Was sollte das denn?

„Nein", sagte ich und verschränkte im selben Atemzug die Arme vor der Brust. „Das hat mir die Note meiner letzten Klausur auch nochmal bestätigt."

„Ich glaub's ja nicht." Sie schüttelte den Kopf und setzte sich wieder in Bewegung, erwartete tatsächlich, dass ich ihr folgte – was ich auch nur machte, weil es eben bloß einen Weg Richtung Schule gab. Aus keinem anderen Grund. „Wenn jemand über eine Beziehung nachdenken will, heißt dass nicht, dass derjenige wirklich nachdenken will."

Hörte sie sich eigentlich selbst beim Reden zu?

„Weil das Wort Bedenkzeit selbstverständlich überhaupt nicht impliziert, dass jemand eventuell nachdenken will", feixte ich und holte auf, damit sie nicht länger wie ein Feldwebel vor mir hermarschierte.

„Das ist doch nur eine Floskel." Sie vollführte eine wegwerfende Handbewegung, die erstaunlich arrogant herüberkam. „Wenn jemand dir sagt, dass er erst mal gucken will, ob eine Beziehung eine gute Idee ist, redet er nicht davon, dass er das in Ruhe machen möchte."

In meinem AbgrundWhere stories live. Discover now