Kapitel 59

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Arran sah noch immer den Gang entlang. Soweit, wie er von seiner Zelle aus sehen konnte. Er löste seinen Blick erst, als er Naia hörte. Sofort legten sich seine Augen auf sie. Sie war auf ihre Knie hinabgesunken und drückte ihre Hände in ihr Gesicht. Tränen tropfen zu Boden. War es wegen dem, was sie getan hatte, oder weil die Angst der Situation langsam abließ? Arran konnte nur mutmaßen. „Hey Naia. Es ist ok. Azul wird uns nichts tun und ich hab noch alle Finger." Versuchte er sie aufzumuntern. Sie nickte in ihre Hände hinein, doch die Tränen stoppten nicht. „Naia, bitte. Sieh mich an." Sie schüttelte einfach nur den Kopf und versteckte noch immer ihr Gesicht. Was nur war los mit ihr? Wieder sah Arran den Gang entlang. Was hatte sie tun müssen? Oder war es doch nur der Schreck? Nein. Arran hatte die Leere in ihren Augen gesehen und egal was er jetzt sagte. Er versuchte es auf jeden erdenkliche Art. Sie blickte nicht auf und sie reagierte nicht. „Leg dich hin Naia. Morgen sieht die Welt ein wenig besser aus." Schlug Arran irgendwann vor und sie wischte sich endlich die Tränen aus dem Gesicht. Doch sie blickte nicht zu ihm. Stattdessen richtete sie sich zur Wand gedreht auf und schlürfte zu ihrer Liege herüber. Stumm ließ sie sich darauf nieder und alles was Arran dann sah, war ihr Rücken. Er wusste nicht, ob er erleichtert sein sollte, das sie nun wenigstens nicht mehr, auf die Knie gesunken und zusammen gekauert, dasaß. Alles was er wusste war, das sie nicht schlief. Sie lag stumm da und vermutlich stierte sie vor sich hin. Still leidend. Er wollte sie nicht aus den Augen lassen und so lehnte er sich an der Rückseite seiner Zelle an die Wand. Dort wo er immer ein Auge auf sie haben konnte. Sie sehen konnte, ohne das es ihm irgendwie half. Doch es gab ihm das Gefühl etwas zu tun. Immer wieder döste er kurz weg und zuckte zusammen, als sein Kopf nach vorne sank. Er gähnte müde und verschränkte die Arme vor der Brust. Legte seinen Kopf auf seiner Schulter ab und schloss die Augen. Alle seine Sinne lagen auf seinem Gehör. So schreckte er auf, als jemand Essen in seine und Naias Zelle schob. Noch immer sah Naia nicht auf. Noch immer blieb sie stumm. Erst als die Männer weg waren, versuchte es Arran erneut. „Iss was Naia. Bitte." Stille. Auch ihm war nicht nach Essen zu mute und mit jeder verstreichenden Minute wusste er, das sie etwas erlebt hat, das sie für immer prägen würde. Nachdenklich starrte er auf sein Essen und überlegte, wie er Naia helfen konnte. Es musste etwas geben. Etwas das Arran konnte und Rojo nicht mehr. Rojo. Es wurde ihm in dieser Zelle immer bewusster. Die Zeit mit ihr veränderte ihn wieder. Als Rojo hatte er kaum noch geredet. Er hatte sich für den Kampf und für Leid entschieden. Jetzt überlegte er wieder, wie er es verhindern konnte. Zwar nicht für seine Feinde, aber immerhin für sie. So tat er etwas, das Rojo vor ein paar Wochen. Zu dem Zeitpunkt, bevor er wieder auf Naia getroffen war, sicher nicht getan hätte. Er begann leise zu singen. Er hatte an das Lied schon lange nicht mehr gedacht und eigentlich verdrängt. Es war mit so vielen schmerzhaften Erinnerungen verborgen. Doch jetzt war es ihm einfach wieder in den Sinn gekommen und er warf jeden Stolz über Bord, als er seine Stimme erhob. Wenn seine Männer ihn jetzt sehen würden. Sahen, wie Rojo auch sein konnte. Wurde er ganz ungewollt wieder zu dem alten Arran? Er wusste das man sie beobachtete und er wusste das man sie hörte. Doch in diesem Moment war es ihm egal, ob Azul morgen mit hämisches Grinsen erscheinen würde. Diese Häme hatte er nur, weil er wollte was Arran hatte. Arran hatte eine Familie und diese Familie brauchte ihn jetzt und er würde alles für sie tun. Das hatte er damals beschlossen als er ging. Jetzt war dieses alles, aber, nicht mehr länger, den harten Rojo zu zeigen. Jetzt war es sie irgendwie aufzumuntern. So sang er ein altes Lied, das seine Mutter ihm früher immer singend zugeflüstert hatte. Ihm und später auch Naia, als sie bei ihnen einzogen waren. Wenn sie nicht schlafen konnte. Sie Beide hatten es geliebt und mit Summers Tod, hatte er es völlig verdrängt. Jede Erinnerung daran hatte ihn nur an ihren Tod erinnert. Es gab so vieles, das er von seiner Mutter vergessen hatte. Desto seltsamer war es, als er jetzt ihre Worte sang und sich wieder an seine eigene Mutter erinnerte. An alles was er mit ihrem Tod verloren hatte. Er hatte es zu lange verdrängt, während ihre Worte durch seinen Mond flossen.

„She tells him >ooh love<
No one's ever gonna hurt you, love
I'm gonna give you all of my love
Nobody matters like you
She tells him >your life ain't gonna be nothing like my life
You're gonna grow and have a good life
I'm gonna do what I've got to do.<"

Es drückte ihm fast die Kehle zu, als ihr sanftes Gesicht vor seinem inneren Auge erschien. Als er sich an ihre liebevolle Erziehung erinnerte. An all die Kraft, die sie in ihn gesteckt hatte nur damit er hier landete. Er hatte darüber nie nachgedacht, doch als er jetzt sang, dachte er an all das. Es waren Worte, die etwas verletzliches von ihm preisgaben, doch nur für jene, die wussten das Summer diese Worte gesungen hatte. Nur Naia verstand es und zum ersten Mal, seit sie wieder hier war, hob sie den Kopf. Sie blickte über die Schulter hinweg und endlich zu ihm. Dort lag etwas überraschtes auf ihrem Gesicht. Es war eher Fassungslosigkeit. Endlich brach sie die Stille. „Arran.." Flüsterte sie leise. Sie sah ihn an, als glaubte sie, das sie träumte. Dann richtete sie sich auf und stand vorsichtig auf. Trat langsam über die Steine tapsend näher bis sie die Gitterstäbe erreichte. Jeder Schritt von einem seiner Worte begleitet. Erst an den Stäben stoppte sie und dort lag etwas so trauriges. Erst da stoppte auch er. Erst da schenkte er ihr ein Lächeln. Kurz brach er den Blickkontakt zu Naia, nur um in die Ferne zu blicken. In die ferne Vergangenheit hinein. Zum ersten Mal seit Summers Tod sah er nicht ihren leeren, toten Blick. Zum ersten Mal seit damals sah er Summer Lächeln, als war sie erleichtert das er endlich wieder den richtigen Weg einschlug. Es war ein unscheinbares Nicken, das er seiner Mutter schenkte, ehe er wieder zu Naia blickte. „Schau was du mit Rojo machst. Jetzt singe ich schon." Er lächelte schief, fast schon unschuldig und dort waren wieder ihre Tränen. Kurz brach auch sie den Blickkontakt und sah dorthin, wo er hingesehen hatte, als konnte auch sie Summer sehen. Als sah sie den selben Anblick. Diesmal waren es gerührte Tränen, keine von Schmerz und Angst erfüllten. „Sie hätte dich sicher gerne singen gehört." Erkannte sie und lächelte wieder zu ihm. „Sie hätte sicher einiges gerne anders gesehen, als es gekommen ist." Gestand er ehrlich. Endlich richtete auch er sich auf. Trat bis zu den Gitterstäben und setzte sich davor. Auch Naia setzte sich. Ihr Blick war nicht mehr ganz so leer, doch sie wirkte noch immer zurückhaltend, als war dort etwas, das sie versuchte zu verdrängen. Wer kannte das besser als Arran selbst? „Ich glaube, sie wäre sauer, aber auch beeindruckt. Nach all den Jahren in der Mafia sitzt du in einer Zelle und singst für ein weinendes Mädchen." Selbst er musste zugeben, das es in ihren Worten zu hören, beeindruckend klang. Mit allem was er gesehen und getan hatte, hätte er wie Azul oder Brook werden können. Genauso paranoid wie Tomás oder Blanco. Doch er war zu jemanden geworden, der im Versuch jemanden aufzumuntern zu singen begann. War er stärker als er dachte, oder war sie hier zu haben seine Stärke? Spielte das überhaupt eine Rolle? „Und dort sitzt ein Mädchen, das sich selbst in Gefahr bringt, um diesen Idioten zu schützen. Du hast Azul absichtlich provoziert. Naia. Tu das nie wieder. Wenn dieser Kerl nicht aufgetaucht wäre.." Naia löste kurz den Blick und sah auf eine Stelle, als konnte sie diesen Juan noch immer sehen. „Juan. Er ist gefährlich. Bitte Arran, wenn er auftaucht. Rede nicht mit ihm, wie du mit Azul redest." Brachte Naia offen von sich und Arran nickte. Jemand, der mit so einer Selbstverständlichkeit zu einem bewaffneten, verrückten Azul ging, musste gefährlich sein. Alle seine Sinne hatten Arran vor Juan gewarnt. „Es ist schade, was das alles mit einem macht. Ich meine, wenn man nur sein Aussehen sieht. Er ist wirklich hübsch. Fast schon niedlich." Arrans Augenbrauen hoben sich. „Lass das Juan nicht hören. Ein niedlicher Gangster." Es war wie ein Blitz, der Arran durchschoss. Niedlicher Gangster? Hatten sie nicht schon ein ähnliches Gespräch geführt? Es schien wie Welten her zu sein, doch sie hatten über Rascal auf genau die selbe Weise geredet. So, das es Blanco nicht hörte. Das konnte kein Zufall sein. Nicht mit diesen Worten. Nicht so. Nicht hier. Hieß das, er sollte Juan vertrauen? War das Naias Ernst? Ein Mann, den sie nur kurz gesehen hatte? Gut, er hatte Arran davor bewahrt einen Finger zu verlieren, doch seine Worte waren sinnig. Einzig Tomás sollte entscheiden wann und wie viele Finger Arran einbüßte. Nichts daran hatte irgendwie besonders nett gewirkt. Auch seine Warnung Arran könnte Azuls Rage ausnutzen. Arran hatte es tatsächlich überlegt. In dieser Situation vorhin nicht, doch wenn Azul unvorsichtiger wurde. Allein kam. Mit dem Messer könnte er sich sicher hier rausholen. Dafür hätte er auch den Finger geopfert. Nur damit Azul sich in Sicherheit wog. In all dieser Situation mit Juan hatte Naia verängstigt zu Boden geblickt. War es geschauspielert gewesen? Arran und Naia saßen stumm da, als hätten sie alles gesagt. Eine Stille war entstanden, in der Arran überlegte, ob er Naias Worte richtig zu deuten gewusst hatte. Wenn es nur ein Zufall war. Doch was würde es bedeuten? Er könnte den Mann nicht ansprechen. Er konnte nichts tun, als in einem Moment, wenn ein Wunder geschah, dem Mann zu vertrauen.


Sein roter Himmel - Su Cielo RojoWhere stories live. Discover now