Die Revelanz prekärer Fotos (Teil II)

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Keine Ahnung, wer sich die Agenda ausgedacht hatte, doch derjenige musste besoffen gewesen sein – oder wollte nicht, dass seine übrigen Mitschüler Spaß hatten, denn die Zeugnisvergabe sollte tatsächlich erst gegen zehn stattfinden. Mittlerweile hatten wir acht Uhr, dementsprechend hatten wir noch zwei Stunden totzuschlagen. Eine war schon rum, die hatte ich mit Essen verbracht.

„Wollen wir tanzen?" Die Frage war vermutlich ironisch gemeint, denn Maike hatte Simon bereits auf die Füße gezogen.

„Ich warte schon die ganze Zeit darauf, dass das wer vorschlägt." Niels sprang ebenfalls auf, sah mich dabei auffordernd an. „Kommst du?"

Allein wegen seinem Gesichtsausdruck und seiner Wortwahl hätte ich am liebsten abgelehnt, aber Noah hatte mich bis jetzt immer noch nicht bemerkt, also blieb mir gar keine andere Wahl. Ich musste nur dafür sorgen, dass wir möglichst in seinem Sichtfeld herumturtelten.

„Lass uns nach da hinten gehen", schlug ich vor und schlang einen Arm um seine Hüfte. „Dort ist es nicht so voll."

„Aber dort sieht uns auch keiner." Niels zog eine Schnute.

Das erheiterte mich, zugegeben, etwas. „Willst du mit mir angeben?"

„Immer doch." Er schnappte sich meinen rechten Arm und schleifte mich entgegen meines Vorschlages in die Mitte des Raumes, wo sich schon eine Horde Abiturienten eingefunden hatte und sich zu den Bässen irgendwelcher Boybands bewegten. „Aber eigentlich will ich, dass jeder sieht, dass ich mit 'nem Kerl tanze!"

„Was meinst du?" Ich schielte über die Schulter in Noahs Richtung. Er war mit seinem leeren Teller beschäftigt. So würde das nie etwas werden.

„Findest du nicht, dass das die perfekte Gelegenheit ist, sich zu outen?"

Auch eine gute Taktik, meine Aufmerksamkeit zurückzugewinnen. Ich vergaß sogar kurz, dass ich ihn eigentlich in die Nähe der Bühne hatte bringen wollen.

„Es weiß keiner, dass du schwul bist?", hakte ich nach und bemerkte wie aufs Stichwort die ersten Köpfe, sie sich neugierig zu uns umwandten.

„Nope." Er grinste verschmitzt. „Und nach heute Abend muss ich mit keinem von denen jemals wieder etwas zu tun haben, also kann's mir endlich egal sein, was sie von mir denken." Mit diesen Worten packte er mich im Nacken und presste unsere Münder aufeinander.

Ehrlich, ich fühlte mich ein bisschen ausgenutzt.

„So, alle Fragen aus dem Weg geräumt!" Nach keiner ganzen Minute löste er sich wieder von mir und drückte seinen Körper an meinen. „Wollen wir den Arschgeigen hier eine Show bieten?"

„Kann's sein, dass du einen leichten Groll gegen deine Mitschüler hegst?" Ich beschwerte mich nicht, als er sich umdrehte und seine Hüften gegen meinen Schritt rollte. Ich nahm es als Entschädigung hin, weil der Zwerg einfach nicht tat, was ich von ihm wollte, und ich ihn schlecht vor aller Augen zu irgendetwas zwingen konnte. Außerdem begann jetzt zu allem Übel auch noch mein Schwanz, das Denken zu übernehmen.

„Wie kommst du nur darauf?" Er schnaufte, bevor er meine Hände auf seinem Bauch platzierte. Sehr tief unten. „Nein, ich hatte nie Stress mit denen, aber wir haben einen Jungen im Jahrgang, dem sie nach seinem Outing das Leben zur Hölle gemacht haben, deswegen fand ich's schlauer, lieber die Klappe zu halten und es nicht darauf ankommen zu lassen."

„Menschen können grausam sein, was?" Ich glitt mit einer Hand sein Hemd hinauf. Es fühlte sich glatt unter meinen Fingern an.

Was Noah wohl für einen Anzug trug? Ich hatte noch keine Chance bekommen, ihn mir genauer anzuschauen, aber ich vermutete mal, dass der Stoff seines Oberteils ähnlich seidig wie seine Bettwäsche sein würde. Für Dinge, die sich gut auf seiner Haut anfühlten, hatte er eine Schwäche. Deswegen hatte er ja auch ständig jeden Flecken meiner Brust erkundet. Und auch andere Stellen.

In meinem AbgrundWo Geschichten leben. Entdecke jetzt