Stalking

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Schule war aushaltbar, da musste man nur sitzen und den Lehrern halbherzig Interesse vorheucheln, aber die Praxis?

Die war scheiße.

Seufzend kramte ich eine einzelne Zigarette aus meiner Kitteltasche und zündete sie an, paffte ein wenig. Eigentlich hatte ich keine große Lust zu rauchen, aber ohne Handy fiel mir nichts Anderes ein – außer Arbeiten und das versuchte ich, falls möglich, zu vermeiden. Nicht ohne Grund hatte ich das kleine, grüne Lämpchen in dem meist verhassten Zimmer überhaupt angeschaltet. So dachten die anderen Schwestern, ich würde mich in dem Raum befinden, und würden gleichzeitig nicht nachschauen, weil darin zwei durchgängige Patienten lagen, die zudem auch noch an Demenz litten. Und spaßeshalber mit Glaskaraffen durch die Gegend warfen. So als Zeitvertreib.

Also konnte ich mich gut und gerne für die nächste halbe Stunde im Pflegearbeitsraum verstecken und mich von dem Gedanken rehabilitieren, dass ich den kompletten Monat hier auf Station verbringen musste.

Dachte ich jedenfalls.

„Sag mal, rauchst du etwa?"

Innerlich stöhnte ich auf, äußerlich setzte ich ein unschuldiges Gesicht auf. „Willst du auch einen Zug?"

Annika verschränkte die Arme vor der Brust. Sie war im dritten Ausbildungsjahr, kurz vor ihrem Examen, und benahm sich, als wäre sie bereits eine ausgelernte Schwester. Die Hierarchieebenen unter Schülern waren zum Kotzen.

„Nein, will ich nicht! Du machst die jetzt sofort aus und das Fenster auf oder ich sage Vivian Bescheid!"

Schmunzelnd hob ich beide Hände und hüpfte von den Reinigungsgeräten herunter, auf denen ich es mir bis dato gemütlich gemacht hatte. „Schon gut, schon gut." Ich drehte einen der zwei Wasserhähne auf und löschte die Glut meiner Zigarette, bevor ich sie in dem großen Müllsack in der einen Ecke des Raumes entsorgte. „Besser?"

Sie schüttelte den Kopf, seufzte. „Machst du dir keine Sorgen, dass du gefeuert wirst, wenn du solchen Mist baust?"

„Nicht wirklich. Ich stehe sozusagen auf der No-Harm-Liste." Ich grinste, sie schnaubte.

„Weil du aus der Probezeit draußen bist, oder was? Ich bin im dritten Jahr und letzten Monat wurde trotzdem eine von uns entlassen."

„Nein." Ich ging an ihr vorbei und trat wieder auf den Stationsflur. „Ist aber ein Geheimnis, warum. Darüber kann ich nicht sprechen."

„Was meinst du?"

Ich machte eine wegwerfende Handbewegung. „Geht dich nichts an, Annika. Und jetzt entschuldige mich, ich gehe arbeiten." Ich deutete eine halbe Verbeugung an und huschte zu dem Patientenzimmer, bei dem ich die Lampe angelassen hatte.

„Na, Frau Klaus?" Ich drückte die Tür hinter mir zu und marschierte auf die alte Dame zu, die seitlich gelagert in ihrem Bettchen lag. Neben ihr eine weitere Frau mit gleicher Diagnose. Beide hatten künstliche Darmausgänge erhalten, beide hatten die Narkose, wie gesagt, noch nicht verarbeitet.

Die Frau beschimpfte mich brüsk, während ich mir einen Stuhl heranzog, die Fernbedienung von ihrem Nachttisch nahm und den Fernseher einschaltete. Dann lieh ich mir noch ihre Kopfhörer und sah mir irgendeine Doku über Pinguine an. Vielleicht fünfunddreißig Minuten lang – es gab tatsächlich welche von den gefiederten Viechern, die an Felsen hochklettern konnten –, bevor es zu auffällig wurde.

„Verpiss dich!" Frau Klaus fauchte mich an, ich legte ihr Zeug zurück an den vorgesehenen Platz.

„Klar doch", murmelte ich und verzog mich zum Schwesternstützpunkt.

In meinem AbgrundWhere stories live. Discover now