Kapitel 85

2 1 0
                                    

Mit einer seltsamen Stille fuhren sie los und quer durch die Stadt. Keiner sagte ein Wort und kein Geräusch drang ihnen vom Radio entgegen. Dort war nichts als der Klang des Blinkers, wann immer Leo abbog und das über sie streifende orangene Licht der Straßenlampen. Im hellen Schein der erleuchteten Stadt konnten sie kaum Sterne am Himmel sehen. Keiner sagte ein Wort, während Arran an sein Leben hier in Milestone zurückdachte. Mit einer seltsamen Gewissheit wusste er, das sie Blanco und Tomás finden würden und das es ein Ende einleiten würde. Sie alle wussten das. Das hier war ihre letzte Fahrt zusammen. Arran dachte an die Nächte, in denen er auf dem Haus über Nanas Wohnung gesessen und den Sternenhimmel betrachtet hatte. Damals, waren es mehr Sterne gewesen und die Stadt dunkler. Damals war sein Leben ein anderes gewesen. Damals war er jemand anderes gewesen. Würde Blanco und Tomás Ende wirklich sein Leben als Rojo beenden? War es dann vorbei? Es waren Gedanken wie diese, während sie vorwärts fuhren. Dachten die anderen über ähnliches nach? Keiner teilte seinen Gedanken. Sie fuhren einfach weiter bis die Villa sich langsam vor ihnen erhob. Sie die steinerne Wand sahen, die dem Gebäude als Zaun diente. Männer, die vor dem Tor standen und wache hielten. Sie waren hier. Licht leuchtete im Inneren des Gebäudes und mit einem Mal stellte sich nicht die Frage, würden sie hier sein. Sondern. Wie sollten sie hinein kommen? Leo fuhr einfach am Gebäude vorbei. Tat als wäre er einfach nur ein Auto, dessen es keine Beachtung bedurfte. Erst ein Stück entfernt, bog er in eine Seitenstraße ab und parkte das Auto. Sie müssten ein paar Meter zurück gehen, doch dafür hatte man sie nicht bemerkt. „Was jetzt Boss?" Fragte Rascal leise, als sie ausstiegen. „Wir wählen eine Seitengasse und klettern über die Mauer." Entschied Arran, als wäre es das normalste auf der Welt. Rico und Leo liefen bereits los und Rascal folgte ihnen wenig überzeugt. „Die war mindestens drei Meter hoch." Arran grinste sogar kurz, als er das hörte. „Du hast eindeutig zu wenig richtige Aufträge ausgeführt." Erkannte er. Er hätte gerne mehr mit Rascal geredet. Ihn gerne mehr aufgezogen, doch sie kamen dem Gebäude näher und so verstummten sie. Mit geübter Gangstererfahrung schlichen sie um das Gebäude herum und stoppten an einer verlassenen Ecke. Ihre Augen überflogen die Gegend. Niemand war hier. Es war perfekt. Mit einer unglaublichen Routine, sprintete Leo los und lief die Wand förmlich hoch, ehe er oben die Kante zu fassen bekam und sich daran fest hielt. Dann schwang er ein Bein über die Kante und zog sich hoch, als tat er sein Leben lang nichts anderes. Er zögerte nicht. Sprang auf der anderen Seite wieder hinab und verschwand im Dunkeln der Mauer. Rico folgte ihm auf die selbe Weise. Rascal sah alles andere als begeistert aus, trotzdem setzte auch er an und sprintete auf die Mauer zu. Doch er verfehlte die Kante und landete wieder auf seinen Beinen. „Brauchst du Hilfe?" Flüsterte Arran leise. Es gefiel ihm nicht. Er hoffte das Rascal es ohne Hilfe schaffte. Je schneller sie über die Mauer verschwanden, desto weniger Gefahr liefen sie, gesehen zu werden. Würde Arran vorgehen und ihn von der Mauer her hochziehen, konnten sie leichter gefunden werden. Wieder setzte Rascal an und wieder verfehlte er die Kante. Sollte Arran ihn hier zurücklassen und ohne ihn weitergehen? Nur zu dritt? Der Gedanke gefiel Arran noch weniger, als den Braunhaarigen die Wand hoch zu ziehen. Vielleicht eine Räuberleiter? Wohl kaum. Dazu war die Wand zu hoch. „Sieh auf die Kante und nicht wohin du treten willst. Sonst rennst du gegen die Wand statt diese herauf." Flüsterte Arran um seinem Freund zu helfen und dieser sah genervt zurück. Man sah es ihm an. >Im Gegensatz zu euch mach ich das nicht jeden Tag.< Es stand ihm aufs Gesicht geschrieben, doch er wandte seinen Blick ab. Sah hinauf zu der Kante, die er greifen wollte. Dann rannte er zum dritten mal zur Steinmauer. Arran sah es sofort. Rascal rutschte ab und landete ungeschickt auf dem Rücken. Arran machte einen Schritt auf Rascal zu um ihm zu helfen, doch dieser funkelte ihn wütend an. Sein Blick sprühte vor Wut, als er sich wieder aufrichtete und auf seine Startposition ging, als wäre nichts gewesen. Rascal war wütend auf sich und er wollte das können. Also ließ ihn Arran, als Rascal zum vierten Versuch ansetzte. Den Blick auf die Kante gerichtet, sprintete er so schnell er konnte, bis er die Mauer erreichte und sprang. Es war knapp, doch diesmal bekam er die Kante zu fassen. Nur mit mühe schien er sich einen Freudenjubel zu verkneifen und tat stattdessen, was die anderen taten und verschwand über die Mauer. Nun war Arran an der Reihe, doch es kostete ihm nicht ansatzweise so viel Mühe. Er war schon genug Mauern hochgerannt und so landete er wenig später im Gras und blickte auf. Die anderen Drei hatten sich hinter einen Busch versteckt und Arran schloss sich ihnen sofort auf. Er hätte gern gefragt, ob sie schon etwas sahen, doch von jetzt an durften sie nichts sagen, bis sie entdeckt wurden. Im besten Fall, bis die Anführer durch eine Waffe mit Schalldämpfer gestorben waren. Da er nicht fragen konnte, hob er selbst den Blick und sah Richtung Haus. Sie sahen Naranja im Wohnzimmer. Der Einzige aus Lirio, der dem Gemetzel bis jetzt entgangen war. Der letzte General und zu gleich auch der Älteste. Sein ehemals orangenes Haar war längst ausgebleicht und Grau. Doch seine Sinne waren noch einwandfrei. Er hatte sich aufgerichtet und war zur Scheibe getreten. Die Augen verengt, als er versuchte vom hellen Raum hinaus in den dunklen Garten zu blicken. Alles was er vermutlich sah, war sein eigenes Spiegelbild. Sofort zog Arran den Kopf zurück und sah zu seinen Männern. Ihrer aller Blicke waren ernst und sie wussten es. Sie waren richtig. Naranja saß hier sicherlich nicht aus Langeweile herum. Doch wo waren jetzt die beiden Anführer? Arran hätte alles darauf verwettet, das sie irgendwo im oberen Geschoss waren. Vielleicht in einem alten Arbeitszimmer oder so etwas ähnlichen. Es hätte zu den Beiden egozentrischen Personen gepasst. Nur wie kamen sie dort unbemerkt hin? Außerdem konnte Naranja nicht der einzige sein. Auch Tomás war sicher nicht ohne Wachen gekommen. Vielleicht der verschwundene Muro? Oder diese Shira? Einer von Beiden würde es sein und sie Beide schätzte Arran als gefährlich ein. Shira hatte zwar den direkten Kampf gegen ihn verloren, doch sie hatte auch nicht mit ihm gerechnet. Sie war sicher nicht aufgestiegen, weil sie unfähig war. Wieder linste Arran um den Busch herum. Naranja hatte seine Waffe gegriffen, doch er saß wieder. Einen ernsten Blick auf dem Gesicht. Er rechnete mit einem Angriff. Arran spürte Ehrfurcht vor Naranjas scharfen Sinnen, doch auch er war eine Farbe gewesen. Er war Rojo und das nicht, weil die Farbe so einfach zu seinen Haaren gepasst hatte, sondern weil er fähig war. „Lass uns die Ablenkung sein." Bat Rico plötzlich in die Stille hinein. Arrans Augen weiteten sich. Überrascht das Rico sein Schweigen brach und mit so einer Bitte dazu. Die Ablenkung? So viele hatten jetzt schon für ihn Ablenkung gespielt und seine engsten Freunde wollten nun diesem mitleidigen Club beitreten? Arran wollte entschlossen widersprechen, doch dann sah er die Entschlossenheit in den drei Augenpaaren, die zu ihm blickten. Sofort wusste er, was Rico vorhatte. Leo wollte die Eingangstür angreifen und so alle aufschrecken. Rico wollte aus der Ferne gegen Naranja kämpfen. War Rico wirklich soweit? Auch Naranja war ein begnadeter Schütze. Es wäre die Frage, wer von Beiden besser zielen konnte. Arran hatte weder genickt, noch den Kopf geschüttelt, trotzdem setzten sich seine zwei besten Freunde in Bewegung. Taten um was Rico gebeten hatte und für einen Moment musste Arran sich ins Gras krallen, als wollte er es herausreißen. Über wie viele Leichen musste er noch gehen um es endlich zu beenden? Er wollte seine Freunde nicht für sich in Gefahr wissen, doch er konnte sie auch nicht mehr aufhalten. Nur Rascal blieb bei ihm zurück. Arran konnte in Selbstmitleid versinken, oder diese Chance nutzen und so tat er das einzige, um Rico und Leos Tat zu würdigen. Er setzte sich ebenfalls in Bewegung. Drückte sich im Schatten der Mauer weiter um eine Lücke zu finden. Er hörte die ersten Schüsse und er wusste, er musste sich jetzt beeilen. Er rannte los und Rascal war dicht hinter ihm. Sie eilten um das Haus herum, ehe sie ein offenes Fenster erblickten. Diesmal wartete Arran nicht, ob Rascal es schaffte oder nicht. Er übernahm die Führung und rannte die Wand hoch, als wäre das nichts, nur um den Fensterrahmen zu greifen und sich ins Zimmer zu schwingen.

Sein roter Himmel - Su Cielo RojoWhere stories live. Discover now