Kapitel 67

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Es war seltsam. Nach tagelanger Gefangenschaft fuhr er nun so frei wie nie zuvor durch Milestone. Diesmal war er nicht an krummen Dingen für Lirio beteiligt. Nicht Tomás Gefangener und auch kein Mitglied von Clavol, auch wenn er sie unterstützen würde. Jetzt war er einfach nur Rojo und bereit für das zu kämpfen was ihm wichtig war. Orangene Lichter zogen über ihn im gleichen Takt hinweg, wie in der Nacht von Azuls Verrat. Der Nacht seiner Gefangennahme. Er hoffte einfach nur, das die Lichter nicht ein schlechtes Omen für das waren, was er heute geplant hatte. Genauso wie er hoffte, das Rico, Leo und Rascal getan hatten, was er annahm und das sie dort waren, wo er sie vermutete. In Sunburn. Es war ein eigenartiges Gefühl, als er in Richtung seiner alten Heimat aufbrach. Als er erst durch die halbe Stadt und dann durch Straßen fuhr, auf denen er aufgewachsen war. Er erreichte den Fluss und sah von weiten den riesigen Platz, auf dem im Sommer der Rummel stattfand. Erinnerte sich an seinen und Naias letzten gemeinsamen Besuch dort. An die Szene vor dem Riesenrad. Dort, wo sie ihm angedeutet hatte, das sie ihn mochte. Hätte er es einfach nur damals begriffen. Doch Arran hielt nicht an. Er fuhr weiter. An der Schule vorbei. Er sah die Gasse, die ihn zum Cafe führen würde. Dort wo er den Großteil seiner Jugend verbracht hatte. Was war wohl aus dem Geschäft geworden? Aus all den Menschen seines verlorenen Lebens. Denn eines war klar, selbst wenn der Plan wirklich funktionierte. Wenn alles glatt lief, Naia und er würden hier her nicht zurückkehren. Sie würden Milestone verlassen. Er schob den Gedanken einfach von sich fort und konzentrierte sich auf die Straße vor sich. Er erreichte ein kleines Parkhaus und fuhr hinein. Parkte sein Motorrad und zog wie früher immer die Kapuze des Hoodies über die Haare. Vergrub seine Hände in der Brusttasche und verließ das Parkhaus zu Fuß. Die Waffe hatte er wie immer am Rücken in die Hose gesteckt. Gesichert, damit er sich nicht ausversehen selbst tötete. So zog er unscheinbar durch die Gassen, bis er eine Bauruine erreichte. Man hatte angefangen alles zu bauen und dann das Gebäudeskelett einfach stehen lassen. Ließ es einfach von Wind und Wetter wieder zerfallen. Es gab viele solcher Bauruinen und sie waren ein perfektes Versteck. So geräuschlos wie er konnte, drückte er sich unter einem halb vernagelten Eingang hindurch. Auch viele Verlorene hielten sich hier auf. Jene, die ihr Leben an die Drogen verloren hatten und jene, die ihr Leben an die Armut verloren hatten. Oft waren das ein und die selben. Auch hier fanden sich einige dieser Leute im Erdgeschoss. Es roch unangenehm, doch Arran ignorierte die Geruchskulisse einfach. Niemand störte sich an ihm und niemand schenkte ihm Beachtung. Diese Menschen, die hier lebten, hatten längst das Interesse an der Welt verloren. So steuerte Arran auf eine Treppe zu, die ihn in den ersten Stock führte. Wieder hingen dort Bretter und diesmal musste er über sie hinweg steigen. Kaum hatte er das Treppenhaus erreicht, wurde der Geruch angenehmer. Hier kamen weniger Menschen vorbei. Er hatte gerade einmal den ersten Stock erreicht, als er in einem Raum am Ende des Ganges ein schwaches Licht sah. Bingo. Er steuerte darauf zu und betrat den Raum, nur um von Waffen in Empfang genommen zu werden. Auch er hatte seine Waffe gezogen. Für einige Augenblicke starrten sich alle einfach nur an, ehe Rico seine Waffe als erster sinken ließ. „Rojo. Verdammt. Musst du uns so erschrecken?" Arran grinste und ließ auch seine Waffe sinken. Ihm folgten Leo und Rascal. Erst jetzt hatte Arran Zeit den Raum zu betrachten und er war ehrlich erleichtert, das Rascal bei ihnen war. Sonst waren sie allein. Hinter ihnen war ein Fenster und ein Baum, der ihr Licht vor der Außenwelt abschirmte und ihnen half durch das Fenster zu entkommen, wenn es nötig sein sollte. Sie waren also wirklich untergetaucht. „Ich muss sagen, ich bin erleichtert und besorgt zugleich das ihr hier seit. Was ist mit euren Familien?" Er blickte sich um. Er hatte tatsächlich erwartet Leos und Ricos Familie zu sehen und damit auch Jacob. Doch keiner von ihnen war hier. Es war Rascal, der nun grinste. „Ich hab sie in Sicherheit bringen lassen. Eigentlich wären diese beiden hier auch dran gewesen, aber sie haben mir versichert, du würdest hier auftauchen." Aus dem fast schweigsamen Rascal wurde ja eine regelrechte Quaselstrippe. Sofort hob Arran seine Waffe wieder. „Wenn ihr nur hier seit um mich gefangen zu nehmen." Seine Augen verengten sich, doch Rico trat näher. „Beruhig dich. Das hier ist keine Falle." Arran sah zwischen allen hin und her. Er hatte immer gewusst, das diese Möglichkeit bestand. Doch zu wissen das Rico und Leo ihre Familien beim Militär hatten. Das bewies, das Militär hatte sie in den Händen. „Die Beiden haben mich davon überzeugt, das du hier auftauchen würdest und das du dann bereit sein würdest, dem Militär zu helfen die Syndikate zu besiegen." Arran ließ Rascal nicht aus den Augen. „Ihr habt aber ein großes Vertrauen in mich. Hat er euch nicht gesagt, das ich mich vor zwei Wochen Mortes ergeben hatte?" Arrans Waffe war noch immer erhoben und es war Leo, der vortrat. „Sie hatten Naia. Wir wussten du würdest einen Weg suchen dort raus zu kommen." Für einen Moment sah Arran noch immer Rascal an, ehe er doch seine Waffe sinken ließ. Wäre das hier eine Falle für ihn, er wäre längst umstellt. „Ihr hattet zu viel Hoffnung auf mich gesetzt. Ich hatte nur Glück. Aber ja, ich bin wieder draußen." Rico sah neugierig an Arran vorbei. Suchte eine Person hinter ihm. „Wo ist Naia?" Leos Gesicht verdunkelte sich sofort. „Mortes hat sie doch nicht immer noch?" Arran zog die Augenbrauen hoch und sah seine Freunde ungläubig an. „Ihr glaubt ernsthaft ich wäre ohne Naia abgehauen?" Endlich steckte Arran seine Waffe weg und entspannte sich. „Sie ist in Sicherheit. Erstmal. Genau deswegen bin ich hier. Ihr hattet Recht. Ich habe vor die Syndikate anzugreifen." Rascal pfiff anerkennend. „Seit sie mir davon erzählt haben, bin ich gespannt wie du das anstellen willst." Arran fragte sich wirklich, wie das alles gelingen sollte, trotzdem stahl sich ein Grinsen auf sein Gesicht. „In dem wir Mortes und Lirio gegeneinander ausspielen und ihre Überheblichkeit ausnutzen um sie dort zu treffen, wo es am meisten schmerzt." Rascal sah neugierig aus. Leo war ruhig, während sich Ricos Augen weiteten. „Du willst Blanco töten?" Arrans Augen wanderten zu seinem alten Freund und er nickte. „Ja. Ihn und Tomás." Nun war es Leo, der überrascht aussah. „Tomás? Las Floras. Das hattest du damit gemeint?" Arran sah nun zu Leo und schüttelte den Kopf. „Ich wusste zu dem Zeitpunkt nicht, wer hinter Mortes steckt. Nur das Las Floras der Schlüssel war und er ist es. Ihr hattet Zeit. Ihr wisst wer Tomás ist?" Rascal nickte sofort. „Wir hatten wahrlich genug Zeit. Einer der drei Anführer von Las Floras. Er sollte Tod sein, genauso wie Marco. Blanco hat sie hintergangen." Fasste Rascal zusammen, was die drei in Erfahrung gebracht hatten. Arran grinste. Es war ein seltsam befriedigendes Gefühl mehr Antworten zu haben, als Fragen. Wenigstens, wenn es um diese Geschichte ging. „Ich erzähle euch alles. Danach Rascal, müssen wir reden. Es gibt einen Plan, der nicht ohne das Militär funktioniert, aber das bringt uns in eine Zwickmühle. Wir können nicht riskieren das ihr uns gefangen nehmt, bevor wir den Plan umsetzen konnten." Rascal nickte. Er wirkte nachdenklich. „Ich bin nicht der General. Ich bin nur ein Spitzel. Erzähl es uns erstmal, dann sehen wir weiter." Für Minuten war es allein Arran, der sprach. Alles zusammenfasste was er in Erfahrung gebracht hatte und was er erlebt hatte. Er erzählte von Tomás und seinem Naturell und von Clavol. Er erwähnte absichtlich keine Namen und er erwähnte Naia nicht. „Und Clavol denkt wirklich, dieser Tomás wird trotz seiner Schwächung Blanco angreifen?" Fragte Rascal misstrauisch und Arran nickte. „Ja und ich kenne Blanco. Auch er wird dem Kampf nicht aus den Weg gehen. Dieser Moment ist unsere beste Chance. Unsere Chance der Schlange die Köpfe abzuschlagen. In diesem Chaos kann das Militär eingreifen und endlich die Macht über Milestone gewinnen." Arran ließ Rascal nicht aus den Augen und doch hörte er die Schritte. Er sah wie auch Rascal sie hörte und sich seine Augen weiteten. Als er erkannte, das auch ihm nicht getraut worden war. Langsam zog Arran seine Waffe und drehte sich um. Hielt sie auf den Eingang in dem ein stämmiger Mann eintrat. Mehrere der Bettler aus dem Erdgeschoss waren hinter ihm. Mit Maschinengewehren in den Händen. Ganz offensichtlich doch keine Obdachlosen. „General!" Entwich es Rascal sprachlos. Nicht einmal er hatte das hier geahnt.


Sein roter Himmel - Su Cielo Rojoحيث تعيش القصص. اكتشف الآن