Kapitel 43

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Rojo betrat sein eigenes Zimmer. Doch es war nicht länger sein Zimmer. Auch ohne Gitterstäbe kam es ihm plötzlich wie eine Gefängniszelle vor. Blanco hatte ihn durchschaut und Naia geholt, bevor Arran auch nur die Chance hatte, ihre Flucht zu planen. Dort wuchs ein Cocktail aus Selbsthass, Verzweiflung und Hilflosigkeit in Arran. Er hatte nie wieder hilflos sein wollen, doch in diesem Moment war er es, wie lange nicht mehr. Es war aussichtslos. Aus seiner Verzweiflung wurde Wut und im nächsten Moment schlug er seine blanke Hand mit aller Kraft gegen die Wand. Schmerz flammte in ihm auf. Seine Haut an den Knöcheln war abgeschürft. Es blutete nicht, doch es pochte wild. Es war ein Schmerz, der ihm das Gefühl von Buße gab. Langsam zog er seine Hand zurück. Es schmerzte selbst, als er sie öffnete, doch er konnte sie bewegen. Er hatte sich wohl nichts ernsthaftes gebrochen. Er wollte noch einmal zuschlagen, doch wenn er keinen Auftrag mehr erledigen konnte, dann könnte auch das das Ende von Naia bedeuten. Blanco hatte es ihm gesagt. Er müsse sich auf ihn verlassen können. So stoppte er den zweiten Schlag mitten in den Luft. Ließ seine Hand sinken und starrte einfach vor sich hin. Es hätte Nacht sein sollen, dann hätte es sich richtiger angefühlt. Doch es war noch immer helllichter Tag. Es war kaum Zeit vergangen, seit er mit Hoffnung im Herzen Naias Haus verlassen hatte. Für einen Moment glitten seine Augen zu einer Schublade. In diesem Moment wollte er einfach nur vergessen. Er wollte nichts mehr von allem spüren, das er gerade spürte. Einfach eine Auszeit. Wenn er könnte, würde er zu Naia, doch er fürchtete sich davor. Davor das sie noch weiter zurückwich. Es machte ihm mehr Angst, als sein eigenes Leben in Gefahr zu wissen. Stopp. Mit einem Schlag drückte er alle Lethargie fort. Er musste seine Angst überwinden. Er hatte sie in diese Situation gebracht, als konnte er sie jetzt nicht einfach im Stich lassen. Er musste für sie da sein, egal wie sehr er vor ihrer Abweisung Angst hatte. Blanco hatte es ihnen gesagt. Er konnte sie sehen, sie durfte nur nicht das Stockwerk verlassen. Seine eigene Faust ignorierend, wandte er seinem Zimmer einfach den Rücken zu und verschwand auf den Gang. Es war nicht schwer Naia zu finden. Zum einen war dort der Bodyguard vor ihrem Zimmer, zum anderen war es nur wenige Türen von seinem entfernt. Die stetige Erinnerung an Rojo, das er nichts dummes tat. Kurz fand sein Blick den Bodyguard. Er sah zu ihm, nahm ihn zur Kenntnis, doch er rührte sich nicht. Also überwand Arran jede Sorge und trat zur Tür. Klopfte dagegen, doch er hörte nichts. „Naia?" Rief er laut durch die Tür. Er wusste sie musste ihn hören. Doch sie reagierte noch immer nicht. „Ich komm jetzt rein." Bestimmte er einfach. Er hatte ihr das hier eingebrockt und er würde sich jetzt nicht noch verstecken. Er würde für sie da sein, egal wie sehr sie ihn hasste. Keiner hielt ihn ab, als er die Türklinke nach unten drückte. Niemand hielt ihn auf, als er die Tür aufschob. Und erst mal, sah er niemanden. Er blickte verwirrt in das Zimmer hinein. Dann wurde es ihm klar. Er trat ein und schloss die Tür nur um sie in der Zimmerecke hinter der Tür zu sehen. Sie hatte sich ins letzte Eck gepresst und die Arme um ihre Beine geschlungen. All seine Gefühle von Selbstmitleid verschwanden und ein ungläubiges Lächeln stahl sich auf sein Gesicht. Sie hatte es schon seit sie klein war getan. Bei einem Alptraum, ein falsches Geräusch. Immer hatte sie sich hinter der Tür versteckt. Vorsichtig trat er zu ihr und ging in die Hocke damit sie auf einer Augenhöhe waren. „Du hast Angst." Erkannte er sanft. Sie hatte ihr Gesicht in ihre Arme gedrückt, doch endlich sah sie auf. Sah zu ihm und er wollte sie wieder fest an sich drücken und ihr Trost spenden. „Ich.. wollte .. ich.." Was auch immer sie versuchte zu sagen, sie brachte es nicht heraus. Sie stammelte noch einige ichs, ehe er die Hand hob und ihren Kopf patete. „Es ist ok Angst zu haben, Naia. Es tut mir leid. Das hier ist alles meine Schuld. Aber es ist ok. Wir haben noch immer uns." Plötzlich wich sie wieder vor seiner Hand zurück und schüttelte den Kopf. „Ich.. wegen mir!" Sie hob den Blick und sah ihn fast völlig aufgelöst an. Er spürte noch immer den Schmerz ihres zurückzuckens, doch diesmal überwandt er sich einfach. Er griff einfach unter sie und hob sie hoch. Sie war so überrascht davon, das sie sich an seinem Hals festhielt. „Na also." Sagte er und lief ohne zögern zum Bett herüber. Erst dort ließ er sie runter und setzte sich einfach neben sie. Lehnte sich gegen die Wand und griff nach der Fernbedingung. Was sollte er ihr jetzt auch sagen? Er wollte erstmal das Naia sich beruhigte und sie hatten es die letzten Tage auch so gehändelt. Also schaltete er den Fernseher ein und suchte den Sender mit den Telenovelas. Über Stunden starrte er auf die Klotze, während er in Wirklichkeit Naia beobachtete. Für diesen Moment fühlte es sich fast an, wie kurz vor der Beerdigung. Sie hatten einfach einen Moment alleine. Nur für sich. Anfangs klammerte Naia sich weiterhin an ihren Beinen fest und ihre Augen waren feucht. Irgendwann wurde ihr Griff lockerer. Ihre Arme schwer und sie rutschte langsam Stück für Stück an die Wand. Lehnte sich mit an und sah zu ihm. Immer wieder blickte sie nervös zur Tür, doch es kam niemand. Niemand störte sie und niemand holte Arran ab damit er auf den nächsten Auftrag musste. Irgendwann sah sie wirklich zum Fernseher. Nur eines fehlte. Ihr unbeschwertes Lachen, wenn die Darsteller etwas dummes taten. Sie war ruhiger, aber tief in ihre Gedanken versunken. Arran störte sie nicht. Er hatte das Gefühl, das sie das jetzt brauchte. Er war hier und sie konnte jederzeit reden, wenn sie wollte. Es war längst spät in der Nacht, als sie, für Arran, unerwartet den Kopf hob. „Es tut mir leid." Sie sagte es so unvermittelt, das er sie irritiert anblinzelte. Ihr tat es leid? Was an dieser ganzen Scheiße war bitte ihre Schuld? „Naia, sa-" Sie hob die Hand und schüttelte den Kopf. „Bitte Arran." Er stoppte und schloss seinen Mund. Für einen Moment nickte sie, dann sah sie fort. Hinein in den unbedeutenden Raum. Sie sortierte ihre Gedanken. Arran hätte sie zu gerne gelesen. Doch er geduldete sich bis Naia traurig drein blickte. „Ich dachte ich verstehe es. Ich dachte es wirklich. Ich hab alles über Rojo gelesen. Um mir und der Welt zu beweisen das mich nichts schocken kann. Das ich alles akzeptieren kann. Aber als wir.. als..." Er öffnete den Mund, doch wieder schüttelte sie den Kopf. „Als wir auf dem Friedhof waren." Ihre Stimme bebte bei diesen Worten, doch sie sah noch immer konzentriert aus. Sie wollte das sagen. Unbedingt. „Da begriff ich, das ich gar nichts wusste. Das ich Rojo nicht kenne. Kein Stück. Die 7 Jahre. Ich habe in einer Illusion gelebt." Brachte sie endlich hervor, ehe sie ihm ins Gesicht blickte. Dort lag etwas zerbrechliches in ihren Augen. „Ich habe Angst vor Rojo." Brachte sie traurig hervor und kurz gönnte er sich die Augen zu schließen. Er hatte es sich nicht eingebildet. Er hatte Recht gehabt. Es war schmerzhaft, doch nur halb so schmerzhaft, wenn man es erwartete. Er konnte sie verstehen. Sie sollte Angst vor ihm haben. Er würde ihr trotzdem beistehen. Das war die Entscheidung mit der er hergekommen war. „Arran." Er war überrascht, als sie ihn noch einmal ansprach. Noch einmal um seine Aufmerksamkeit bat. „Für mich, warst du all die Zeit dieser dumme Werewolf. Aber ich kann dich jetzt so nicht mehr nennen. Werewolf, ist dein altes Ich. Dein 16 Jähriges Ich in das ich mich verliebt hatte. Die letzten Tage warst du da für mich. Du hast versucht dieser Werewolf zu sein. Du wolltest wie früher sein. Aber das bist du nicht mehr." Es war seltsam zu hören, wie seine eigenen Vermutung bestätigt wurden. Es gab einem das Gefühl recht zu haben und dabei alles falsch gemacht zu haben. Sie hatte ihn geliebt, aber sie konnte nicht Rojo lieben. Liebe. Er hatte es nie so in Worte gefasst, doch als er dieses Wort jetzt von ihr hörte, da wurde es ihm reichlich spät und schmerzhaft klar. Er liebte sie. Mit Tränen im Herzen hob er die Hand und fuhr sich durch sein rotes Haar. Er hätte früher mit Jacob reden sollen. Sein Leben hätte ein völlig anderes sein können. Er lächelte sogar ein bitteres Lächeln. Es war seltsam, wenn mit einem Schluss gemacht wurde, obwohl es nie angefangen hatte. „Wenn ich dich das nächste Mal Werewolf nenne, dann weil ich Rojo kennen gelernt habe und den Arran liebe, der gerade vor mir sitzt. Und nicht den, der er einmal war." Sein Herz stoppte und seine Augen suchten verloren ihre. Hatte er sich gerade verhört? Das konnte unmöglich das gewesen sein das sie gesagt hatte. Aber doch, dort war sie wieder. Diese Stärke in ihren Augen und in ihrem Lächeln. Sie hatte ihm keinen Korb gegeben. Er sah es in ihrem Blick. An ihrer ganzen Ausstrahlung. Sie hatte darüber die letzten Stunden ernsthaft nachgedacht und sie war zu dem Schluss gekommen. Sie konnte ihn jetzt nicht mehr Werewolf nennen, doch sie zweifelte nicht daran, das der Moment wieder kam, das sie es würde. Für sie, war das nur eine Frage der Zeit. Das konnte sie unmöglich gesagt haben. „Du solltest trotzdem an dir arbeiten! Nur das das klar ist." Woher nahm sie nur ihre Stärke? Sie sollte in diesem Moment in Angst ersticken. Sie hatte Angst vor Rojo, doch sie wollte dagegen kämpfen. Sie wollte ihn kennen lernen, damit er sich bei ihr nicht verstellen musste. Doch er wollte wieder der alte Arran sein. „Ich habe dich nicht verdient Naia." Erkannte er laut. Fast schon zerbrechlich ehrlich und sie sah genauso verletzlich zu ihm zurück. „Dann erarbeite es dir. Denn ich will dich irgendwann wieder meinen sexy Werewolf nennen." Sie sagte es tatsächlich. Diesmal konnte er sich nicht zurück halten. Er tat was er schon die ganzen Zeit tun wollte und umarmte sie einfach. Drückte sie fest an sich und schloss die Augen. Auch wenn er alles verkackt hatte. Sie jetzt hier in El Lirio saß und eine Gefangene war. Jeder Fehler könnte ihren Tod bedeutet. Er hatte trotzdem noch immer etwas, das er richtig machen konnte. Es war nicht zu spät. Sie waren hier zusammen und er hatte immer noch die Wahl, wie er seine Aufträge ausführte. Manchmal konnte die richtige Entscheidung schon sein, auf den Fuß statt aufs Herz zu zielen. Es war eine Kleinigkeit, doch das, das war entscheidend. Wer wusste schon, ob man wirklich sagen konnte, das er sie verloren hatte. Doch jetzt wo er ihre Worte gehört hatte, da wusste er, das er sie zurück wollte. „Ich werde mich ändern Naia. Irgendwie, werde ich mich ändern."


Sein roter Himmel - Su Cielo RojoWhere stories live. Discover now