Kraftmessung und ihre Folgen (Teil II)

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Noah rutschte in seinem Sitz herum, nahm die Brille ab, putzte sie an seinem T-Shirt, setzte sie wieder auf und machte das Gleiche sofort wieder.

„Hör auf, dich zu benehmen, als wäre es dein erster Schultag", murrte ich und griff zur Seite, um ihn daran zu hindern, das Nasenfahrrad zum siebenunddreißigsten Mal aus seiner Fresse zu nehmen.

„Ent-entschuldige."

„Warum bist du so nervös?"

„Ich bin nicht nervös."

„Und ich bin Johnny Depp."

„W-wie?"

„Spuck's einfach aus." Als er nicht reagierte, löste ich meine Finger von seinem Handgelenk und strich ihm sanft über den Oberschenkel. „Wenn ich nicht weiß, was los ist, kann ich dir nicht helfen, oder?"

Er biss sich auf die Unterlippe. Ich spürte seine Fingerkuppen feucht an meinem Unterarm, wartete noch einen Moment, dann fiel sein Schädel kraftlos vornüber.

„Kannst du mich n-nur bis zum Ei-eingang begleiten?"

„Weshalb?"

Seine Augen zuckten unsicher zu mir. „Wegen Dennis und Yannik."

„Gibst du endlich zu, dass sie dir das Leben schwermachen?"

Nicken, bevor er die Knie zusammenpresste. „S-sie warten immer am Schultor auf mich."

„Mh, also willst du, dass ich ihnen ein bisschen Angst einjage?"

Vorsichtig glitt sein Blick wieder zu mir hoch. Ich musterte ihn, vor mir war die Straße eh fast maschinenleer.

„N-nein, du ..."

„Ich soll ihnen Angst einjagen?"

Er runzelte die Stirn. „W-wieso sagst du das?"

„Du möchtest, dass ich ihnen Angst einjage, richtig?"

„Ich möchte, dass du ihnen Angst machst?" Er klang total verwirrt, ich grinste ihn an.

„Wenn du dir das wünschst, kann ich nur schlecht verneinen."

„W-was ...? Nein, ich will nicht, dass-"

Ich lachte ausgelassen. „Keine Sorge, ich tue nichts Böses."

Den Rest der Fahrt verbrachten wir schweigend, bis sein Atem auf dem Lehrerparkplatz dermaßen laut wurde, dass ich es schon als Gespräch würde abstempeln können.

„Wenn du so weitermachst, kriegst du einen Asthmaanfall."

„I-ich ..."

„Schnall dich ab, Noah." Ich stieg aus und umrundete den Wagen, öffnete seine Tür – nachdem ich ihn erneut daran erinnern musste, die Kindersicherung zu lösen. Dann hielt ich ihm die Hand hin. „Willst du da Wurzeln ansetzen?"

Seine Finger verknoteten sich mit meinen. „I-ist das okay für d-dich?"

„Stell keine unnützen Fragen." Ich beförderte ihn auf die Beine und ließ ihn kurz darauf wieder los, um im Handschuhfach nach meiner Zigarettenpackung zu suchen.

„Was machst du?"

„In High School-Filmen rauchen alle badass Arschlöcher." Ich fand die Schachtel, steckte mir eine Kippe zwischen die Lippen und zündete sie mit dem Feuerzeug an, dass ich immer zwischen die übrigen Stängel quetschte, weil ich als Gelegenheitsraucher nie daran denken würde, mir eines einzustecken.

Belustigt nahm ich den ersten Zug und griff wieder nach Noahs Hand. „Wie wirke ich?"

Seine Wangen verfärbten sich rötlich. „H-heiß."

In meinem AbgrundWo Geschichten leben. Entdecke jetzt