Büffel und Elefanten (Teil I)

276 31 83
                                    


Sich mit sich selbst zu beschäftigen, war anstrengend, wenn man dabei in unbekannte Sphären abtauchte, und ich war noch nie gerne getaucht. Jedenfalls nicht außerhalb des Wassers.

„Mh." Ich wackelte mit dem Kugelschreiber zwischen meinem Zeigefinger und Daumen herum.

a) Wut + Abkömmlinge (Zorn, Enttäuschung, Angepisst-sein, Genervt-sein, etc.)

b) Schadenfreude

c) Befriedigung (Sex, Hunger – Grundbedürfnisse. Zählt das?)

d) Langeweile

e) Gesellschaft haben wollen (WOLLEN, nicht MÜSSEN)

f) Endorphine (Süßkram, Kuchen, Kuchen, Kuchen. Später Kuchen kaufen, das habe ich mir verdient)

g) Wut

h) Wut

i) Wut

j) Wut

k) Bernadette

„Was machst du da?" Ronja beugte sich zu mir herüber und runzelte gleich darauf die Stirn. „Äh, ich glaube nicht, dass das der Herz-Lungen-Kreislauf ist. Soll ich dir die Aufgabe nochmal erklären?"

„Halt's Maul." Ich zog meinen Block näher an mich heran. Meine Augen klebten an der Liste fest, für die ich gerade sage und schreibe siebzehn Minuten gebraucht hatte. Eigentlich die Zeit, die ich für die von Frau Tried aufgegebene Einzelarbeit hätte nutzen sollen. An die ich mich gar nicht richtig erinnern konnte, weil da jetzt eben diese verfluchte Liste vor mir lag und mich triezte, indem sie mir überhaupt nichts brachte. Immerhin wusste ich, was ich fühlen konnte. Das Problem waren eher die Dinge, die mir fehlten.

„Ernsthaft jetzt." Ronja stupste mich an. „Das ist sieht gruselig aus. Und wer ist Bernadette?"

„Geht dich nichts an." Ich zückte mein Handy, tippte normale menschliche Emotionen in die Suchleiste und scrollte mich durch die Ergebnisse, bevor ich eine neue Seite in meinem Block aufschlug.

a) Ekel

b) Eifersucht

c) Trauer/Enttäuschung

d) Scham

e) Liebe (Sympathie, zärtliche Liebe [The Fuck ist zärtliche Liebe?!], Verbundenheit)

f) Schuld/Reue

g) Angst (Misstrauen, Feigheit, Besorgtheit)

h) Freude/Stolz

i) Neugierde (ist das überhaupt eine Emotion?)

Kaum war ich mit dem Schreiben fertig, riss ich die neu beschriebene Seite raus und klappte die vorherige auf, ehe ich beide nebeneinanderlegte und sie betrachtete. Und das Resultat war leider Gottes eines, das ich bereits erwartet hatte.

Es nützte mir rein gar nichts.

„Willst du die Ausbildung abbrechen und Psychologie studieren?" Ronjas Ellbogen dotzte weiterhin unermüdlich gegen meinen. Oder wahlweise auch in meine Seite.

„Lass dich mal auf ADHS überprüfen", murrte ich.

War ja schön und gut, zu vergleichen, was ich und was die gewöhnliche Gesellschaft an Empfindungen kannte, aber es half nicht. Dinge wie Scham oder Eifersucht hinzukritzeln, führte schließlich nicht unweigerlich dazu, dass ich sie auch empfand und plötzlich verstehen konnte.

In meinem AbgrundWhere stories live. Discover now