Eine andere Art des Nachsitzens (Teil I)

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Andrej hatte auch am nächsten Morgen Dienst.

„Hier. Falls was sein sollte, kannst du direkt wieder herkommen."

„Ich weiß. Danke." Ich nahm ihm meine Entlassungspapiere ab. Der Zugang war schon draußen, das blutig-verkrustete T-Shirt wieder über meiner Brust. Meine Mutter hätte mir wenigstens ein frisches mitbringen können, als sie heute Morgen wieder zu ihrem Büro getigert ist. Ohne bei mir vorbeizuschauen.

„Pass auf dich auf. Und ruf spätestens Donnerstag an, damit wir wissen, ob du weiter krankgeschrieben oder wieder gesund bist."

„Mache ich."

Er warf mir ein knappes Lächeln zu, dann huschte er zurück in den Schwesternstützpunkt. Ich wandte mich ab und freute mich insgeheim ein bisschen, dass meinem Gehirn so übel mitgespielt wurde. Das war ein bisschen wie bezahlter Urlaub. Zumindest, seit es mir wieder erheblich besser ging.

Dann schlenderte ich von Station, sah den anderen Schülern und Pflegern zufrieden beim Arbeiten zu. Ich hätte die ganze Woche Dienst gehabt.

Mit einem schnellen Blick auf die Uhr stieg ich in den Aufzug, drückte die Taste ins Erdgeschoss.

Wir hatten kurz nach zehn, Noah würde gleich hier sein. Voraussichtlich. Wenn er es schaffte, seinen Lehrern und seiner Tante erneut zu entwischen. Mal schauen.

Es bimmelte, die Türen öffneten sich und ich trat in den Empfangsbereich, schritt weiter nach rechts und zur Cafeteria. Das war ein bisschen witzig, weil ich angegafft wurde, als wäre ich ein flüchtiger Sträfling. Kein Wunder, mittlerweile hatte meine linke Gesichtshälfte gewisse Ähnlichkeit mit dem benutzten Wasserfarbkasten eines Grundschülers.

„Kann ich Ihnen helfen?" Der Verkäufer musterte mich schräg.

Ich warf ihm ein strahlendes Lächeln zu. „Ich nehme das Frühstücksmenü Nummer eins mit Erdbeermarmelade und Kaffee. Drei Milch, zwei Zucker. Zum Hieressen, bitte."

Seine Augen glitten zu meinem Oberteil hinab.

Ich winkte ab. „Keine Sorge, das Blut ist nicht mir."

Was?"

Kichernd kramte ich mein Portemonnaie aus der Hosentasche. „War ein Witz. Hatte einen Verkehrsunfall. Wie viel macht das?"

„Oh, ähm, sieben Euro fünfundsechzig."

Ich drückte ihm das Kleingeld passend in die Griffel und nahm dafür im Gegensatz das Tablett mit meinen Croissants entgegen. Gott sei Dank konnte ich erbguttechnisch nicht fett werden.

Ich suchte mir einen freien Platz und lud mein Gepäck ab, bevor ich mir mein Handy schnappte und Noah eine kurze Nachricht tippte, in der stand, wo ich mich befand.

Danach konnte ich endlich wieder einholen, was ich gestern erbrochen hatte – was traurigerweise ebenfalls die Nussecken beinhaltete. Zwei von den Teilen und das zusätzliche Abendessen waren vielleicht etwas zu viel auf einmal gewesen.

Jedenfalls war ich glücklich über meine Croissants. Mit Butterfüllung.

Leise von mir hin summend teilte ich sie in der Mitte, bestrich sie dick mit Marmelade. Und kippte noch etwas von dem Zucker, der eigentlich für meinen Kaffee gedacht war, darüber. Nur für den Fall, dass ich das brauchte.

Anschließend ließ ich mir Zeit, aß sehr langsam. Immerhin hatte ich Noah eine Spanne von einer Stunde genannt und die wollte nun überbrückt werden. Problematisch wurde es allerdings, als ich mit dem Essen längst fertig war und die Uhr mir anzeigte, dass es bereits halb zwölf war.

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