Kapitel 29

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Arran fand nicht zu sich zurück. All seine Gefühle. All sein Leben war ihm verloren gegangen. Es war, als sah er emotionslos von oben auf sich hinab. Er sah jemanden schreien, doch war das wirklich er? Sirenen erschallten. Dann kam es wieder. Blaulicht. Zu spät. Wie damals auch heute. Ein Notarzt sprang aus dem Krankenwagen. Arrans Körper klammerte sich an seine Mutter, doch irgendwer zog ihn fort. Es gab nichts was der Notarzt noch tun konnte. Im Grunde war er nur gekommen um einen Tod festzustellen, den die Welt auch ohne ihn festgestellt hatte. Jemand warf Arran eine Decke über die Schultern. Er griff nichtmal danach. Er stand einfach da, während man Summers Körper auf eine Liege hievte. Langsam sammelten sich Tränen in seinen Augen. Bilder überlagerten sich. Von seiner Kindheit und von der Tragödie jetzt. Er sah das weiße Tuch und es war als weckte es ihn aus seiner Lethargie. Er brüllte auf. Die silberne Rettungsdecke rutschte ihm von den Schultern als er vorsprang. Doch dort waren wieder diese Männer, die ihn aufhielten. Die ihm irgendetwas sagten. Was war es? Er hörte es nicht. Spürte nicht den Schmerz, als sie ihn fest packten um ihn zurückzuhalten. Konnte er nichtmal das? Konnte er nichtmal zu seiner eigenen Mutter? Hilflos wie immer wurde das Tuch vor seinen Augen über die Liege geworfen. Glitt langsam tiefer wie ein unheilsames Schicksal. Wie eine Feder, die zu Boden glitt. Niederglitt bis seine Mutter darunter verschwand. Nur noch ihre Silhouette war unter dem Tuch zu erahnen, als sein Kampf endgültig erstarb. Danach nahm er alles nur noch wie Blitzlichter war. Man zog ihn fort. War dort wieder die Decke? Sie fuhren im Krankenwagen. Lichter glitten an ihm vorbei ohne das er sie erkennen konnte. Krankenhaus. Die Liege wurde fortgeschoben. Krankenzimmer. Jemand im weißen Kittel redete auf ihn ein. Ein Kopfschütteln. Tränen, die unaufhaltsam seine Wangen hinabglitten. Leise, warme Tränen. Er spürte sie nicht. Krankenzimmer. Ein Stuhl auf dem er saß und eine Hand, die er hielt. Seine Mutter lag darauf. Sie starrte nicht mehr in die Ferne. Sie schlief den endlosen Schlaf.

Das Erste, das er wirklich wieder bewusst wahrnahm, war der Geruch nach Blumen und Arme, die ihn fest umschlangen. Ihn einhüllten, als wollten sie ihn vor der Welt verbergen. Er drückte sein Gesicht an ihre Brust und endlich spürte er wieder etwas. Das Brennen seiner salzigen Tränen in den Augen. Seinen Herzschlag. Ihren Herzschlag. Ihre Wärme. Ihre Tränen, die auf sein Haar tropften. In etwas Entfernung hörte er Nanas Schlucksen. Sie leidete laut, als wollte sie all den Schmerz für sie Beide ausdrücken. Seinen und ihren eigenen. Er atmete schwer, weil es seine Lunge abdrückte. Sein ganzer Körper zitterte. Seine Nase lief, als das Leben in seine Gliedmaßen zurück kam. Als war Naia sein letzter Rettungsanker schlang auch er seine Arme um sie. Drückte sie fest an sich, fast zu fest. Sicher zu fest, doch Naia blieb. Blieb während er schrie und während er litt. Während er weinte bis er jede Energie verloren hatte. Bis er schwach und müde war. Seine Stirn ruhte an ihrer Brust und er starrte müde hinab ohne irgendetwas zu sehen. Nana war verstummt oder fort. Arran wusste es nicht. „Arran, es wird Zeit." Waren die ersten Worte, die Naia verlor. „Komm." Er war so müde. Er wollte nicht mehr. Die Lethargie kam zu ihm zurück. Trotzdem nickte er. Ließ sie widerwillig los. Wenn er gekonnt hätte, er wäre für immer in ihrem Schutz geblieben, doch das ging nicht. Selbst er begriff das in seinem Zustand. Sie wich leicht zurück und endlich sah er ihr Gesicht. Sie sah fürchterlich aus. Ihr Mascara war zerlaufen und dort fehlte das Lächeln, das er eigentlich von ihr kannte. Trotzdem sah sie nicht nach sich, sondern hob ihre Hände um ihm die Tränen aus dem Gesicht zu wischen. Erst dann löste sie sich ganz von ihm. Stand auf. Nahm seine Hand. Seine nutzlose Hand und zog ihn mit sich. Zog ihn vom Stuhl fort. Ein letztes Mal blickte er über die Schulter zu dem Bett. Sie schlief noch immer. Dann schob sich eine Wand zwischen sie, als Naia mit ihm aus der Tür heraustrat. Männer standen bereits bereit. Traten an ihrer Stelle in das Zimmer. Sie würden es sein, die seine Mutter zur Leichenhalle bringen würden.

Arran wusste nicht wie. Doch er funktionierte wie ein Roboter. Wie eine Maschine ohne Gefühle lief er mit Naia nach Hause. Nana stellte ihm Essen hin das er geschmacklos in sich schaufelte. Dann ging es zum Floristen. Zum Bestatter. Zur Auswahl des Sarges, über die Wahl des Grabsteins bis hin zum Blumenkranz. Er suchte alles aus. Naia war bei jedem Schritt, den er ging, an seiner Seite. Nana ließ ihr Cafe geschlossen. Stattdessen war sie es, die es den Nachbarn erzählte. Freunden. Nahm Arran damit eine Aufgabe, die er nicht über sich brachte. Noch mit keinem Wort hatte er Summers Tod erwähnt. Denn sobald er es das erste Mal aussprach, würde es Realität werden und noch war er dazu nicht bereit. Auch wenn er alles vorbereitete, er sagte nie was Fakt war. Er sprach von ihr, als würde sie gleich die Tür herein kommen und niemand zwang ihn dazu es auszusprechen. Kaum drei Tage vergingen. Drei Tage, die wie im Flug vergangen waren und doch einer Ewigkeit glichen. Ehe er sich versah, standen sie auf dem alten Friedhof. Er war schon oft hier gewesen. Für Mrs Fernández. Für Cas Vater. Damals war er traurig gewesen. Der Pfarrer sprach über die Reise, die der Verstorbene nun antrat. Erzählte vom Leben. Es war traurig zu sehen, wie das Leben eines Menschen endete und nur noch Erinnerungen in einem zurückblieben. Doch das war kein Vergleich zu dem, was er fühlte, als er jetzt auf den Sarg blickte. Als der Pfarrer die Geschichte seiner Mutter erzählte. Von der liebevollen Mutter und der aufopfernden Altenpflegerin. Über den tragischen Verlust eines wertvollen Mitglieds ihres Viertels. Es war nicht einfach nur der Verlust seiner geliebten Mutter. In dieser einen Nacht, war ein Teil von ihm mit ihr gestorben. Er war dort gewesen. Er hatte ihre Hand gehalten. Er war dem Ärger aus dem Weg gegangen. Trotzdem hatte ihm das Leben seine Mutter genommen. Es gab einen Leichenschmaus. Während Arran keinen Krümel anrührte, aßen die anderen leckeren Kuchen, als ginge das Leben einfach weiter. Wie sollte es für ihn weitergehen? Sein Kopf war voll und leer zugleich. Er suchte nach einem Strohhalm, der ihn nicht den Verstand verlieren ließ und das war una familia. Es waren Nana und Naia. Egal wohin er ging. Sie waren bei ihm. Ließen nie zu, das er irgendwo alleine war. Hielten seine Hände. Schlossen Summer in jedes Abendgebet ein. Litten mit ihm und trösteten ihn, während auch sie litten. Sie litten zusammen den selben Schmerz und das war etwas das sie einte und stärker zusammenschweißte als je zuvor. Er war nicht allein. Er ging da nicht alleine durch und er erinnerte sich an sein Ziel. Seine Mutter hätte gewollt, das er weitermachte. Das er weiter seinen Weg ging. Er hatte mit seiner Mutter versagt, doch er hatte noch immer ein Versprechen, das er erfüllen musste. Mit Naia von hier verschwinden. Ins Ausland gehen und neu Anfangen. Raus kommen aus dieser Scheiße. Nana zu ihnen holen, sobald sie das konnten. Es war dieses alte Versprechen, das ihn ins Leben zurückbrachte. Ihn dazu brachte wieder aufzustehen und zur Schule zu gehen. Dazu brachte zum Fußballtraining zu gehen. Zu lernen. Es gab ihm die Kraft weiterzumachen.


Sein roter Himmel - Su Cielo RojoOpowieści tętniące życiem. Odkryj je teraz