Kapitel 74

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Arrans Weg hatte ihn aus dem Haus hinaus und ein Stück den Berg hinauf geführt. Nun saß er auf einem Stein und starrte statt zu dem wunderschönen Meer auf Milestone hinab. Seine Augen klebten regelrecht an dem Schulgebäude von Sunburn, das er in der Ferne gerade so ausmachen konnte. Dort irgendwo, war seine Mutter Ethan zum Opfer gefallen. Dort irgendwo, hatte sein Leben als Rojo begonnen. Und dort irgendwo, hatte er die selben dummen Fehler gemacht, die auch Ethan getan hatte. Nun, mit Abstand, fragte er sich, mit welchem Recht er Ethan verurteilte. Er hatte nicht besser gehandelt, vielleicht sogar noch schlechter als Ethan. Arran hatte sogar Drogen gebraucht um mit seiner Schuld klar zu kommen. Es war nur Naias unerschütterliche Liebe, die ihm half damit klar zu kommen. Sie gab ihm das Gefühl, das es nicht sinnlos gewesen war. Wie wäre es ohne sie? Würde er seine Opfer auch um die Chance bitten für seine Fehler zu büßen. Sie wieder gut zu machen? Vergebung zu finden. Es waren so schöne Worte und so leicht überlegt, doch über den eigenen Schatten zu springen, war etwas völlig anderes. Zu versuchen, jemandem wirklich zu vergeben. Es brauchte eine Stärke und Arran hatte das Gefühl, das er diese nicht besaß. Hatte Naia recht? Würde Ethan zu vergeben auch ihn von etwas befreien? Waren es die Ketten, die ihn noch immer an Rojo banden? Vielleicht für immer, wenn er nicht irgendwann lernte zu vergeben? Kurz lächelte er schief, wenn er an Naia dachte. Sicher würde sie ihm etwas über Gott erzählen und das an Gott zu glauben und zu vergeben der richtige Weg war. >Vertraue auf Dios und glaube daran, das er dir den richtigen Weg weisen wird.< Er hörte Schritte auf dem kiesigen Boden. Sein Blick hob sich. Er erwartete Naia zu sehen, doch an ihrer Stelle kam dort Rico auf ihn zu. Arran sah einfach wieder auf Milestone. „Hast du auch eine Lebensweisheit für mich?" Er sah in den Augenwinkeln, wie Rico stehen blieb. Den Ort überflog und sich schließlich einfach neben Arran setzte. „Willst du denn eine?" Fragte Rico, Arrans passiv aggressiven Unterton ignorierend. „Nicht wirklich." Erwiderte der Rothaarige. Für eine Moment hatte er das Gefühl wieder 16 zu sein. Damals, als er Summer verlor und die einzige Person, der er sich wirklich anvertraut hatte, Rico war. Er wusste sein Freund würde ihm ins Gewissen reden. Er kannte Rico gut genug. Wusste, das Rico zum Hotel wollte. Arran konnte es ihm nicht verübeln. Auch für Rico würde dieser Schritt Freiheit bedeuten und der Beginn, um für seine Taten zu büßen und vielleicht wieder eine Verbindung zu seiner Familie zu schaffen. Eine Familie, die Rico lange nicht gesehen hatte und dennoch vermisste, wie Arran Naia vermisst hatte. Vor allem seinen kleineren Bruder. „Du bist aber auch nicht hier um mir einen Rat zu geben." Sprach Arran aus, was er aus Ricos Erscheinen schlussfolgerte. Rico sah nicht zu Arran. Auch seine Augen legten sich auf Milestone. Eine Stadt, die viel mit ihnen gemacht hatte. Gutes, wie Schlechtes. „Du hast Recht, das bin ich nicht. Du weißt warum ich hier bin." Begann Rico ein Gespräch, das Arran gehofft hatte nicht führen zu müssen. „Du willst nicht zurück bleiben." Sagte Arran. Brachte die ganze Situation mit einem Satz auf den Punkt. „Nein, das will ich nicht. Ich habe viele deiner Befehle ausgeführt. Diesen nicht Arran. Und ich bin nicht allein. Leo denkt genauso." Also auch Leo nicht? Dann wäre dort theoretisch noch Rascal, doch sie würden ihn brauchen. Das war auch Arran klar. „Das ist unser Weg um Vergebung zu finden." Fügte Rico noch mit an. Zerstörte Arrans letzte Hoffnung seinen alten Freund umstimmen zu können. Ricos letzter Satz brachte den Ernst in seiner Stimme zum Ausdruck. Arran konnte sagen was er wollte, Ricos Entscheidung stand. Er würde gehen, egal, ob Arran wollte oder nicht. Egal, ob Arran Naia in Händen sehen wollte, die er kannte und denen er vertraute. „Ich kann sie nicht bei diesem Bastard lassen." Gab Arran fast trotzig von sich. Ein Wind wehte den Berg entlang und spielte mit ihren Haaren. Schenkte ihnen für einen Moment eine angenehme Brise, die die Hitze vertrieb. Egal, ob in Milestone oder drum herum. Es war heiß hier und es würde vermutlich immer heiß bleiben, ob sie nun ihre Schlacht gewannen oder nicht. Doch wie sollte Arran kämpfen, wenn er Naia nicht wenigstens von einer Person beschützt wusste. Wer würde ihr helfen durch eine in Kämpfe versunkene Stadt zu kommen? Das brachte ihn zu einem anderen Problem. Wohin sollte sie gehen? Wo sollten sie sich treffen und wie sollte es dann weiter gehen? Arran wusste nicht wie, doch er hatte noch zwei Tage Zeit. Er konnte sich endgültig abreagieren und dann eine sinnvolle Entscheidung treffen. „Rascal. Er bot mir seine Hilfe an, um von hier zu verschwinden. Er sagte er kenne jemanden, der nicht für das Militär arbeitet." Arran sagte es aus einer Laune heraus, ohne wirklich um Rat zu bitten. Es war mehr wie eine Information, die er einfach mit Rico geteilt haben wollte. Sie waren noch immer gute Freunde und das hier vielleicht eines der letzten Gespräche, das sie nur zu zweit führen würden. Es war ein seltsames Gefühl, doch Arran wusste, auch diese Entscheidung hatte Rico gefällt und er würde sie nicht überdenken. Ein Teil von Arran war sogar beeindruckt von Ricos Entscheidung. Für seine Taten ins Gefängnis zu gehen um bei der Familie bleiben zu können. Es klang so offensichtlich, doch wer war bereit für etwas Richtiges wirklich seine Freiheit zu opfern. Eine Freiheit für die Rico bald erneut sein Lebens aufs Spiel setzte. „Diese Hilfe. Du hast nichtmal gefragt, wie er dir helfen will. Nicht wahr?" Hatte Arran das? Wohl kaum. Er hatte regelrecht vom Thema abgelenkt. Hatte nur nach Rascals Beweggründe, aber nicht nach die Hilfe gefragt. „Du solltest es dir anhören. Wenn du es mir erzählst, dann glaubst du, das er dir vielleicht wirklich helfen kann. Wir kennen viele Leute, mit denen man verschwinden kann. Aber sie alle gehören zum Syndikat. Sie alle wären keine Lösung für dich. Du brauchst die Hilfe." Arran lauschte Ricos Gedanken ohne sie als negativ oder positiv einzuschätzen. Er hörte sich einfach nur an, was Rico ihm unvoreingenommen mit auf den Weg gab. Arran musste diese Entscheidung treffen, doch nicht sofort. So löste er langsam seinen Blick von Milestone und sah aufs Meer hinaus. Betrachtete das weiße Funkeln der Wellen. Sah die Uferkante, wo das Meer von der Bucht in offenes Gewässer wechselte. Sah die Containerschiffe über die Wellen gleiten. Fischerboote, die bei jeder Welle schwankten. „Wir hätten mehr solcher Momente verbringen sollen." Erkannte Arran mit einem bitteren Beigeschmack. „Du meinst eine Wanderung mit Blick aufs Meer?" In den Augenwinkeln sah Arran, wie Rico ihn überrascht, fast belustigt anblickte, dann sah sein alter Freund wieder hinaus aufs Meer. „Du hast Recht. Milestone hat eine Schönheit zu bieten, die wir nie genossen haben." Stille legte sich über sie Beide, als sie für einen Moment ihre Lebensentscheidungen reflektierten. Sich vorstellten, sie wären einfach in Sunburn geblieben. Älter mit ihren Freunden geworden. Hätten die Gegend erkunden. Ausflüge in die Berge unternommen. „Wenn du den Knast hinter dir hast. Hol das nach." Brach Arran das Schweigen und Rico lachte leise. „Wenn du hier weg bist. Finde einen Ort, der noch schöner ist und genießt jeden Augenblick, den ihr habt. Streitet, liebt euch. Lebt ein volles Leben." „Ich wusste nicht was für ein Romantiker in dir steckt." Arran sah endlich zu seinem Freund, doch Rico weiter in die Ferne. „Und ich wusste nicht, wie zuckersüß du noch sein kannst. Ich dachte schon, du hast es verlernt." „Sehr witzig." Sie grinsten sich an, ehe sie wieder fort blickten. „Es gibt da jemanden." Begann Rico und Arran sah buff zu ihm. „Was?" „Cassy. Sie arbeitet in einer Bäckerei als Verkäuferin. Wir schreiben ab und zu. Wenn ich das alles überlebe, werde ich ihr sagen was ich für sie empfinde. Wenn ich euch beide sehe, verstehe ich, wie viel wertvolle Zeit ich verschwende." Wertvolle Zeit verschwenden. An die Mafia, an Dinge, die ihr Herz gar nicht tun wollte. Nichts vom Leben haben. Sie hatten wirklich ihre Zeit verschwendet. „Es ist noch nicht zu spät Rico." Rico nickte. Er wusste, das Arran ihr Leben meinte. Sie hatten noch die Chance umzukehren. Sie lagen noch nicht auf dem Sterbebett und erkannten zu spät, was wichtig war und was nicht. Rico stoppte den Moment, als er aufstand. Arran eine Hand auf die Schulter legte und diese leicht klopfte. „Das gilt auch für dich. Arran." Ricos Hand verschwand von Arrans Schulter und wieder waren dort die knirschenden Schritte über Kies. Es war ein Moment voller Verständnis gewesen, der Arrans Augen weiter öffneten, als er es alleine jemals gekonnt hätte. Ein Moment, dem ihm nur Rico hatte schenken können, weil er ihn als einziger ganz kannte. Als Arran und als Rojo. Es war seltsam, als Arran klar wurde, das sie alles gesagt hatten, was sie immer sagen wollten. Nun konnten sie nur noch eines. Auf die Zukunft hoffen, von der sie träumten. „Irgendwann sehen wir uns wieder Rico. Und wenn es soweit ist, will ich alles von dir wissen. Ich will das du mir erzählst wie du dein Leben ausgekostet hast." Rico stoppte. Sah ein letztes Mal über die Schulter und zu Arran zurück. „Das gilt auch für dich." Es war ein letzter gemeinsamer Blick, dann ging Rico weiter. In eine Richtung, der Arran nicht folgen konnte, selbst, wenn er Rico jetzt folgen würde. Denn so unscheinbar dieser kurze Moment auch gewirkt hatte. Das hier. Das war ihr Abschied gewesen. Voneinander und von der Zeit, die sie zusammen verbracht hatten. Ihr letzter Moment eines gemeinsamen Schicksals, das schon bald zu ihrer Vergangenheit gehören würde.

Sein roter Himmel - Su Cielo RojoWhere stories live. Discover now