Erwischt (Teil I)

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Mein Gemüt war beschreibbar mit Nervensträngen, die Noah wie billige Gitarrensaiten mit seiner bloßen Existenz bis zum Bersten anspannte. Außerdem störte mich die Ruhe im Wagen, weil er jedes Mal aufs Neue das Radio ausschaltete, sobald ich es anmachte.

„Du m-magst keine Musik", murmelte er und drückte mal wieder auf den Off-Knopf, während ich an mich hielt, ihm nicht die Finger zu brechen, weil diese verfickte Stille zwischen uns mich gerade um einiges mehr aufregte, als irgendein dämlicher Popsong es jemals könnte.

„Mh." Er nervte, alles nervte. Und in meinem Magen rumorte es ganz ungesund. „Musst du pinkeln, oder so? Soll ich anhalten?"

Noah wandte seinen Blick von der Straßen-Landschaft vor uns ab und schüttelte stumm den Kopf.

Stumm, stumm, stumm. Konnte er sein verficktes Maul nicht öffnen und mir mit Worten antworten? Gestern hatte er ja auch keine Probleme damit gehabt, mir einen Satz nach dem anderen an den Kopf zu werfen.

„Dann halt nicht." Aber ich musste. Allerdings weniger pissen, mein Körper hatte eher vor, sämtliche Nahrungsmittel der letzten sechsunddreißig Stunden mit einem Mal loszuwerden. Laut Studien brauchte ein Burger nämlich in etwa so lange, um vom Antrum in den Zwölffingerdarm hinüberzuwandern. Also befand sich schätzungsweise nichts mehr in mir, was ich vor dem Wochenende zu mir genommen hatte.

Ich schüttelte den Kopf.

Über Verdauungsvorgänge nachzudenken, half mir nicht unbedingt dabei, Essen und Trinken in mir zu behalten, aber scheiße, ich konnte mich nicht daran erinnern, wann es mir das letzte Mal nach Alkoholkonsum so hundeelend ergangen war. Eigentlich vertrug ich verdammt viel – eigentlich konnte ich aber auch am nächsten Morgen ausschlafen und musste nicht zuhören, wie irgendein Junge sich eine Wand weiter die Seele aus dem Leib würgte und synchron auf maximaler Lautstärke heulte. Dementsprechend war mein Zustand Noahs Schuld. Tolle Erkenntnis, die mir leider nichts brachte.

Ich nahm eine Hand vom Lenkrad und fuhr mir durchs Haar. Hinter den Leitplanken an der Sonntagsfahrer-Spur pries ein blau-weiß-schwarzes Schild eine Tankstellen-Raststätte inklusive WC an.

Nehmen Sie in tausend Metern die Ausfahrt, um sich an der nächsten Böschung zu übergeben.

Das Schicksal meinte es nicht gut mit mir.

Ich warf einen flüchtigen Blick in den Seitenspiegel, hoffte, dass sich gerade keiner in meinem toten Winkel befand, weil ich mich nicht umdrehen konnte, ohne qualvolle Schmerzen zu erleiden, und wechselte auf die mittlere Spur. Danach nochmal zwei weitere nach rechts, um die Autobahn zu verlassen. Alles, ohne unwillkommene Zusammenstöße.

„W-wo fährst du hin?"

Ach, jetzt konnte er feine Herr plötzlich wieder seine Zunge benutzen?

Ich schnaubte. „Tanken."

Er lehnte sich zu mir rüber und ich ignorierte den Hauch nach frischen Äpfeln, den er dabei versprühte. „D-der Tank ist fast v-voll."

„Also gut." Ich drosselte die Geschwindigkeit ein wenig und folgte der Ausfahrt bis hin zur knallgelben Zapfstelle. Mein Auto kam mit kreischenden Bremsen quer auf zwei nebeneinanderstehenden Parkplätzen zum Halt. Die Reifen waren noch gar nicht richtig zum Stillstand gekommen, als ich mich bereits gereizt zu Noah umdrehte. „Fühlst du dich besser, wenn ich dir sage, dass ich immer noch zu betrunken bin, um geradeaus zu laufen? Dass ich jetzt mal kurz 'ne Pause einlegen muss, weil ich sonst übers Armaturenbrett kotze?"

„Ähm." Er biss sich auf die Unterlippe, sah mich verunsichert an. „B-bist du denn ...?"

„Sei einfach still, du scheiß Plagegeist." Seufzend stieß ich die Fahrertür auf und nahm einen tiefen Atemzug.

In meinem AbgrundWhere stories live. Discover now