Stage 3 - Kapitel 35

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Müde kam Arran in seine vier Wände, in denen er jetzt lebte. Ein weitläufiges Hotelzimmer in einem der besten Hotels von Upper Hill, dem Stadtzentrum. Es war fast wie ein Ein-Zimmer-Appartment. Nichts unglaubliches oder spannendes. Er hatte nicht mal Dekoration rein gestellt. Es wirkte als lebte hier überhaupt niemand. Es war kein Vergleich zu der Wohnung, die einmal sein Zuhause gewesen war. Von all diesen vollgestopften Ecken. Vier Leute in viel zu wenig Wohnfläche. Jetzt ein Mensch mit viel zu viel Wohnfläche. Er ließ sich auf sein Bett fallen und zog das Handy hervor. Verschiedenste Nachrichten von verschiedensten Leuten. Alle hatten sie mit der Gang zu tun. Er brauchte davon eine Pause. So tat er etwas, das er nur tat, wenn er alleine war. Er öffnete Instagram. Es war ihm schon seit eine Weile aufgefallen. Sie postete mehr als früher. Im Grunde postete sie jeden Schwachsinn in ihrem Leben. Es war als wusste sie, das er die Bilder stalkte und als versuchte sie ihn an ihrem Leben teilnehmen zu lassen. Er seufzte. Wann hörte sie damit endlich auf? Er hatte das Tshirt gesehen, genauso wie das Band am Rummel. Er hatte so vieles gesehen auf das er nicht reagierte, doch sie machte einfach weiter, als wäre es das normalste auf der Welt. Er begriff nicht warum sie für ihn so weit ging. Er hatte sie einfach zurück gelassen. Trotzdem sah er jetzt ein Bild in ihrer Story. Es zeigte einen Kuchen mit einer weißen Blume aus Schokolade und zwei Wunderkerzen daneben. Sie brannten fröhlich. Auf dem Kuchen stand. >Mein Erster.< Sie strahlte breit in die Kamera. Wieder hatte sie das Werewolf-Tshirt an und eine Schürze um. Darunter die Worte: >Der erste offiziell verkaufte Geburtstagskuchen. Ein großer Schritt für meine Familie.< Seine Augen weiteten sich als er den Kuchen sah. Es war sein Geburtstag. Für einen Moment musste er die Augen schließen. Sie hatte ihm jedes Jahr ein Bild gepostet mit kreativen Filtern oder Fotoideen. Immer mit dem selben Spruch, den sie irgendwie in die Nachricht einbaute. >Für meine Familie.< Heute war es ein Kuchen? Heute an seinem 23 Geburtstag? Er musste bitter Lächeln. Er hatte sie in all den Jahren nicht ein einziges Mal besucht. Sie nicht ein einziges Mal gesehen. Kein Wort mit ihr gewechselt. Trotzdem dachte sie noch immer an seinen Geburtstag. Auch am Todestag seiner Mam postete sie jedes Jahr ein Bild. Eine Blume mit den Worten darunter. >Wir werden dich niemals vergessen.< Er löschte seinen Suchverlauf und schaltete das Telefon aus, ehe er die Augen schloss und seinen Arm über die Augen legte. Sie würde all das nicht tun, wenn sie wüsste was er tat. Was er getan hatte. Sie würde sich schämen und ekeln vor ihm. Er wusste immer, das er nicht zurück konnte, doch selbst wenn, würde sie ihm das niemals verzeihen. Er könnte ihr niemals so unter die Augen treten. Alles was er konnte, war unter unbekannten Namen Nanas Arztkosten zu bezahlen. Heimlich Geld zu schicken. Eine Zeitlang hatte er gehofft, Naia würde sein Blutgeld nehmen und doch noch studieren gehen. Sie war nicht gegangen. Das Einzige, das sie sich von dem Geld gekauft hatte, war eine professionelle Kamera. Arran wusste, das Naia sie wie ihren Augapfel hütete und das all die Bilder, die sie schickte, mit der Kamera geschossen wurden. So wenig Naia und Nana über ihn wusste, umso mehr wusste er über sie. Er war gegangen um sie zu beschützen, nicht um sie zurück zu lassen. Bis heute hatte er einen Kontaktmann. Jemanden, der ihm alles erzählte, was es über die Beiden zu erfahren gab. Er kommunizierte mit dem Kontaktmann über Telegram. Ein verschlüsselter Messenger, der seine Nachrichten sicher übermittelte. Trotzdem verwendeten sie Codewörter und Arran löschte jedesmal seinen Nachrichtenverlauf. Es sollte nichts geben, das Naia auch nur ansatzweise in Gefahr brachte. Arran wusste, er sollte nicht, doch er richtete sich noch einmal auf und griff nach seinem Handy. Er öffnete Telegram und schrieb eine kurze Nachricht. >Schick ihr Blumen ohne Absender. Binde sie mit weißen Band zusammen.< Dann stockte er. Sollte er das wirklich tun? Langsam löschte er wieder Buchstaben für Buchstaben, aber stoppte in der Mitte. Und wenn doch? Spielte es wirklich eine Rolle? Er war jetzt 23. Mit 16 war er gegangen. Sieben Jahre lang hatte er ihr keine solche Botschaft geschickt, wie sie ihm jedes Jahr. Er schluckte, ehe er die Nachricht doch noch einmal schrieb. Ein wenig anders als beim ersten Mal. >Schick ihr in Fünf Tagen 23 Blumen ohne Absender. Binde sie mit weißem Band zusammen.< Das war verrückt. Er wusste es. Es war dumm und unüberlegt. Sein Finger schwebte über dem Sendebutton. Überfordert legte Arran das Telefon zur Seite und stand auf. Lief zu seinem Spiegel und blickte hinein, doch ihm blickte nicht mehr der 16 jährige Junge entgegen. Seine Gesichtszüge waren hart geworden, sein Blick kalt. Mittlerweile trug er sein rotes Haar offen. Es war zu seinem Erkennungszeichen geworden. Rojo. Rot. Man sah sein Haar und man wusste wen man vor sich hatte. Sein Körper war muskulöser geworden. Er trug ein einfaches Muskelshirt, das ihn noch kräftiger wirken ließ. Ein Muskelshirt, das sein riesiges Tattoo zeigte. Ein chinesischer Drache dessen Schwanzspitze an seinem rechten Handrücken begann und dann geschwungen seinen Arm hinauf über die Schulter bis in die Brust verlief. Auf der Brust blickte einem der Drachenkopf mit roten Augen direkt an. Das Rot der Augen war die einzige Farbe im gesamten Tattoo. Etwas, das fast unterging, war das lange lockere Tuch, welches um den Körper des Drachen entlang glitt. Den Hals des Drachen umschmiegte. Zwei kleine Sätze standen auf dem Tuch. Gingen in den detailreichen Schuppen des Drachen fast unter. >Mi cielo es mi familia. Una familia para siempre.< Es war schnörkelig geschrieben und bei einem groben Blick fast unleserlich. Mein Himmel ist meine Familie. Eine Familie für immer. Worte, die direkt über seinem Herzen lagen. Für einen Moment wollte er sie sehen und so zog er sein Muskelshirt aus nur um auf die Stelle zu blicken, als würden die Worte Antworten enthalten. Und es war Antwort. Arran hatte angenommen, das der Abstand zueinander irgendwann Alltag werden würde. Leichter würde. Doch es war anders, als er erwartet hatte. Vielleicht sogar gehofft hatte. Es wurde schwerer. Je älter er wurde und je weiter er in der Gang aufstieg, desto mehr sehnte er sich wieder nach einem richtigen Zuhause. Nach einfachen Dingen, wie zusammen Karten spielen. Lachen. Unbeschwert sein. Für einander einstehen. Anfangs hatte er es nicht verstanden, doch langsam verstand er es. Warum so viele ein Doppelleben führten. Zwischen Gewalt, Sex und Drogen auf der einen Seite und einem geordneten Eheleben auf der anderen. Es war eine Zuflucht vor der Realität, in die man eingetaucht war. Eine Zuflucht nach der sich auch Arran, nein. Nach der sich Rojo sehnte. Als hätte er schon bei seinen Tattoos die gespaltenen Gefühle geahnt, war im Kontrast zu seinem Drachen auf seinem linken Oberarm das Zeichen seiner Gang. Eine Fleur de lis. Eine stilisierte Liliendarstellung, die schon französische Ritter als Symbol verwendet hatten. Seine war bereits vollkommen geschwärzt. Der Beweis, das er einen hohen Rang innerhalb El Lirios besaß. Zusätzlich stand noch ein Wort unter seinem Fleur de lis. Liliaceae. Er war nicht länger ein Teil der vielen kleineren Gangs. Er gehörte zur Hauptfamilie. Dort war Stolz in ihm gewachsen, als er es erhalten hatte. Jetzt starrte er dort drauf, als hätte er nichts erreicht. Sunburn war wieder sicherer geworden, doch.. Rico hatte recht behalten. Der Preis war hoch. Sehr hoch. Langsam drehte er sich um und sah zum Smartphone zurück. Er lief mit all seiner Sehnsucht darauf zu, ehe er danach griff und die Nachricht in einem Moment der Schwäche abschickte.

Fünf Tage verstrichen. Im Endeffekt hatte die Person die Blumen über einen Lieferdienst Anonym schicken lassen. An diesem Abend kostete es ihn alles nicht zu dem Cafe zu fahren und ihr Gesicht zu sehen. Er fragte sich, ob sie die Blumen erkennen würde. Immer wieder blickte er heimlich in sein Handy. Bis sie endlich mehrere Bilder in ihrer Story postete. Gleich im ersten Bild war nur eine einzelne der Blumen und darunter ein dummer Spruch. >Rund wie ein Vollmond. Sie ist wunderschön.< Die Chrysanthene war tatsächlich wie ein weißer runder Ball. Vollmond? Spielte sie jetzt wirklich wieder auf diesen Werewolf Mist an? Wie viele Jahre war das jetzt schon her? Trotzdem stahl sich ein Lächeln auf seine Lippen. Sie achtete immer darauf nicht zu viel zu verraten. Keine Verbindung aufzubauen und trotzdem mit ihm zu sprechen. Sie ließ ihn so an vielem teilhaben. Auch an ihrer Beziehung mit Jacob. Arran versuchte sich wirklich zu freuen, doch ein Teil in ihm knirschte immer mit den Zähnen. Und ein fieser kleiner Teil war erleichtert, als die Bilder mit Jacob plötzlich stoppten. Doch dort war immer eine Frage. War das seine Schuld? Wenn er ihre Story sah, dann ahnte er, das es seine Schuld war. Dann sah er sie wieder bei dem Riesenrad. Sie stand ewig in der Schlange nur um sich am Ende zu ihm zu setzen. Nicht nur einmal wünschte er sich in diese Zeit zurück. An die Zeit kurz bevor seine Mutter starb und er ging. Als er realisierte wie sein Herz pochte, wenn sie sich schick machte. Als er erkannte, das er ihre zufälligen Berührungen länger haben wollte. Das etwas in ihm tobte, wenn er sie mit anderen sah. In den Moment vor dem Riesenrad, als sie ihm sagte, das sie Jacob nicht wollte, wegen einem Werewolf. Mit all den Bildern hatte er irgendwann begriffen wen sie damals gemeint hatte. Er hatte es begriffen, als es für ihn schon keinen Weg mehr zurück gab und er sie in Gefahr brachte, wenn er zu ihr ging. Als es ihm klar wurde, begriff er auch endlich warum sie dieses Tshirt immer trug. Warum sie ständig Bilder davon postete. Sie wollte das er es wusste. Sie hatte gewollt, das er es erkannte. Das war ihre Rache für sein gehen gewesen und verdammt. Es tat weh. Das war eine verdammt gute Rache. Jedesmal, wenn er das Tshirt sah, oder irgendwo was von Werewolf und Vampiren hörte, erinnerte es ihn daran was er aufgegeben hatte um dort zu sein wo er gerade war und für was er all das tat. Es half ihm seinen Weg nicht aus den Augen zu verlieren. Es war tatsächlich, als beschützten diese Bilder sein Herz davor zu erkalten. Mit jedem Bild wurde er egoistischer. Er wusste wie hart es für sie sein musste all das zu tun ohne je eine Antwort von ihm zu erhalten. Nicht mehr als diese Blumen. Sie wusste nichtmal, ob es ihn erreichte. Wenn sie im Cafe blieb, wenn sie in der Stadt blieb, wenn sie weiter postete und wenn sie dieses Tshirt trug. Er wusste das sie das für ihn tat und das sie so nicht abschließen konnte und doch wollte er mehr davon sehen. Hatte er mit diesen Blumen nicht im Grunde erreicht das sie weitermachte? Er bereute es genauso stark wie er sich freute, das sie ihm davon postete.

Sein roter Himmel - Su Cielo RojoDonde viven las historias. Descúbrelo ahora