49 - Erste Hilfe

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Am nächsten Tag komme ich nur schwer aus dem Bett. Tonis Aktion schlaucht mich noch immer etwas.
Mit halb geschlossenen Augen mache ich mich irgendwie fertig, um kurz darauf die Treppe runterzutorkeln.
Ein unachtsamer Schritt - und es ist geschehen. Die nächste Stufe rutsche ich runter, greife panisch nach dem Geländer, doch lande in der Leere. Rechne mit dem entgültigen Fall. Vor Angst kneife ich meine Augen zu, doch ehe ich die dritte Stufe rutschen kann, packen mich zwei Arme und stellen mich sicher auf der nächsten Stufe ab.
„Immer mit der Ruhe, dann wird das auch. Nur, weil dir gestern nichts passiert ist, heißt das nicht, dass du direkt heute alles nachholen musst."
Mit aufgerissenen Augen drehe ich mich um und blicke in Alex' grinsendes Gesicht.
Jetzt bin ich auf jeden Fall hellwach. Mein Herz schlägt mir bis zum Hals.
Unten auf sicherem Boden angekommen, greift Alex gleich nach meinem Handgelenk.
„Oho, langsam kannst du dich mal wieder beruhigen. Dir ist ja nichts passiert."
Ich zucke mit den Schultern. „So kann man aber auch wach werden."
„Bitte lass das nicht zur Standardlösung gegen Müdigkeit am Morgen werden. Ich denke nicht, dass du immer so ein Glück hast und jemand hinter dir ist. Außerdem lässt der Kick bei Gewohnheit nach." Etwas verdattert lässt er mich vor der Treppe stehen und geht durchs Wohnzimmer in die Küche, aus der ein „Guten Morgen" zu hören ist. Hat sich nach Papa angehört.

„Hast du noch kurz Zeit, bevor du los musst?" Papa stellt gerade unsere Teller vom schnellen Frühstück in die Spüle. Phil und Paula kümmern sich heute nach der Arbeit um eine neue Spülmaschine.
„Ja, warum?"
„Verbandswechsel. Danach fahre ich dich meinetwegen auch zur Schule, muss danach eh arbeiten. Passt heute gut."
Na die Gelegenheit lasse ich mir doch nicht entgehen.

Papa und Alex haben Toni und mich zur Schule gebracht und sind dann weiter zur Arbeit.
Auf dem Weg zum Klassenraum werde ich von einer Person eingeholt.
„Na, was hast du jetzt schon wieder angestellt?"
Ich zucke zusammen und drehe mich zur Seite. „Erschreck mich doch nicht so."
Abwehrend hebt Tim die Hände. „Kann ich ja nichts dafür, wenn du so schreckhaft bist."
Wir umarmen uns zur Begrüßung, dann erzähle ich ihm die Glastisch-Aktion.
Kopfschüttelnd mustert er mich. „Dich sollte man wirklich ans Bett fesseln."
Ich wiege meinen Kopf hin und her. „Selbst da können Sachen passieren. Ich bin nirgendwo sicher."
„Hättest du mal wieder Lust auf ein Treffen? Also auch mal so ohne Schulkram?", fragt er da unvermittelt.
„Klar, gern. Ohne Schulkram, du bist gut. Wie viel haben wir davon wirklich gemacht?"
Er lacht auf und nickt. „Kann ich wieder zu dir kommen?"
Ich stimme zu und so verabreden wir uns für morgen. Er kommt nach der Schule einfach mit zu mir.

Anni guckt mich erwartungsvoll an. „Und du willst mir jetzt ernsthaft verklickern, dass da nichts ist? So gar nichts?"
„Ja, da ist nichts. So gar nichts. Können Junge und Mädchen ernsthaft nicht normal befreundet sein?" Ich stopfe etwas gereizt meinen Hefter in die Tasche, schultere sie und verlasse mit Anni als letzte den Raum.
„Hey, komm mal wieder runter. Allein an deiner Reaktion sieht man doch, dass du nicht ganz uninteressiert bist."
Bin ich so leicht zu durchschauen? Andererseits ist Anni meine beste Freundin, da merkt man das halt.
„Man wird sehen, was kommt", schnaube ich nur.
„Anderes Thema. Guck mal da drüben. Der Typ denkt auch, er wäre der größte Macker." Anni dreht mich in die Richtung, die sie meint.
Ich traue meinen Augen nicht. Das ist doch dieses Schwein, welches mich betrunken bei der Party mit seinem Getränk beschüttet hat. Er betritt gerade den Schulhof. Badelatschen, Shirt, Kappe. Alles von teuren Marken, die nicht mal schön aussehen. Dazu eine kurze Hose, wahrscheinlich auch aus dem Bereich. Der tut auch auf Hochsommer.
„Was macht der denn hier?", frage ich, angewidert von seinem äußeren Erscheinungsbild. Automatisch beschleunige ich das Tempo, um wieder ins Schulgebäude zu gehen. Dabei wollten wir gerade erst auf den Schulhof. Aber dem würde ich nicht gern begegnen. Obwohl sein Blick meinen schon getroffen hat. War kein schönes Gefühl. Er wirkt, als wäre er nur so auf Stress aus.
Anni wirft mir einen leicht besorgten Blick zu. „Was der hier macht? Zur Schule gehen, was sonst?"
„Echt? Ich habe den hier noch nie gesehen. Und der war doch schon so alt." Ich achte nicht so auf meine Mitmenschen, wenn ich durch die Schule laufe.
„Er hat halt vielleicht wiederholt oder so. Ich habe den schon so oft hier gesehen."

Viel Zeit bleibt uns jedoch nicht mehr, darüber zu diskutieren, wen wir wann hier wie oft gesehen haben.
Ein schriller Schrei lässt uns sofort verstummen. So wie die paar anderen Schüler, die sich gerade in unserer Nähe aufhalten.
„Valery? Sag doch was. Hallo? Hilfe!"
Anni und ich werfen uns einen Blick zu und gehen schnellen Schrittes um die Ecke zum Ursprung der Schreie. Was wir dort sehen, verschlägt mir die Sprache. Ein Haufen Mädels steht hilflos vor der Treppe. Immer mehr Schüler scheinen den Schreien gefolgt zu sein, denn von allen Richtungen kommen welche herbei. Doch keiner kümmert sich um den Grund.
Schnell ist eine Traube an Menschen versammelt, doch diese stehen nur versteinert da.
Ein Blick zwischen Anni und mir reicht, und wir wissen, was zu tun ist.
„Sorry, können wir mal durch?", sage ich etwas weniger freundlich. Dumm im Weg stehen, das können alle gut.
Uns wird zwar Platz gemacht, ans Gehen denken sie jedoch nicht.
Auf dem Boden vor der Treppe liegt ein Mädchen, welches komisch verdreht ist. Ihr linker Arm steht unnatürlich von ihr ab. Eine Welle von Fassungslosigkeit überrollt mich. Hier stehen alle nur da und glotzen?
„Was ist denn passiert?", fragt Anni sofort ein Mädchen aus der Gruppe, die von Anfang an hier waren. Ich knie mich bereits runter und überprüfe das Bewusstsein. Reagiert nicht auf Ansprache. Atmung und Puls sind zum Glück da, wie ich nach der Überprüfung sagen kann.
„Sie ist irgendwie einfach gefallen, keine Ahnung. Macht doch mal was!" Ihre Stimme ist unangenehm hoch.
Macht doch mal was. Hier stehen zig Menschen und keiner macht auch nur Anstalten, mal seine Hilfe anzubieten. Unglaublich, aber leider wahr.

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Einen schönen Morgen, Tag oder Abend noch :)

7 Jahre Pech (Asds) |1/2|Where stories live. Discover now