Kapitel 47

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Die zweite Nacht, die er bei Naia im Zimmer verbrachte, war vorbei. Er hatte ungemütlich auf dem Sofa geschlafen, während nur wenige Schritte entfernt sein eigenes Bett auf ihn wartete. Doch er wollte es so und er wusste, das sie das brauchte. Nur weil sie hier nicht alleine war, konnte sie all die Angst und Traurigkeit herunterschlucken. Er war nicht taub. Er hatte gute Ohren. Er hatte gehört, wie sie leise geweint hatte. Wie sie versuchte das Schluchzen mit dem Rascheln ihrer Decke zu verhüllen. Es war ihr nicht gelungen. Jetzt schlief sie tief und fest, während er wach an die Decke starrte, bis es ihm zu langweilig wurde. Bis er stand. Wie gestern wollte er sich aus dem Zimmer schleichen um zu Duschen, doch was war, wenn ihr dann etwas geschah? Gestern hatte er extra Rico hier herumlungern lassen, nur damit sie sicher war. Seine Hand schwebte über der Türklinke. „Jetzt geh schon." Verwirrt blickte er über die Schulter und dort blitzten ihre blauen Augen aus dem Bettdeckenknäuel hervor. „Oder Dusch hier. Das stört mich nicht." Kurz huschte ein Lächeln über ihre Lippen, dann schob sie die Decke wieder über ihr Gesicht. Bereit einfach weiterzuschlafen. Nachdenklich blickte er zum Bad. Sollte er? Für einen Moment zweifelte sogar er, ob das Glas auch wirklich milchig bleiben würde. Dann kam er sich selber albern vor und verschwand, nur um wenige Augenblicke später mit einem Shampoo und seinen Wechselsachen zurück zu kommen. Sein Blick fand die gläserne Badetür. Ein weißes Band war um den Griff gebunden. „Sehr witzig." Stellte er fest, ohne zu Wissen wie er fühlte. Ein Teil war traurig, das es nötig war, ein anderer Teil war glücklich. Es gab ihm das Gefühl, das es wieder wie früher werden konnte. Als wäre sein altes Zuhause hier angekommen. Sie antwortete ihm nicht. Wollte sie ihn nicht hören lassen, wie sie fühlte, oder schlief sie bereits? Er wusste es nicht, doch er ging Baden. Als er zurück kam, war noch immer das Knäuel da und Naia darunter verschollen. „Jetzt steh endlich auf, oder willst du da den ganzen Tag bleiben?" Rief er in Richtung des Knäuels und kurz bewegte er sich hin und her. „Ich hab doch nichts vor." Brummte ihm Naias müde Stimme entgegen, während er sein Handy hervorzog. „Doch das hast du." Er hörte das Knirschen der Decke. Sie hatte sich demonstrativ von ihm weggedreht. Ihr Rücken lugte nun leicht aus der Decke heraus und er musterte ihn. Für einen Moment war da ein Lächeln, das mit jeder Sekunde verblaste. Er würde schon bald wieder Dinge tun, die sie verachtete. Es war vielleicht nur das Frühstück, das sie von jetzt an wirklich zusammen verbringen konnten. So setzte er sich in Bewegung, nur um von hinten das Knäuel zu umarmen. „Steh auf mi cielo rojo, oder ich zeige dir eine Seite, die du noch nicht von mir kennst." Er spürte wie sie erstarrte. Damit hatte sie nicht gerechnet und es war ein kurzer Stich, wie wenig sie bereit war darauf zu reagieren. Obwohl er genau mit dieser Reaktion gerechnet hatte. Doch dann rührte sie sich doch und ihre Stimme erklang laut und bestimmt. „Du willst das ich aufstehe? Ich mache es, aber nur unter einer Bedingung. Ich will das du mir dein Tattoo zeigst." Erst blinzelte Arran in die Decke hinein, dann ließ er sie los und wich zurück. „Was?" Fragte er, als hätte er sich verhört. Das Knäuel rührte sich und ein Kopf drückte sich daraus hervor. Als wäre ein Pilz aus der Erde gesprossen, tauchten ihre blonden Haare und ihre blauen Augen auf. „Das Tattoo. Ich erbarme mich aufzustehen, wenn du es mir zeigst." Verwirrt blickte Arran auf seinen tätowierten Arm und dann wieder zu ihr, bis ihm klar wurde, was für einen Spruch er sich hatte eintätowieren lassen. Naia schien sein Zögern zu spüren, denn sie verschwand einfach wieder unter der Decke. „Gute Nacht." Genervt hob Arran die Hand und fuhr sich damit durchs Haar. „Schon gut. Steh auf. Ich zeigs dir." Mit einem Schlag schlug Naia die Decke fort. So hoch das die Decke fast schon zum Bett zurück zu schweben begann. Auf ihrem Gesicht lag ein Grinsen und in ihren Augen ein zufriedenes Leuchten. „Na dann zeig mir doch mal die Seite, die ich nicht von dir kenne." Sprach sie bewusst ironisch, als hätte sie noch nie seinen Oberkörper gesehen. Dieses weiße Band hing nicht gerade an der Tür, weil ihr zusammenleben so gut funktioniert hatte. Sie sah ihn noch immer ungeniert auffordernd an, bis er endlich nach dem Saum seines Tshirts griff und es über den Kopf zog. Er warf sein Tshirt einfach auf einen der Sessel und sah dann zu ihr. Eine seltsame Stimmung begann den Raum zu füllen. Sie hatten sich oft in Unterhose oder Badesachen gesehen, doch in diesem Moment war es, als sah in Naia zum ersten Mal an. Sie sah ihn an, so wie sie gestern auf seine gespielte Anmache reagiert hatte. Fast unmerklich begann sie zu schlucken und ihre Augen überflogen seinen Oberkörper, dann nickte sie einfach und zerstörte mit einem Schlag den Moment. „Bist durchtrainierter als früher." Sagte sie verdächtig schnell und sprang einfach vom Bett auf. Als wollte auch sie sich beweisen, das er kein Gift war, trat sie mit überzeugten Schritten zu ihm heran. Da wusste er es. Sah es ihr an. Er hatte genug Frauen getroffen und ihre Reaktion auf ihn gesehen. Würde er jetzt reagieren. Handeln, wie er sonst handelte. Er könnte sie haben, doch das war nicht der Weg, den er wollte. Er wollte sie nicht ‚bekommen'. Nicht so. Er wollte mit ihr sein. „Da spricht ja jemand aus Erfahrung." Erkannte er und brach damit ebenfalls den Moment, wie sie es versucht hatte. „Ich hab nicht alles auf Instagram gepostet." Sagte sie nun deutlich überzeugender. „Nicht alles. Und woher soll ich wissen was du gepostet hast? So viel Zeit hatte ich gar nicht." Stellte er fast schon hart klar und sie sah ihm genau in die Augen. „Du kanntest das Tshirt, das ich zur Arbeit trage, nicht wahr? Woher kanntest du seine Bedeutung?" Anders formuliert. Woher wusste er von Werewolf. Warum hatte er das nie in Frage gestellt. Erst jetzt wo sie ihm das vor Augen führte, wurde es ihm klar. Sie hatte ihn durchschaut. Sie hatte ihre Bestätigung bekommen das all diese Bilder nicht umsonst gewesen waren. Viel mehr noch. Sie war davon so überzeugt gewesen, das sie nicht eine Sekunde zweifelte das er Werewolf decodiert hatte. Plötzlich formte sich das Lächeln eines Verlierers auf seinen Lippen. Diese Schlacht hatte er verloren. „Jetzt schau dir endlich das Tattoo an. Oder sollen wir hier noch ewig so herumstehen?" „Siehst nicht aus, als würde es dich stören." Sie grinste zufrieden, ehe sie doch den Blick senkte und sein Tattoo in Augenschein nahm. Sie sah sich alles an. Von jeder gefühlten Schuppe bis zur Schwanzspitze und wieder hinauf. „Das ist Shenlong." Erkannte sie und sah überrascht auf und er zu ihr herunter. „Das erkennst du?" Fragte er buff und für einen Moment wirkte sie verlegen. „Ich dachte, ich verstehe dich besser, wenn ich mir die Serie anschaue." „Aber es hat nicht geholfen?" Schlussfolgerte er und sie nickte. „Nicht im Geringsten." Sie sah wieder auf das Tattoo, ehe ihre Augen auf Höhe des Spruches stoppten. Arran konnte beobachten, wie ihre Lippen sich stumm bewegten, als sie den Spruch las. Wie sich ein Lächeln auf ihren Lippen formte. Kein Freches, sondern irgendwie traurig. Sie musste das weiße Tuch, als das weiße Band erkennen, das sie selbst an die Badetür gebunden hatte. >Mi cielo es mi familia.< Ihr spanisch reichte locker aus um das zu übersetzen. Ihre Augen wollten sich nicht von dem Tattoo lösen. „Wieso hast du es dir machen lassen?" Fragte sie, weil sie es wirklich nicht verstand, oder wollte sie es einfach aus seinem Mund hören? Ihre Augen fanden sich und er wich diesem Blick nicht aus. Egal, was das mit ihm anstellte. Früher hatte er sich erschrocken abgewandt und die Gefühle weggedrückt. Auch jetzt noch zog es ihm den Boden unter den Füßen weg und dennoch konnte er es ertragen. Hätte er früher wirklich den Mumm gehabt zu seinen Gefühlen zu stehen? „Ich wollte nicht vergessen, für was oder wen ich das tue." Entwichen ehrliche Worte seinem Mund. Zu seiner Überraschung war ihr Gesicht nicht fröhlich sondern ernst. „Dann weißt du, warum ich nie mit den Bildern und dem Tshirt aufgehört habe." „Du wolltest nicht vergessen für wen du das tust?" Fragte er und sein Kopf drehte sich leicht zur Seite. „Nein ich wollte, das du nicht vergisst für wen du das tust." Sie stoppte kurz. Schluckte. Er hatte das Gefühl, das er gleich wieder einen Korb bekommen würde. „Arran, ich bin nicht so gottgleich wie du denkst. Ich habe es getan, damit du mich nicht vergisst. Ich wusste immer das es auch noch eine andere Lösung gab. Ich nehme dein Geld und verlasse Sunburn. Verlasse Milestone. Das hätte auch dir die Chance gegeben, doch auszusteigen. Ich war egoistisch Arran. Ich wollte keine Lösung, bei der sich unsere Wege trennten, obwohl ich wusste, was das alles hier mit dir machen würde. Ich wollte mi Cielo für dich bleiben. So wie du es mir gesagt hast, als du gingst. Deine Worte. > Du bist wie der Himmel und ich werde nicht zulassen, das es ein in Abendrot getauchter Himmel wird.< Ich habe den roten Abendhimmel so oft gesehen und mich immer wieder gefragt, was falsch daran wäre su cielo rojo zu sein. Und dann eine Kugel. Eine Schießerei-" Völlig überfahren hatte er ihr zugehört. Doch erst als er hörte wie ihre Stimme brüchig wurde, trat er vor und packte ihre Oberarme. „Naia das ist nicht deine Schuld. Genauso wenig wie Ricos. Das war meine verdammte Entscheidung! Wenn ich gewusst hätte, das du deswegen das Tattoo sehen wolltest. Ich hätte es dir nicht gezeigt. Ich habe die Bilder von ganz alleine angeschaut. Ich habe die Junkies vertrieben oder Blumen verschenkt. Ich hätte das alles ignorieren können." Für einen Moment vergaß er seine Rücksicht. Er ließ ihre Arme nur los um die Blonde in seine Arme zu schließen. „Naia bitte gib dir nicht für etwas die Schuld, das du nie in der Hand hattest." Sie erwiderte seine Umarmung. Das er kein Tshirt trug, hatte jede Bedeutung und Anregung verloren. Er spürte zwar den Hauch ihres Atems auf seiner Haut, doch es gab ihm nur die Gewissheit, das das alles hier kein Traum war. „Bitte Arran. Es war auch meine Entscheidung zu bleiben. Meine Entscheidung an dir fest zu halten. Ich möchte das noch immer. Ich bin noch immer überzeugt das Rojo nicht alles von dir ist. Also zeig ihn mir. Zeige mir, wer du wirklich bist. Vertraue mir. Bitte." Still lauschte er ihren Worten und seine Gedanken der vergangenen Nacht geisterten durch seinen Kopf. Immer wieder hatte er sich gefragt, ob er sie noch tiefer in all das hier mit hinein ziehen sollte. Er wusste er brauchte ihre Hilfe. Wenigstens, wenn er es richtig machen wollte. Wenn er wissen wollte, wem er vertrauen konnte. Welchen Weg er gehen sollte, den über die Schlacht, mit dem Risiko, das sie den Schusswechsel nicht überstanden, oder dem Spitzel, der sie vielleicht einfach nur hinterging um seinen Job zu erledigen. Beide Optionen waren keine guten, aber die einzigen, die ihm bis jetzt kamen. Sollte er ihr endlich vertrauen? Vielleicht einen Weg wählen, der nicht mehr länger nur sein eigener war, sondern ihrer? War das nicht auch der Grund, warum er mit ihr anders umging als mit all den anderen Frauen? Langsam drückte er sie etwas fester. Versteckte sein Gesicht an ihrem Haar, ehe er flüsterte. „Naia." Er wusste das man sie beobachtete, abhörte und das letzte, das er durfte, war, das zu verhindern. Man konnte die Geräte nicht einfach entfernen. Blanco würde kurzen Prozess mit ihr und ihm machen. Nein er musste Wege finden mit Naia zu reden, sodass selbst Blanco ihn nicht hörte. „Ich brauche deine Hilfe und du möchtest Rojo kennen lernen. Ich zeige dir meine Männer." Für einen Moment war sie überfordert, doch dann erwiderte sie seine Geste und schmiegte ihren Kopf leicht gegen seinen. „Du musst wissen, wem du vertrauen kannst?" Fragte sie leise zurück und jetzt lächelte er doch. Trotz der Ernsthaftigkeit dieses Momentes. Er unterschätzte sie und das gewaltig. Sie verstand die Situation und was sie tun durfte und was nicht. Auch ohne das er es ihr erklärte. Sein Lächeln wurde immer breiter. „Naia. Nur das du es weißt. Ich mag deine egoistische Seite."

Sein roter Himmel - Su Cielo RojoWhere stories live. Discover now