97 - K.o.

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Sicht Phil

Franco redet weiter, es ist, als würde er willkürlich mit irgendwelchen zusammengesetzten Buchstaben um sich werfen. Aber das scheint alles Sinn zu ergeben, denn die Leute rücken zur Seite. Sie geben uns somit den Blick frei - den Blick auf Fine.
Sie liegt am Boden, regt sich kein bisschen, obwohl Franco hier alle zusammengeschrien hat.
„Fine, scheiße, hey, hörst du mich?" Franco rüttelt an ihr. Keine Reaktion. Auch nicht auf den Schmerzreiz.
Ich knie mich dazu und fühle ihren Puls. „Der ist noch recht kräftig", sage ich und bin selbst etwas erstaunt.
„Wieso konnte mich mein Gefühl nicht einfach täuschen?", flucht Franco leise und fährt sich durch die Haare. Dann beugt er sich über ihr Gesicht. „Alkohol rieche ich aber kaum, nur ganz leicht. Das kann es nicht sein."
Meine Augenbrauen ziehen sich zusammen. „Das wird was anderes sein", sage ich mit einem bestimmten Bild vor Augen.
„Ich weiß. Ich rufe schnell einen RTW und am besten die Polizei." Damit steht er auf und verlässt das Wohnzimmer.
Ich schaue kurz zu Alex, der sich hier etwas umguckt.
Er bemerkt meinen Blick. „Da hinten auf der Terrasse steht ein Typ, der irgendwie komisch wirkt. So nervös", informiert Alex mich.
„Behalte den mal im Auge. Polizei kommt gleich. Wo ist denn jetzt Elian?"
Wie aufs Wort kommt Elian angelaufen. In seiner Hand einen roten Becher.
„Elian, was hat Josefine getrunken? Oder hast du ihr irgendwas anderes gegeben? Das ist jetzt wirklich wichtig." Meine Worte sind deutlich, ich probiere, langsamer zu sprechen, damit er mich verstehen kann.
Sofort schüttelt er den Kopf. „Samuel hat ihr zwei Drinks gemacht. Einen hat sie getrunken. Vor dem zweiten fing das an." Er deutet auf den Becher in seiner Hand.
„War im ersten das gleiche Zeug drin?"
Elian nickt.
„Zeig mal her."
Mir wird der Becher unter die Nase gehalten. Riecht nach einer Mischung von irgendwelchen Fruchtsäften und einem alkoholischen Getränk. Aber da kann nur minimal Alkohol enthalten sein.
„Hat der Typ dahinten das Zeug gemixt?" Ich deute unauffällig zur Terrasse. Auf den jungen Mann, den auch Alex als komisch bezeichnet hat.
„Ja, Samuel. Ich habe ihr wirklich nichts gegeben, das müssen Sie mir glauben."
„Schon gut", wende ich ab, weiß insgeheim jedoch gar nicht, was ich glauben soll. „Stell das mal bitte irgendwo sicher, damit das untersucht werden kann. Es kann ja nur am Trinken liegen."
Elian tut, was ich sage. Das zeigt mir, dass er damit eigentlich wirklich nichts am Hut haben kann, sonst würde er ja davon ablenken wollen. Aber die Sache mit dem Gras hat ihn jetzt nicht ganz so vertrauenswürdig gemacht. 

Schweiß bildet sich auf meiner Stirn. Hier ist es ekelhaft warm, von der furchtbar stickigen Luft einmal abgesehen. Und mit der Angst um Fine macht sich das alles nicht so gut. Nervös trommeln meine Finger auf meinem Bein, während ich mit dem anderen Handgelenk Fines Atmung durchgehend überprüfe. Sollte sich mein Verdacht bestätigen, dass ihr K.o.-Tropfen untergemischt wurden, ist das hier eine lebensbedrohliche Lage. Auch wenn es noch auf die Menge ankommt. Aber sie liegt verdammt nochmal bewusstlos vor mir.

Franco kommt mit einem Rettungsteam zurück, hinter ihnen auch zwei Polizisten.
„Hey!", ruft Alex plötzlich aus und sprintet los. Die zwei Polizisten hinterher.
Der Typ von der selbstgemachten Bar wollte stiften gehen, konnte aber von Alex gepackt und an die Polizisten übergeben werden. Der hat doch etwas zu Fines Zustand beigesteuert, da kann man mir nichts anderes erzählen.
Franco erklärt den Sanitären alles, weshalb ich mich langsam wieder zurückziehe.
Dann folgt ein Gespräch mit einem der Polizisten. Alex und ich suchen immer wieder nach den richtigen englischen Begriffen, aber mein Kopf fühlt sich so zermürbt an, dass ich kaum etwas ordentliches auf die Reihe bekomme.
Normalerweise kann ich einen kühlen Kopf bewahren - aber nicht mehr bei Fine.

Tick ... Tack ... Tick ... Tack ...
Im Schneckentempo zuckt der Sekundenzeiger zum nächsten kleinen Strich, legt eine Verschnaufspause ein, ehe er zum nächsten springen kann.
„Die Uhr muss doch kaputt sein", raune ich voller Verzweiflung zu Alex. Franco ist nicht bei uns. Ja, wo ist er eigentlich?
Alex hebt seinen Arm, an dem er eine Armbanduhr trägt. Er vergleicht beide Uhren. „Dann ist meine auch futsch", stellt er schließlich fest.
„Glaubst du Fine, dass sie nichts mit dem Gras zu tun hat? Dass das wirklich so abgelaufen ist, wie sie uns gesagt hat?", frage ich geradeheraus, ohne Alex anzugucken.
„Ja. Sie würde uns in solcher Hinsicht nicht anlügen. Abgesehen davon kann sie ja nicht mal lügen. Überhaupt würde sie keine Drogen nehmen." Seine Stimme klingt fest und überzeugt.
Ich nicke. „Sehe ich auch so. Ich fand das von Franco nicht gut. Aber was hätten wir sagen sollen, das war eben ein Ding zwischen Vater und Tochter. Wenn wir es so sehen, haben wir da kein Mitspracherecht."
Leises Lachen ist zu hören. Es hat etwas von Trauer, aber gleichzeitig auch einen glücklichen Ton. Als würde sich der ernstgemeinte Lacher an die Situation anpassen. „Streng gesehen ist das so. Aber wer sieht das streng bei uns? Weißt du noch, als Franco mal ein Date hatte und wir mit Toni und Fine allein waren? Sie war da gerade erst sechs Jahre, wir beide noch am Anfang des Studiums, dennoch mit Franco im Rettungsdienst tätig", beginnt Alex, und ich weiß sofort, worauf er hinaus will.
„Na ja, am Anfang. Wir hatten schon zwei Jahre hinter uns", präzisiere ich seine Aussage bezüglich des Studiums. „Aber ja, ich weiß noch. Das war ein Abend. Ich habe den in Erinnerung, als wäre er erst gestern gewesen. Fine, in einer totalen Trotzphase, ließ sich von keinem etwas sagen. Aber Geheimnisse konnte sie schon immer für sich behalten. Abendessen zu einer Uhrzeit, zu der sie schon im Bett sein sollte. Fernsehen über den Sandmann hinaus, bis sie viereckige Augen hatte. An dem Abend hat sie sich wirklich nichts von uns sagen lassen. Aber als wir dann meinten, dass es dafür die nächsten beiden Tage kein Fernsehen gibt, hat sie es akzeptiert. Wobei sie eigentlich wissen musste, dass wir das eh nicht durchgehalten hätten, hätte sie lieb nachgefragt. Und Franco hat von alldem nichts erfahren", vervollständige ich das, was Alex angeschnitten hat.
Alex grinst mich an. „Sie hört auf uns, als wären wir wirklich dazu berechtigt, ihr etwas vorzuschreiben."
Auch ich muss nun trotz dieser schrecklichen Situation lächeln. „Fine kann sich ja auch nicht mehr richtig an ein Leben ohne uns erinnern, dafür war sie zu jung."
Das Schweigen zwischen uns scheint nun leichter zu sein, auch wenn die Sorgen um Fine unaufhörlich um uns tanzen. Die Notaufnahme ist wie leergefegt, nur Alex und ich.

Fast genieße ich diese Ruhe, als Franco mit einem Arzt an seiner Seite mit schnellen Schritten auf uns zukommt.
„Die Ergebnisse sind da", sagt Franco mit dunkler Miene. Auf der einen Seite ist er blass, doch an seinem Hals machen sich hektische Flecken bemerkbar.
Hektische Flecken - die sieht man bei Franco selten.

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Einen schönen Morgen, Tag oder Abend noch :)

7 Jahre Pech (Asds) |1/2|Where stories live. Discover now