Kapitel 62

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Arran hätte schießen können, doch Fakt war. Er tat es nicht. Sie fuhren durch ein Waldgebiet hindurch und einen kleinen Zubringer, den Berg hinauf. Als sie ein paar Höhenmeter erreichten hatten, hatten sie einen unglaublichen Ausblick auf Milestone. Selbst von dieser Entfernung war das Hotel im Stadtkern zu erahnen. Outerhill lag unter ihnen. Weit im Hintergrund musste Sunburn liegen und je höher sie fuhren, desto weiter breitete sich das glitzernde Meer am Horizont aus. Milestone lag regelrecht friedlich da, als gäbe es all diese Straßenkämpfe nicht. Jeden gefahrenen Meter grübelte Arran, doch ihm war klar. Ihm fehlten so viele Informationen. Allen voran was aus Lirio und Mortes wurde und er wusste, Juan hatte die Antworten. So betrachtete er das dunkelblaue Meer und den hellblauen Himmel, als sähe er diese Schönheit zum ersten Mal. Einzelne Vögel zogen über den Himmel hinweg. Es war ein wolkenloser Tag, als Juan den Wagen stoppte. Zugegeben, Arran war buff. Erst in den letzten Metern hatte sich eine Villa zwischen den Bäumen blicken lassen. Sie lag an den Fels angeschmiegt. Ein Teil der teuren Anlage musste in den Stein gehauen sein. Bäume versteckten das Gebäude im Dickicht. Von Milestone aus musste dieser Ort völlig unentdeckt sein, solange hier kein Licht brannte. Es war eine Villa, wie ein kleiner karibischer Traum. Mit weißen Wänden, bodentiefen Fenstern. Sogar ein kleiner Pool war in Richtung Meer eingebaut. Als sie ausstiegen und das Haus betraten, erwartete sie ein Ort, der von Holzmöbeln erfüllt war. Holz in einem wunderschönen rötlichen Ton, der der Villa wärme verlieh. „Schön nicht wahr?" Fragte Juan fast schon stolz, als er mit ihnen eintrat. Ein dutzend Menschen waren bereits hier. Sie alle hielten Waffen in der Hand und sie wollten zu dem schönen Gebäude einfach nicht passen. „Ganz schön teures Versteck." Erkannte Arran laut und Juan grinste kurz, ehe sein Blick traurig wurde. „Das ist Marcos letztes Geschenk an Naia. An seine Familie. Er ließ es heimlich bauen in der Hoffnung seine Familie hier zu verstecken, sobald er den Kampf gegen Tomás und Blanco antrat. Wie ihr wisst, kam es nie dazu. Jetzt entweihen wir es, aber eigentlich Naia. Ist das hier alles deines." Juan sah zu Naia herab und diese blickte sich mit riesigen Augen um. „Meines?" Arran konnte es ihr nicht verübeln. Naia war mit ihm zusammen in einem ärmlichen Viertel unter schlichten Verhältnissen aufgewachsen, doch im Grunde hatten sie beide nie dorthin gehört. Sie waren beide wirklich blancos gewesen. So, wie die Kinder sie immer beschimpft hatten. Arran wenigstens hatte sich daran erinnert. An das große Haus, in dem sein Vater gestorben war. Naia, hatte vieles aus ihrer Vergangenheit vergessen gehabt. Wie musste es sein, plötzlich in einer Villa zu stehen, die nur für einen selbst gebaut worden war? Wenn es nicht noch weitere Überraschungen gab, dann war Naia das einzige Kind von Marco und damit die Alleinerbin dieses Gebäudes. „Und ich dachte, ich kam aus guten Verhältnissen." Versuchte Arran frech. Naia blickte sich mit riesigen Augen um. Der Mund voll Unglauben leicht geöffnet. Unsicher ließ sie Arrans Hand los und machte ihre ersten eigenen Schritte in dem Haus. Ging zu den Fenstern und sah über den Pool hinweg zum Meer. Es war als waren sie in einem unwirklichen Traum gelandet. Zuerst hatten sie Marco kennen gelernt, wie er als Mafioso gelebt hatte. Von seinen Fähigkeiten überzeugt und die Verhöre genießend. Hier zeigte er auch, das er Geschmack besaß und seiner Familie ein kleines Heiligtum hatte bauen wollen. War es nur Prestige für Marco gewesen oder hatte er wirklich nur das Beste für seine Familie gewollt? Wer wusste das schon.

Hinter ihnen trudelten mehr und mehr Männer ein. Doch je mehr eintraten, desto klarer wurde Arran eines. Es waren wenige. Juan hatte offensichtlich nicht vielen sein Vertrauen geschenkt. Wie glaubte er mit so wenig Männern einen Kampf gegen Mortes und Lirio führen zu können? Hatte er darauf gehofft, das die Beiden sich gegenseitig zerstörten und sie nur zusehen mussten? Hatte er das hier mehr wie ein Ferienlager benutzt und es jetzt nur aktiviert, weil ihm wirklich etwas an Naias Sicherheit lag? Besorgt musterte Arran einen nach dem anderen. Wenn das hier doch eine Falle war, dann hatte er wieder keine Chance. Es wären zu viele und sie waren mitten drin. Dann stoppten seine Augen an einem Gesicht. Der Kerl hatte einen tattowierten Schriftzug unter seinem rechten Auge, ein kahl rasierter Kopf und ein Kreuz auf die rechte Kopfhälfte tätowiert. Bilder sprudelten wie aus einer einst ausgedörrten Quelle in ihm hervor. Unaufhaltsam. Es war als war er wieder 16. Für einen Moment stand er nicht mehr in dieser viel zu schönen Villa, sondern an jener tragischen Bushaltestelle mit seiner Mutter. Es war, als erlebte er etwas wieder, das ihn in so vielen Träumen heimgesucht hatte. Sie waren gerade aus dem Bus ausgestiegen. Nicht weit entfernt stritten sich junge Los Mortes mit El Lirios. Ein kahlköpfiger Kerl zog eine Knarre. Eines führte zum nächsten. Arran ahnte die Gefahr und so wie damals wollte er die Hand seiner Mutter fester greifen und sie fortziehen, doch er schaffte es nicht. Heute wie damals erlebte er es hilflos. Der Schuss löste sich in dem kurzen Streit und durchlöcherte Summer. Sie sackte leblos in sich zusammen. Tod. Langsam kehrte er ins hier und jetzt zurück und doch sah er nur diese eine Person. Diesen Kerl. Arran hatte ganze Nächte von dem Kerl geträumt und davon, was er mit ihm anstellen würde, würde er ihn finden. Ein Teil in ihm hatte es bereits aufgegeben und jetzt saß der Typ seelenruhig auf einer Couch und redete mit einem Freund. Auch er war älter geworden, doch in Arrans Augen hatte er nicht einen Tag davon verdient. Alles in Arran schaltete auf rot. Er sah nichts mehr außer diesem Kerl. Spürte nicht, das jemand versuchte nach ihm zu greifen. Hörte nicht, was diese Person sagte. Alle Sicherungen brannten durch und er umgriff seine Waffe fester. Hob sie an und eilte auf den Kerl zu. „Du verdammter Wichser!" Hörte er sich selbst sagen. Hass pumpte durch seine Adern, wie ein ekelhaftes Gift. Lähmte seinen Verstand und ließ nur Rache übrig. Der Kahlkopf hatte gerade einmal aufgeblickt, da hatte Arran ihn schon erreicht. Er packte dessen Kragen und schlug ihm einmal mit der Waffe ins Gesicht. Arran sah wie die Haut über dessen Auge aufplatzte und Blut an seinem Gesicht herab lief. Alles was er wusste, es war nicht genug. Arran sah, das der Kerl ihn nicht erkannte. Nichtmal ahnte, warum Rojo auf ihn losging. Eine Tatsache, die ihn noch viel mehr die Vernunft verlieren ließ. „Du Arschloch! Nur wegen dir!" Brüllte Arran ihm Wahn und schlug immer wieder zu. Panik setzte um sie herum ein. Arran sah Bewegungen, ehe ihn Hände mit Kraft umschlangen und von dem Kerl fortzerrten. Es mussten mehrere sein. Arran sah wie jemand dem Kahlkopf zur Hilfe eilen wollte. Er hatte noch immer seine Waffe. Mit voller Überzeugung hob er die Waffe und setzte seinen Finger an den Abzug, in dem Moment als ihm Naia in den Weg sprang. Es war wie ein Schlag in sein eigenes Gesicht, als sein Geist langsam realisierte, das er mit seiner eigenen verdammten Waffe auf Naia zielte und dabei war, abzudrücken. Im letzten Augenblick riss er die Hand hoch und die Kugel verlor sich in dem schönen Interieur. Dann blieb die Zeit einfach stehen. Zum ersten Mal seit langer Zeit begann seine Hand zu zittern. Hätte er einen Moment zu spät reagiert, er hätte Naia erschossen. So wie der Kerl hinter ihr seine Mutter erschossen hatte. Er hätte in seinem Wahn fast den wichtigsten Menschen seines Lebens mit seinen eigenen zwei Händen getötet. Er war wie in Trance, als man ihn weiter wegzog. Ihn zu einem Raum schleifte und dort auf ein Bett absetzte. Nur am Rande erkannte er Juan, dann tauchte auch schon Naia vor ihm auf. Zog ihn einfach in seine Arme und er schluckte schwer. Er hätte sie fast erschossen. Sie war einfach vor seinen Lauf gesprungen. Er war gelähmt von dieser Erkenntnis. Von dieser grausamen Wahrheit. Sein Geist war durch die letzten zwei Wochen ausgelaugt und erschöpft. Das jetzt war zu viel für ihn. Für Augenblicke rührte er sich gar nicht. Naia sagte ihm etwas. Das wusste er, doch er schaffte es nicht, ihr zuzuhören. „Er hatte deine Hilfe nicht verdient." Brachte Arran endlich hervor, als könnte das irgendwie rechtfertigen, was er Naia fast angetan hätte. „Es ging mir auch nicht um ihn." Waren die ersten Worte, die er von ihr hörte. Verloren blickte er auf. Noch immer zitterte seine Hand. „Warum bist du dann in meinen Lauf gerannt? Naia... Ich hätte dich fast..." Er brach ab. Er brachte es nicht über sich, es auszusprechen. Er hätte in seinem Hass fast den falschen Menschen getötet, weil er nichts mehr um sich herum hatte wahrnehmen können. „Du hast es aber nicht." Sagte Naia mit Nachdruck. Arran schüttelte sofort den Kopf. „Ich hätte. Naia. Tu das nie wieder!" Er sah auf und sah sie wütend an. „Ich meine das ernst. Renn mir nie wieder vor die Waffe!" „Aber ich musste dich schützen!" Ihre Worte waren wie ein Schlag ins Gesicht. Er stockte. „Was?" „Ich musste dich schützen." Wiederholte sie ruhig ehe sie ihre Hände hob und sie an sein Gesicht legte. „Die hätten mir nichts getan. Die wollen meine Informationen." Brachte Arran kalt über sich. Sah einfach fort. Erst jetzt wurde ihm klar, das nur ein Mensch neben ihnen in diesem Raum war. Juan. Doch er hielt sich ruhig im Hintergrund. „Das weiß ich, aber was ist mit deinem Herz? Willst du wirklich in Hass töten?" Er löste seinen Blick von Juan und sah wieder zu Naia. Ein hämisches leises Lachen entwich ihm. „Was spielt das jetzt noch für eine Rolle?" „Es spielt eine Rolle. Du hast bis jetzt keinen Mord genossen. Diesen hättest du genossen. Ihn zu töten, hätte dich ein Stück weit getötet. Arran. Das konnte ich nicht zulassen." Es hätte ihn getötet, weil er es genossen hätte? Ihre Augen lagen wie Scheinwerfer auf ihm, die alles durchleuchteten. Die ihn dazu brachten, fort zu blicken und trotzdem noch immer ihren Blick zu fühlen. Es stimmte. Das war ihm klar. Er hatte nichts gerne getan von dem was er als Rojo getan hatte. Doch diesen einen Mord. Von diesem einen hatte er oft geträumt und sie hatte recht. Er hätte es genossen. Er wollte es noch immer genießen. Vermutlich war Juan nur deshalb hier. Um sicher zu gehen, das Arran Naia nicht ignorierte und einfach trotzdem seine Tat vollstreckte. „Was soll ich tun? Für immer hier drin bleiben? Dieser Wichser. Er ist Summers Mörder!" Fauchte Arran, als könnte Naia irgendetwas für seine Situation. Kurz wirkte sie getroffen, ehe ihr Blick so voller Leid wurde. Sie löste ihre Hände, nur um seinen Kopf in ihre Arme zu schließen. „Glaubst du wirklich, Summer hätte gewollt, das du für sie mordest?" „Es spielt keine Rolle Naia! Ich bin längst ein Mörder. Viele hatten es weniger verdient als er. Er aber hat es verdient! Ohne ihn, wären wir jetzt vielleicht nicht hier, sondern irgendwo im Ausland!" Arran konnte sich nicht beherrschen. Er wich zurück und schob Naia regelrecht von sich, als wäre ihre Nähe Gift. „Ohne ihn, würde meine Mutter noch leben!" Für einige Augenblicke sahen sie einander einfach nur an. Es war als gab es nichts mehr, um das irgendwie aufzulösen. Als könnte nichts mehr Arran aufhalten. Als hätte auch Naia das erkannt. So sprang er auf. Juan stand noch immer an der Tür. Arran überlegte schon, wie er diesen Penner dort wegbekam. Es wäre ein kurzer Schuss und jemand starb, der es mehr als verdient hatte. Arran war schon fast an der Tür, als Naias Gesang einsetzte.

„She tells him >ooh love<
No one's ever gonna hurt you, love
I'm gonna give you all of my love
Nobody matters like you
She tells him >your life ain't gonna be nothing like my life
You're gonna grow and have a good life
I'm gonna do what I've got to do.<"


Sein roter Himmel - Su Cielo RojoWhere stories live. Discover now