69 - Zivilcourage kann gefährlich enden

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Der Typ stämmt sich fast mit seinem gesamten Körpergewicht gegen mich. Und das scheint nicht wenig zu sein. Bei dem Versuch, wenigstens seinem Kopf etwas mehr aus dem Weg zu gehen, schlage ich mir den Hinterkopf ordentlich an der Wand an. Eine Schmerzenswelle durchströmt meinen Kopf, doch verschwindet so schnell, wie sie gekommen ist.
Hitze übermannt mich, die im nächsten Moment von eisiger Kälte abgelöst wird. Ich zittere, eine Gänsehaut überzieht meinen Körper.
„Also, gibst du uns auch dein Handy?", knirscht er und grinst mich an.
Langsam schüttele ich meinen Kopf. Er nimmt etwas Druck von mir und der Gedanke, dass sie aufgeben, flackert in mir auf. War aber nur die Hoffnung und Angst, denn sofort darauf spüre ich einen Fausthieb gegen meine Rippen. Autsch, das hat irgendwie leicht geknackt.
„Jetzt?"
„Ich habe mein Handy nicht dabei", flüstere ich mit zittriger Stimme. Aufsteigende Tränen verwischen meine Sicht. Alex kann doch nicht so lange für ein verdammtes Brot brauchen.
„Erzähl mir doch nicht so'n Mist. Haste gehört Eric? Sie hat ihr Handy nicht dabei", macht er sich lustig.
Ich schiele nach rechts. Das kleine Mädchen sieht aus, als würde sie komplett neben sich stehen.
„Dein Handy hätten wir jetzt auch gern langsam", fordert dieser Eric ungeduldig das Mädchen.
„Lasst sie wenigstens in Ruhe. Ihr verstört sie doch ein Leben lang!", schreie ich, als der nächste Tritt gegen ihr Schienbein ging.
„Dann gib uns dein Handy und wir haben Gnade mit ihr."
„Ich habe es wirklich nicht dabei. Es ist zu Hause." Und das ist die Wahrheit. Meine Stimme hat ihre ursprüngliche Festigkeit wiedergefunden. Mal sehen für wie lang.
Der nächste Fausthieb - an die selbe Stelle. Jetzt haben meine Rippen da endgültig aufgegeben.
Es ist eher ein Reflex, doch mit meiner ganzen Kraft ziehe ich mein Knie hoch. Der altbekannte Treffer.
Keuchend lässt der Typ von mir ab, doch damit habe ich mir nur diesen Eric an den Hals gehetzt. Immerhin kann keiner mehr die Kleine bedrohen.
Meine Atmung geht stoßweise. Ich spüre einen ausstrahlenden Schmerz, der an meinen linken Rippen beginnt. Gar nicht schön.
Seine erste Reaktion verlief wortlos, ein stummer Schlag in den Bauch. Was ist mit denen falsch? Irgendwelche Aggressionsprobleme?
„Du miese...", setzt er an, wird durch einen Schrei aber übertönt. Im nächsten Moment lässt der Druck an meinem gesamten Körper ab. Verwirrt kneife ich meine Augen zusammen, öffne sie wieder und starre auf den Boden. Eric liegt zappelnd wie ein Fisch an Land am Boden. Alex hat ein Knie in seinem Kreuz liegen und fixiert ihn.
„Was sollte das werden, wenn ihr fertig geworden wärt?", fragt Alex bedrohlich.
Der andere, dem ich einen saftigen Kniehieb verpasst habe, rennt weg. Soll er doch machen.
„Ich...Wir wollten doch nur...", stottert er los. Ah ja.
Langsam gleite ich an der Wand runter. Meine Hand fährt an die Stelle, die zweimal getroffen wurde. Das verstärkt jedoch diesen verdammten Schmerz.
„Fine, alles okay mit dir?", fragt Alex und dreht seinen Kopf zu mir. Ich nicke, leider etwas zu zögerlich, denn er hebt direkt eine Augenbraue.
„Aber ich glaube, sie hat einen ganz schönen Schock. Und auch ein paar Tritte abbekommen." Ich deute mit einer Kopfbewegung auf das Mädchen, um ihn auf den Stand der Dinge zu bringen, und natürlich um von mir abzulenken.
Alex zieht mit einer Hand sein Handy aus der Hosentasche und wählt drei Ziffern. Jedoch höre ich nur noch mit einem Ohr zu, denn mein Kopf beginnt zu schwirren. Meine Atmung wird immer flacher. Ein Stechen durchfährt bei nahezu jedem Atemzug meinen Brustkorb. Und es wird nach und nach schlimmer.
Ich würde mich zu gern um das kleine Mädchen kümmern, doch bei jeder Bewegung wimmere ich auf.
„Alles okay bei dir?", frage ich deshalb nur. Sie reagiert nicht, starrt ausschließlich geradeaus. Ein Schock, definitiv.
Na schön, dann nicht. Ich schließe meine Augen und atme, so gut es gerade eben geht, tief durch.

Ich nehme meine Umwelt erst wieder richtig wahr, als ich schnelle schwere Schritte höre. Ich öffne meine Augen und sehe Marc und Tom, die Alex ablösen und den Jungen übernehmen. Sofort hockt sich Alex vor mich hin.
„Hey, guck mich mal an."
Ich löse meinen Blick von den Polizisten und suche Alex' Augen.
„Was ist denn genau passiert?", fragt er, seine Hand umgreift mein Handgelenk. „Oh", murmelt er weniger begeistert, als er meinen Puls spürt.
Ich schüttele vorsichtig den Kopf, um keine weiteren Schmerzen zu riskieren. „Guck erst nach dem Mädchen, ich weiß nicht, ob sie noch woanders getroffen wurde."
„Du gefällst mir aber nicht. Wo wurdest du getroffen?"
„Das Mädchen!", sage ich mit etwas mehr Druck.
Alex guckt mich kurz erschrocken an, winkt dann aber Marc zu sich, damit er mich im Auge behält.
So mache ich gleich eine Aussage, die Marc eifrig mitschreibt, während ich neben mir Alex höre, wie er Bruchstücke aus dem Mädchen bekommt.
Doch als ich nicht wirklich achtsam bin und sage, wo ich getroffen wurde, schnellt Alex' Blick sofort zu mir. „Das musst du mir doch sagen. Weißt du, was da alles passieren kann?", sagt er aufgebracht.
Er soll sich doch einfach um das Mädchen kümmern, meine Güte. Mit mir ist schon alles okay. Außerdem zerstören mich diese Schmerzen im Moment nicht so, wie das Ereignis dem Mädchen einen womöglich lebenslangen Knacks beschert hat.

Hinter Marc mache ich vier Menschen in Rettungsdienstkleidung aus. Alex geht ihnen auf halbem Weg entgegen und erklärt sofort die Lage. Es handelt sich um zwei RTW-Besatzungen, die ich jedoch nicht kenne.
Marc steht auf und geht etwas zur Seite, dafür hocken sich jetzt zwei Sanis hin. Zwei fremde Sanis.
„Alex?", frage ich etwas ängstlich.
„Ich bin bei dir, alles gut. Ich passe auf." Er greift nach meiner Hand, die ich zu gern nehme. Doch meine Atmung beschleunigt sich weiter.
Im Augenwinkel sehe ich, wie die zwei anderen Sanitäter mit dem Mädchen weggehen.
Die Vorstellung meiner Retter habe ich gar nicht mitbekommen.
„Kannst du uns sagen, was passiert ist?" Die Frau guckt mich mitleidig an.
„Alex, irgendwie...Luft", japse ich panisch. Ich bekomme immer schlechter Luft. Mein Brustkorb, er fühlt sich an, als würde bei jedem Atemzug ein Messer in diesen gerammt werden.
„Ihr Puls ist total flach, aber er rast", stellt Alex fest. „Beruhige dich, ich bin doch bei dir, dir kann nichts passieren."
Nein Alex, das ist es nicht.
Ich schüttele panisch den Kopf. „Mein Brustkorb...ich...", stammele ich weiter.
Alex' Augen werden groß. „Gegen die Rippen, habe ich das richtig verstanden?"
Ich nicke nur.
„Kann ich mal kurz ein Stethoskop?", fragt Alex dann hastig die Sanitäter, die ihm verwirrt guckend eins in die Hand drücken. Alex kann doch jetzt nicht hier die Rolle übernehmen, er ist doch nicht im Dienst. Wohler fühle ich mich dennoch. Mehr Sicherheit.
„Scheiße", murmelt Alex, nachdem er gesagt hat, ich soll tief ein- und ausatmen, was ich eher schlecht als recht hinbekommen habe.
„Spannungspneumothorax."

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Einen schönen Morgen, Tag oder Abend noch :)

7 Jahre Pech (Asds) |1/2|Where stories live. Discover now