Kapitel 44

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Als Arran am nächsten Morgen erwachte, lag tatsächlich Naia neben ihm. Zusammengerollt, wie eine Katze, schlummerte sie tief und fest vor sich hin. Es war ein seltsames Gefühl zwischen Freude und Kummer. Es war also nicht nur ein Alptraum gewesen. Naia war jetzt bei ihm und das im Guten wie im Schlechten. Eine Weile blieb er stumm neben ihr, doch sie wachte nicht auf. Sie hatte sich kein Stück verändert. Im Cafe zu arbeiten und spät anfangen zu müssen, hatte ihre schlechte Angewohnheit gefördert und der anstrengende Tag gestern, musste ihr endgültig den Rest gegeben haben. Er wollte nicht, das sie alleine in einem fremden Zimmer aufwachte, doch er stank fürchterlich. So stand er schließlich doch auf und schlich sich aus dem Zimmer. Ein Bodyguard erwartete ihn draußen. Der Mann warf ihm nur einen nichtssagenden Blick zu, dann ignorierte er Arran wieder und Arran tat es ihm gleich. Ansonsten war das Stockwerk verlassen. Es war so früh, das noch niemand unterwegs war. Eigentlich nutze er diese ruhigen Momente um zu trainieren, doch heute entschied er sich dagegen. Er verschwand nur auf sein Zimmer um zu duschen und sich was anderes anzuziehen. Er war schon fast wieder auf dem Weg zurück, da stoppte er. Sollte er ihr was zum anziehen mitbringen? Sie wollte sicher kein zweiten zweiten Tag das Kleid für Nanas Beerdigung anbehalten. Sicher würde Blanco einen Gast nicht ohne Kleidung lassen, doch bis dahin brauchte sie etwas. Also schnappte er sich noch eine Hose mit Bund und ein Tshirt von sich, ehe er zu Naias Zimmer zurückkehrte. Der Bodyguard kümmerte sich keinen Dolt um ihn, doch er war nicht allein. Ein Zimmerjunge stand vor der Tür. Es war kurz nach 8 und er hatte einen Wagen bei sich. Ein Tablett stand darauf, dessen Inhalt unter einem glänzenden Abdeckung versteckt lag. Die Hand des Zimmerjungen hing knapp über dem Holz. Er hatte klopfen wollen, als ihn Arrans zielgerichteter Gang unterbrach. Er sah Arran an und Arran zu ihm zurück. „Lass es stehen. Ich bring es ihr." Sagte er, als er zu dem jungen Kerl aufgeschlossen hatte. „Blanco hat ausdrücklich gesagt-" Fing er an und Arrans Augenbraue begann genervt zu zucken. „Verzieh dich." Dieser Junge wollte dort nicht stehen und das Essen des Gastes verteidigen. Er hatte Angst vor Arran. Er hatte Angst vor Rojo. Zu Rojos Überraschung war es der Bodyguard der aufblickte. „Er ist ok. Das ist Rojos Cielo." Als wäre dieser Name längst ein etablierter Gangstername, wich der Servierjunge sofort zurück. „Entschuldigt Rojo." Er verneigte sich ohne je etwas falsch gemacht zu haben und verschwand die Gänge entlang Richtung Aufzug. Scheinbar heilfroh den berüchtigten Rojo nicht wütend erlebt zu haben. Rojos Cielo. War das Blancos Art um ihn von jetzt an täglich daran zu erinnern, das er gehorsam sein sollte? Sicher hatte Blanco den Namen nicht grundlos verbreitet. Arran ballte die Faust, doch er versuchte sich das nicht all zu sehr anmerken zu lassen. Als wäre es längst Alltag geworden, klopfte er wie selbstverständlich selbst gegen die Tür. Das war Warnung genug, wenigstens empfand Arran es so, denn dann er riss die Tür einfach auf. „Naia. Willst du nicht mal langsam aufwachen? Man hat dir Frühstück gebracht." Arran vollendete die Aufgabe des Zimmerjungen und schob den Wagen mit sich in den Raum hinein. Ihm gegenüber am Fenster drehte sich ein Deckenknäuel hin und her, als hätte es ein Eigenleben entwickelt. Sie war kaum darin zu erkennen, bis sie wohl endlich den Ausweg fand. Ihr zerstrubbeltes Haar kam zum Vorschein und schließlich ihr verschlafenes Gesicht. „Frühstück?" Fragte sie irritiert. Sie blinzelte einen Moment. Es hätte niedlich gewirkt, würde sie nicht noch immer das schwarze Kleid tragen. Es erinnerte Arran daran, warum sie hier war und das war noch immer seine Schuld. „Ja Frühstück. Das hier ist ein Hotel. Hier gibts Frühstück aufs Zimmer. Vor allem wenn man sich als Blancos ‚Gast' bezeichnen kann." Er versuchte es so ruhig und normal wie möglich zu sagen. Er wollte, das sie sich daran gewöhnte, doch das hatte sie noch nicht. Wie auch nach nur einem einzigen Tag. Als hätte man sie getacert, sprang sie auf und stellte sich vors Fenster. Es war ein riesengroßes, bodentiefes, verspiegeltes Glas, das ihr einen Blick über die ganze Stadt ermöglichte. Naia hätte es gestern schon bewundern können, doch sie war dazu gar nicht in der Lage gewesen. Sie starrte sprachlos hinaus. Auch er hatte einmal sprachlos hinausgeblickt und die unglaubliche Aussicht genossen. Jetzt war es Alltag für ihn geworden, doch er wusste um die Wirkung. Ihr Zimmer war auf der selben Häuserseite wie seines. Auch sie konnte Sunburn sehen und er wusste sie hatte es, denn sie wandte sich langsam ab. Ihr Blick voller Traurigkeit. „Ich bin wirklich hier." Erkannte sie endlich, als erwachte sie endgültig aus einem Traum, der ihr anderes verhießen hatte. „Ja, du bist wirklich hier." Erwiderte er ihr ehrlich. Sie nickte, als hätte das alles erklärt. Ihre Augen sahen verloren herum, hingen kurz an der Ecke in die sie sich gedrückt hatte. Dann zum Bett. Es war als suchte sie alles einmal ab. Nach einer Gefahr? Nach einer Flucht? Nicht einmal Arran konnte das wissen und er wagte es nicht zu fragen. Sie öffnete den Mund erst, als sich ihre Augen auf ihn legten. Das Essen hatte sie einfach ignoriert. „Du hast geduscht." Erkannte sie und er sah sie skeptisch an. „Was soll das heißen? Renn ich immer ungewaschen rum? Du solltest dich auch frisch machen." „Aber." Sie hatte es noch nichtmal zu Ende gesprochen, da warf er ihr auch schon seine Sachen hin. „Hier. Ist nicht ganz wie ein Werewolf-T-Shirt, aber das sollte es fürs erste tun. Ich bin überzeugt Blanco lässt dir bald was bringen." Naia fing die Sachen unhandlich auf, ehe sie darauf starrte und dann zum Badezimmer. Erst jetzt erkannte er das Problem. Das hier war ein High Class Hotel. Das Badezimmer war völlig verglast und verhüllte nicht einen Millimeter von dem, was sich darin befand. Zum Beispiel eine Regenschauerdusche mit LED Lampen. Das gehörte sicher nicht zu den Schattenseiten seiner dummen Entscheidungen. „Geh raus!" Rief sie aufgebracht. Es war eine so kindliche Reaktion. Vor allem nach ihren Worten gestern und doch auch so erfrischend. In seiner Welt waren die Frauen keine süßen Mädchen mehr. Sie waren entweder auf das körperliche reduziert oder innerlich genauso abgestumpft wie er. „Jetzt reg dich ab." Fing er an und ihr Kopf wurde noch röter. „Tu ich nicht. Geh raus!" Sie stammelte etwas von Anstand und er grinste amüsiert. Er wartete geduldig bis sie sich völlig verhaspelt hatte, ehe er zur Dusche lief. Er öffnete die Tür und drückte innen an einen Schalter. Mit einem Schlag waren alle Fenster milchig und man hätte es nichtmal gesehen, wenn sich darin jemand versteckte. „Oh." Erkannte Naia endlich und Arran grinste. „Irgendwas elektrisches. Zufrieden?" „Den Knopf gibts aber nicht auch noch außen oder?" Sie funkelte ihn misstrauisch an und er schüttelte den Kopf. „Ganz ruhig. Nur drinnen. Aber ich kann auch raus gehen." Ihre Augen huschten zur Tür, als läge dort die Büchse der Pandora. Einmal geöffnet gäbe es keinen Weg zurück. Die Dämonen wurden befreit. Irgendwo hatte sie Recht. Es war wie er vermutet hatte. Sie fürchtete sich vor dem Alleinsein mehr, als vor dem Entblößt werden. „Schon gut. Bleib. Ich.. beeil mich." Mit seinen Sachen in den Händen huschte sie ins Bad hinein. Es war als fürchtete sie, das dort ein Countdown herunterzählte bevor die Scheibe wieder glasig wurde. Die sonst so gediegene Naia duschte in einer Rekordzeit, wie Arran sie noch nie erlebt hatte. Gefühlte 5 Minuten später trat sie mit tropfenden Haaren und in seinen viel zu großen Sachen wieder aus dem Bad. Er hatte es gerade einmal geschafft, sich eine Tasse Kaffee einzuschenken und in seinem Handy die Nachrichtenapp zu öffnen. Er saß im Couchbereich des Zimmers und sah überrascht auf. „Das ist zu groß." Verkündete Naia überflüssigerweise und zupfte an sich herum. Ihre Füße traten auf die überhängende Hose, ihr ganzer Körper schien in seinem Tshirt unterzugehen. Er wusste das sie es liebte sich weiblich anzuziehen. Mit Kleidern und Röcken. „Naja wenn du die Hose weglässt, könnte das Tshirt fast als Kleid durchgehen." Erkannte er amüsiert und sie warf ihm einen bösen Blick zu. „Daran ist nichts wie ein schönes Kleid. Ich sollte." Ihr Blick glitt zurück zum Bad. Das schwarze Kleid musste noch immer irgendwo dort liegen. Sie wollte es anziehen, doch es war mit zu vielen negativen Erinnerungen verknüpft. Als wäre es verseucht, wandte sie dem Bad einfach wieder den Rücken zu. „Egal. Ist ja nur hier." Brachte sie gespielt gleichgültig hervor. Unbeholfen stapfte sie in den Sachen zu ihm und setzte sich auf einen der Sessel. „Warum trinkst du eigentlich meinen Kaffee mh? Ich bin hier der Gast." Sie sah ihn streng an. Ein heimliches Schmunzeln auf den Lippen und er war überrascht. Sie wirkte wie ausgewechselt. Hatte der Schlaf ihr geholfen sich wieder zu sammeln? Hatte sie im Schlaf ihr Schicksal akzeptiert. „Du wirkst ruhig." Warf er in den Raum mit der Gefahr hin die Stimmung zu zerstören. Sie wieder runter zuziehen. Doch er war zu beeindruckt gewesen. Zu überrascht. Kurz stoppte sie. Ihre dünnen Finger hatten bereits den Henkel der Kaffeekanne umschlungen. Es gab eine zweite Tasse. Blanco hatte an alles gedacht. „Nana hat es immer gesagt." Sagte sie endlich und vollendete ihre Bewegung. Schenkte sich selbst ihren Kaffee ein. Schüttete noch tonnenweise Milch dazu und überhäufte den Rest auch noch mit drei Löffeln Zucker. Warum nur verschandelte sie den Kaffee so? Wenn sie gesüßte Milch wollte, hätte sie den Kaffee wirklich nicht dafür verschwenden brauchen. „Was gesagt?" „Mi cielo, wenn es auch noch so schwer ist, schenke jedem Morgen trotzdem ein Lächeln und vertraue auf Dios. Vertraue auf Gott. Er wird dich leiten." Sie hatte Nanas Worte nicht nur einfach imitiert, sie hatte die ganze Art Nanas in diese Worte gelegt. Als wäre für einen kurzen Moment auch Nana mit ihnen an diesem Frühstückstisch. Arran überlegte wirklich was er sagen sollte. Er konnte nicht wirklich behaupten, das er auch nur eine Sekunde an irgendeinen Gott glaubte, doch es half Naia und so war es für ihn ok. Warum sollte er ihr das nehmen nur weil er anderer Meinung war? Sie war ruhiger und sie aß etwas. Mehr zählte nicht. „Also Rojo. Wie soll es heute weiter gehen?" Er sah auf, als hätte sie ihm eine geklatscht. „Nenn mich nicht so." Es war so schnell und kalt über seine Lippen gekrochen. Er zwang jeden einzelnen ihn so zu nennen. Er hatte seinen wahren Namen bis zu dieser einen Nacht vor ein paar Tagen nicht mehr gehört, doch es hatte sich richtig angefühlt. Jeder sollte ihn Rojo nennen, das war ihm egal. Nur sie nicht. Sie hatte Angst vor Rojo und er wollte nicht Rojo sein. Nicht bei ihr. „Du kannst Rojo nicht verstecken Arran. Nicht hier. Außerdem will ich ihn sehen. Ich will ihn kennen lernen." Sie hatte es ihm gestern schon gesagt, doch er sah einfach fort von ihr. „Aber ich ihn dir nicht zeigen." „Was dann? Soll ich auf diesem Zimmer bleiben bis ich alt und grau bin?" „Als ob du raus willst." Er sah sie auffordernd an. Provokant. Einfach nur um sie einzuschüchtern. „Sollen wir raus?" Er fragte es mit so viel Spott in seiner Stimme. Einen Spott, den er sofort bereute. Das waren nicht Arrans Worte gewesen. Das war Rojo. Naia sah ihn wie überfahren an. Ihre Augen glitten zur Tür. Sie hatte diese Abschätzigkeit in seiner Stimme sehr wohl gehört. Sie wusste genau wie er, das es Rojos Gleichgültigkeit war. In diesem Moment fühlte sich Arran als hätte er zwei Persönlichkeiten entwickelt. Die eine bei Naia. Arran. Besorgt, ehrlich, bereit sie zu beschützen und dann war dort Rojo. Der eiskalte Gangster, der jeden Auftrag ausführte, als hätte er kein Gewissen. „Gut ich geh raus!" Sagte sie plötzlich mit Überzeugung und riss ihn damit aus seinen Gedanken. „Naia lass den Quatsch. Ich hab nur Spaß gemacht. Bleib hier." Sagte er sofort, da stand sie schon. „Nein, ich geh da jetzt raus." Sie sagte es voller Zwang. Sie zitterte, trotzdem machte sie den ersten Schritt. Es war als wusste sie, das auch sie sich ändern musste, um mit Rojo klar zu kommen. Als wollte sie mit Rojo klar kommen. Sich mit ihm messen. Doch das war das letzte das Arran wollte. Sie sollte sich nicht Rojo anpassen müssen. So sprang er auf und griff nach ihrer Hand. Erst das stoppte ihr zittrigen Vormarsch. „Naia. Du kannst da raus. Es wird dir nichts passieren. Niemand wird dich hier anrühren. Du stehst genauso unter Blancos Schutz wie in seiner Gefangenschaft. Aber zwing dich nicht. Nicht für mich. Nicht für Rojo." Ihre Augen blickten einen Moment zur Tür und dann wieder zu ihm. Sie wirkte nachdenklich. Selbst sie schien zu überlegen was sie sagen sollte. Was las sie wohl gerade in seinen Gedanken und was waren ihre? „Solange ich hier bin, wirst du es nicht verstecken können, Arran. Das ist unmöglich. Ich bin hier nur ‚Gast', aber für dich geht das Leben weiter. Rojos Leben geht weiter." Rojos Leben ging weiter. Für die letzten Stunden hatte es sich angefühlt, als waren sie hier zusammen eingesperrt und das würde jetzt ihr Leben sein, doch sie hatte Recht. Das hier war nur ein Zusatz. Er würde wieder ganz normal an seinem Leben teilnehmen. Mit den Besprechungen, Verhören, Grausamkeiten. Nur, das er jetzt auch noch versuchen musste, dabei die richtigen Entscheidungen zu treffen. So das er wenigstens ein wenig das Gefühl hatte, ihre Zeit verdient zu haben. Doch er wollte noch immer, das sie es nicht sah. Er wollte noch immer nicht, das sie Rojo kennen lernte.


Sein roter Himmel - Su Cielo RojoWhere stories live. Discover now