Rachetechnische Unterstützung

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Der Blick meiner Mutter sagte alles und nichts, als ich die Haustür hinter mir zuwarf und wir uns unweigerlich gegenüberstanden.

„Was?", zischte ich und verschränkte die Arme vor der Brust. „Noch nie einen halbnackten Typen gesehen? Haben Papa und du nur Sex im Dunkeln?"

Sie reagierte nicht auf den Spruch, starrte dafür meine Füße an. So dreist wäre sie nicht, würde ihr Ehemann nicht im Wohnzimmer sitzen und fernsehen. Ich konnte seinen Haarschopf über ihren hinweg erkennen.

„Wo sind deine Schuhe?"

„Hab' ich gespendet."

„Wie ...?" Sie blinzelte verwirrt.

Ich schnaubte laut. „Du predigst doch ständig davon, dass ich netter zu Menschen sein soll. Jetzt schenke ich denen Kleidung und es passt dir wieder nicht." Ich schob mich an ihr vorbei und stampfte die Treppen hoch. „Entscheide dich mal!"

Das hinterließ sie erstmal sprachlos und gab mir die Möglichkeit, mich in meinem Zimmer einzusperren und das Erlebte sacken zu lassen. Mehr oder weniger, denn richtig verstehen, was da gerade vorgefallen war, tat ich nicht. Viel zu unwirklich, viel zu entwürdigend.

Ich wusste, ich würde keine Ruhe haben, bis ich ihm nicht zumindest eine ähnlich schmackhafte Lektion erteilt hätte.

„Scheiße."

Ich ließ mich auf mein Bett fallen und blickte auf meine dreckigen Socken.

Ein paar Ideen hatte ich, aber sie beinhalteten alle meine persönliche Anwesenheit und das konnte ich nicht riskieren, solange er im Besitz meiner Spieluhr war. Klar könnte ich ihn auch irgendwo abfangen, das Problem war nur, dass mein Kopf versuchte, mir einzureden, dass er sie nach heute extra überallhin mitnehmen würde, einfach, um sich abzusichern. Oder er würde sie im Nachhinein zerstören.

Aber wie sollte ich es ihm sonst heimzahlen? Um Rache auszuüben, musste ich ja zwangsläufig in seine Nähe, oder?

Ich hielt inne.

Natürlich! Ich meine, sprach denn etwas dagegen, wenn jemand anderes diese Aufgabe für mich übernahm? Ohne zu verraten, dass ich dahinter steckte?

Meine Lippen verzerrten sich zu einem fetten Lächeln.

Ich war ein gottverdammtes Genie!

Blitzschnell fischte ich mir ein Oberteil aus meinem Schrank und schlüpfte in frische Socken, bevor ich die Treppen hinuntersauste und notgedrungen in mein Ersatzpaar Schuhe sprang – das ich dieses Mal nicht liegenlassen würde, sonst hätte ich keine mehr.

„Paul?"

Ich warf einen flüchtigen Blick über die Schulter.

Meine Mutter stand da, sichtlich nervös, und rang die Hände. „Wo gehst du hin?"

„Eigentlich zu einem Freund, aber nur für dich werde ich vorher noch einen Abstecher zu Noah machen, um ihn zu vergewaltigen. Das befürchtest du doch, oder?"

Sie holte tief Luft, aber da kam nichts mehr, also wandte ich mich wieder ab und verließ das Haus. Ich hatte Pläne, die ausgeführt werden wollten!


Ein Hoch auf mein Gedächtnis, das sich aus irgendeinem Grund immer exakt die Dinge merkte, die mir von Nutzen waren. Wie beispielsweise Fahrtwege zu alten Freunden.

Ich schlug die Autotür hinter mir zu und musterte die Fassade der Häuserreihe, vor dessen Einfahrt ich gerade parkte. Dann steuerte ich das mittlere der drei Gebäude an. Es hatte erschreckende Ähnlichkeit mit der Zeichnung eines Grundschülers, was die farblichen Akzente anging. Blauer Anstrich und rostbraune Dachkacheln. Furchtbar.

In meinem AbgrundWhere stories live. Discover now