76 - Heiße Angelegenheit

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Ich verstehe die Menschen nicht, die sagen, dass die Zeit langsam vorbeigeht, wenn man nur zu Hause ist. Inzwischen ist es schon Donnerstag, und es fühlt sich an, als wäre gerade mal ein Tag vergangen. Stephan ist momemtan viel auf Arbeit, da er anscheinend in einen sehr wichtigen Fall verwickelt ist, ich bin für Amelies Bespaßung zuständig, soweit meine Rippen das zulassen. Auf die Trennung hat sie mit meinen Worten reagiert und ist relativ locker geblieben. Da waren wirklich alle erstaunt. 

Schon jetzt fühlt es sich irgendwie normal an, Amelie nach der Schule zu empfangen. Doch die erste Frage, die sie stellt, als sie sich zu Phil, Alex und mir auf die Couch setzt, ist: „Was machen wir jetzt?" 
„Hast du Hausaufgaben?", fragt Phil zuerst, was sie verneint.
„Dann können wir meinetwegen ein Brettspiel spielen", seufze ich.
„Au ja!" Sie springt auf und geht sofort an die Kiste, die Papa runtergebracht hat.
„Ich würde mich gern noch hinlegen", sagt Phil und steht auf. Er hat heute Nachtschicht. Wir bedenken das mit einem einfachen Nicken und er verschwindet.
„Und ich muss einkaufen. Ich kann euch ja allein lassen, oder?" Erneutes Nicken. „Soll ich jemandem was mitbringen? Oder hat jemand auf ein bestimmtes Abendessen Appetit?" Dabei guckt Alex vor allem mich eindringlich an, doch ich hebe nur meine Schultern. „Hauptsache gesund."
Er verdreht seine Augen.
„Können wir heute Kartoffelpuffer essen?", fragt Amelie da schon, während sie halb in der Kiste hängt.
„Ist ja super nahrhaft", murmelt Alex leise. Ach, aber wenn ich sage, Hauptsache gesund, ist es falsch?
„Womit? Apfelmus, Zucker?", fragt er dann jedoch an Amelie.
„Zucker!"
„Okay, wie Sie wünschen, junge Dame. Soll ich dir einen Salat mitbringen?"
„Wenn du das nicht lassen kannst", grummele ich und sinke tiefer in die Couch.
„Die Therapie steht noch immer zur Auswahl."
„Jaja, geh schon und bring mir so viel Salat mit, wie du möchtest." Ich winke ihn weg und beäuge dann das Spiel, welches sich Amelie ausgesucht hat. Mensch ärgere dich nicht, der Klassiker. Na das spiele ich immerhin auch noch ganz gern.

Kaum sind die ersten Züge getätigt, kommt ein lautes Grummeln aus Amelies Richtung.
„Hast da jemand Hunger?", frage ich grinsend.
„Ich esse in der Schule eben kein Mittag."
Ich überlege kurz. „Soll ich dir Nudeln kochen?"
Sofort nickt sie. Ich komme aber auch immer auf die besten Ideen.

Die Nudeln kochen fröhlich vor sich hin, und ich koche mir eine Tasse Tee.
„Ich möchte auch was trinken", kommt es von Amelie, die am Tisch sitzt und ungeduldig mit den Beinen wackelt.
„Was denn?"
„Wasser."
Ich mache ein erstauntes Gesicht. Wenn ich mal mit so viel Enthusiasmus in der Stimme nach Wasser fragen könnte. Aber wie sie will. Aus dem Schrank nehme ich ein Glas, gieße ihr stilles Wasser ein und stelle es auf den Tisch. Wie perfekt klingelt dann mein Handywecker. Die Nudeln sind fertig.
Ich nehme den Topf vom Herd und neige ihn gerade über dem Spülbecken, um das Wasser abzukippen, als Amelie plötzlich aufquiekt. Ich zucke kurz, etwas Wasser schwappt unkontrolliert aus dem Topf. Mein Herz macht einen kleinen Hüpfer und meine Atmung hat sich sofort beschleunigt. Das war knapp.
„Da ist ein Eichhörnchen im Garten!", ruft sie glücklich.
„Amelie, ich dachte schon, es ist sonst was passiert. Ich habe hier gerade kochend heißes Wasser im Topf", schnaufe ich.
„'tschuldigung", murmelt sie, ihr Blick dennoch aus dem Fenster gerichtet.
Ich drehe mich wieder um und kippe den Topf erneut. Schon die ersten Tropfen im Becken lassen eine Dampfwolke aufsteigen. Und da passiert es auch schon. Ein lautes Klirren hinter mir ist der Auslöser, den ich nicht vorhersehen konnte. So schreckhaft wie ich bin, rutscht mir der Topf nun komplett aus den Händen. Mit dem heißen Wasser, welches gerade noch munter sprudelnd auf dem Herd stand. Dieses ergießt sich komplett erbarmungslos über meine linke Hand, die Nudeln purzeln ins Becken. Regungslos stehe ich da, nur ein paar Sekunden, in denen ich auf meine Hand starre. Dann fängt es an. Brennen. Tierisches Brennen, welches sich anfühlt wie Feuer. Piksen. Als würde jemand permanent mit tausend Nadeln auf meine Hand einstechen.
„Scheiße, scheiße, scheiße", murmele ich. Erst jetzt setzt mein Verstand richtig ein und ich öffne den Wasserhahn, um lauwarmes Wasser über meine Hand laufen zu lassen. Tränen schießen mir in die Augen. Meine Hand zittert unaufhaltsam, breitet sich von dort langsam im ganzen Körper aus.
„Das war nicht mit Absicht", sagt Amelie. Da ich mit dem Rücken zu ihr stehe, hat sie mein Problem wahrscheinlich noch gar nicht bemerkt.
„Hol sofort Phil", bitte ich nur, mein Blick kann sich nicht von meiner Hand abwenden, die total rot ist. Rot leuchtet.
„Was ist...", setzt sie an, doch ich fahre ihr harsch dazwischen. „Hol ihn einfach!"
Ich höre kleine, schnelle Schritte hinter mir. Schon beim Rennen schreit sie nach Phil.

„Was ist passiert?", fragt er überflüssig.
Zum ersten Mal wende ich meinen Blick ab und starre Phil an. „Meine Hand", flüstere ich mit dünner Stimme. Die Tränen haben sich so sehr angesammelt, dass sie beim nächsten Blinzeln einfach laufen.
„Das kochende Wasser?" Wieder eine unnötige Frage.
Ich nicke knapp.
Er stellt das Wasser aus und nimmt dann mein Handgelenk. Er mustert meine Hand, fühlt nebenbei jedoch auch meinen Puls, der rast. Multitaskingtalent.
„Das wird Brandblasen geben", gibt er seine Diagnose preis. „Ich hole schnell eine Salbe und einen Verband. Setz dich mal hin, du klappst mir hier gleich noch weg."
Oh ja, das ist gar nicht so unwahrscheinlich. Ich zittere wie sonst was.
Das zersprungene Glas sticht mir ins Auge. Amelie steht nun daneben und guckt betreten auf das Corpus Delicti.
Angestrengt beobachte ich das Wasser, welches sich langsam einen Fluss auf dem Boden bahnt. Leider stellt das nicht meine Schmerzen aus, wie ich erhofft habe.

„Du schaffst das aber auch immer wieder", schmunzelt Phil, während er meine Hand großzügig mit Salbe beschmiert. Ja, ich schaffe es immer wieder. Ich wäre doch nicht ich, wenn ich auch nur eine Gelegenheit durch die Lappen gehen lassen würde. Pff.
„Tut mir leid, ich wollte das nicht", murmelt Amelie verlegen.
„Kann doch passieren, gibt schlimmeres. Ich mache die Scherben weg und dann ist nichts geschehen." Phil lächelt sie aufrichtig an und greift dann zum Verband.  „Und für dich gilt jetzt ständiger Wechsel und ab und an die Hand lüften. Die Blasen bloß nicht öffnen."
„Ja, Herr Doktor. Werde ich nicht tun."

Meine Hand macht dann doch Probleme. Die Haut spannt, als würde sie jeden Moment reißen. Juckt und brennt. Da hat die Salbe irgendwie eher einen kurzen Effekt gehabt. Und die Blasen sind auch da. Das sieht nicht gerade...appetitlich aus.

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Einen schönen Morgen, Tag oder Abend noch :)


7 Jahre Pech (Asds) |1/2|Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt