Nussecken im Krankenhaus

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Das einzige, wofür ich meiner Mutter in dieser Situation vermutlich gedankt hätte, war die schlichte Tatsache, dass sie mir durch ihre Wichtigkeit ein Einzelzimmer sicherte. Ehrlich, ich wäre keine Sekunde geblieben, wenn ich mir eine gemeinsame Räumlichkeit mit einem labilen und schnarchenden Großvater hätte teilen müssen. Und ich wusste, dass es die hier gab, ich war nämlich ausgerechnet auf der Station gelandet, auf der ich momentan eingesetzt war.

„Ähm, ich müsste dir jetzt noch Elektroden ..." Annika stand sichtlich nervös vor mir. Das hatte sie nun davon, mich davor dermaßen herabwürdigend behandelt zu haben.

Zeit, den Spieß umzudrehen.

„Nur zu." Ich zog mir das Shirt aus. Es war eh voller Blut. „Tob' dich aus."

Sie zögerte. Ihre Augen wanderten über meinen entblößten Oberkörper.

Ich stützte mich mit den Händen nach hinten ab. „Meine Herzaktivität misst sich nicht von selbst."

„Klar, klar." Sie presste die Lippen zu einer schmalen Linie zusammen.

Ich beobachtete sie dabei, wie ihre Finger zittrig drei Elektroden auf meine Haut bappten. Eine rechts neben meinem Brustbein, die nächste genau links gegenüber und die letzte seitlich an meinem Rippenbogen.

„Die Ableitungen kannst du dir ja selbst dranmachen ..." Sie wollte gehen, ich räusperte mich vernehmlich, brachte sie damit zum Stoppen.

„Ich bin Patient und Patienten sollen nicht an die medizinischen Geräte gehen."

„Du bist Schüler hier."

„Falsch. Ich habe vermutlich eine Gehirnerschütterung, dementsprechend bin ich Patient."

Sie öffnete den Mund, um mir zu widersprechen, als die Tür aufging und Andrej den Raum betrat.

Tja, damit war mein Spiel wohl leider beendet.

„Herrje, was hast du nur angestellt?" Der russische Akzent triefte aus seiner Stimme, ließ die Frage minimal wie einen Vorwurf klingeln.

„Ich hatte Pech?", grinste ich leicht und war ein kleines bisschen verbittert, als er sich still daran machte, mich mit dem Monitor zu verbinden. Annika nutzte die Gelegenheit nämlich, um zu verduften.

Hm.

„Musst besser aufpassen. Macht keinen guten Eindruck, wenn du dich prügelst."

„Ich habe mich nicht geprügelt." Ich setzte eine Unschuldsmiene auf. „Ich habe meinen Freund verteidigt."

Er grinste. „Mh, hat Erika mir gesteckt."

Erika. So hieß die Ärztin. Oder besser – die Verräterin.

„Ach, hat sie das?"

Aber er lachte nur. „Entspann dich. Ich bin auf deiner Seite."

„Entschuldigung?"

„Schwule Liebe ist die beste Liebe." Zufrieden streckte er mir seine rechte Hand entgegen, auf dessen Finger ein schmaler, goldener Ring sein Zuhause gefunden hatte. Dabei durfte man auf der Arbeit gar keinen Schmuck tragen.

Ich hob eine Braue. „Du bist homosexuell?"

„Sieht man mir nur nicht an, was?" Er stemmte die Hände in die Hüften, amüsiert. „Dir aber, Paul. Hatte von Anfang an das Gefühl, dass du am selben Ufer fischst."

Bitte?

Also, langsam wurde er beleidigend.

„Tja, ich habe einen Riecher für so etwas." Er klopfte mir auf die Schulter. „Ruh' dich ein bisschen aus. Wenn dir schlecht werden sollte und du dich übergeben musst, dann gib uns Bescheid. Du kennst das Prozedere ja."

In meinem AbgrundWhere stories live. Discover now