30 - Strich durch die Rechnung

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Prüfungsvorbereitungen hängen mir offiziell aus den Ohren. Wirklich, so schwer ist das nicht. Gut, mit Mathe hatte ich beispielsweise noch nie Probleme. Nichtsdestotrotz bin ich super glücklich, dass heute der letzte Schultag war. Schon den ganzen Tag über bin ich mit einem fetten Grinsen durch die Schule gelaufen, wurde von etlichen Leuten gefragt, was ich doch genommen hätte. Tja, gute Laune eben, denn morgen geht es endlich wieder nach Italien! Besser kann es doch nicht sein.

Im Haus werde ich schon mit dem Geruch des Mittagessens empfangen. „Bin wieder da!", rufe ich glücklich aus dem Flur durchs ganze Haus und schmeiße meine Schultasche einfach achtlos zur Seite. Ich folge dem Geruch und komme bei Alex in der Küche an, der gerade die selbstgemachte Pizza aus dem Ofen holt. „Sieht lecker aus, perfektes Timing." Vielleicht war ein bisschen zu viel Euphorie in meiner Stimme, denn Alex wirft mir einen skeptischen Blick zu. „Wir haben schon über Drogen und ihre Ausmaße gesprochen, das weißt du hoffentlich noch." „Hä, was soll das denn heißen?" Jetzt liegt es an mir, ihn verwirrt anzugucken. Das hindert mich jedoch nicht an meinem Dauergrinsen. „Ach, nichts." Sein Mund verzieht sich zu einem schiefen Lächeln. „Freust du dich schon so auf morgen?" „Und wie, das glaubst du kaum!" „Hilfe, Franco, ich glaube, deiner Tochter geht es nicht so gut!", schreit er plötzlich lachend. Doch statt einer Reaktion hören wir nur ein lautes Poltern und dann Fluchen aus dem Flur. Danach folgt Geschrei: „Fine! Ich habe dir schon tausende Male gesagt, dass du deinen Rucksack nicht einfach in den Flur schmeißen sollst!" Alex' Blick wechselt vom Lächeln zu einem leicht tadelnden Ausdruck. „Oh oh", murmele ich quietschend und gehe schnell in den Flur, wo Papa gerade dabei ist, Wäsche vom Boden zu sammeln. „Tut mir leid", nuschele ich und nehme schnell meinen Rucksack vom Boden. „Ach, ich muss dir nicht sagen, dass du das lassen sollst. Passiert doch eh immer wieder." Er wirft mir ein leichtes Lächeln zu und schüttelt den Kopf. Sofort entspanne ich mich wieder. Anscheinend freut er sich auch schon zu doll auf morgen, um wirklich böse auf mich zu sein.

Am Abend tanze ich singend zu lauter Musik durch mein Zimmer und packe meine Sachen. Auch Paula ist inzwischen da, sie hat sich nach meinem Kenntnisstand jedoch mit Phil in seinem Zimmer verkrümelt.

An Schlaf war kaum zu denken. Italien ist meine zweite Heimat und immer, wenn wir dorthin reisen, freue ich mich wie ein kleines Kind an Weihnachten. Normal ist das auch nicht wirklich. Doch wegen meines leichten Schlafes beschließe ich um sieben Uhr, Frühstück zu machen. Um zehn müssen wir hier los, damit wir unseren Flieger bekommen. Dass ich schon nicht früher aufgestanden bin, hat mich sehr viel Kraft gekostet. Genau auf die Minute genau, wo die anderen aufstehen wollen, gehe ich sie wecken. Alex und Papa sind leicht aus den Betten zu holen, selbst bei Toni geht es komischerweise sehr schnell, doch bei Paula und Phil gestaltet sich das etwas schwieriger. Sie liegen beide eng aneinander gekuschelt im Bett und murmeln etwas von „Noch fünf Minuten". Seufzend zische ich wieder ab und tatsächlich, nach fünf Minuten sind dann auch die zwei unten.

„Dir geht es aber wirklich gut? Du bist nicht irgendwie unbemerkt von uns auf den Kopf gefallen? Wesensveränderungen sind gefährlich", nuschelt Alex mit einem Bissen Brötchen im Mund. Heftig schüttele ich den Kopf. „Wie kommst du darauf?" „Ja, das fragen wir uns auch. Wie kommst du da bloß drauf, Alex?", fragt Phil ironisch und bringt uns damit alle zum Lachen. Zugegeben, gute Laune ist bei mir oft Mangelware und dass ich mal Frühstück mache? Rarität.

Während wir mit zwei Autos zum Flughafen fahren, wird mir klar, warum Toni so leicht aus dem Bett gekommen ist. Ich habe es in meiner Freude total vergessen, dass auch er zu einem kleinen Kind wird, wenn es heißt, wir fliegen nach Italien. Da wir beide zweisprachig aufgewachsen sind, ist Italienisch unsere zweite Muttersprache. Und wir lieben es, sie richtig ausleben zu können. Klar, zu Hause fällt auch mal das ein oder andere Wort auf Italienisch, da Alex und Phil das aber nicht so mögen, da sie nichts verstehen, verkneifen wir uns das oft.

Die Zeit, in der wir auf unseren Flug warten, will gar nicht vergehen. Paula und ich reden über ein paar Frauenthemen, und ich bin wirklich glücklich, mal fast durchgängig eine Frau an meiner Seite zu haben. Franco telefoniert mit seinen Eltern und klingt irgendwie aufgebracht. Doch ich kann seinem Italienisch nicht so leicht nebenbei folgen, wenn ich hier mit Paula auf Deutsch rede. Außerdem überschlägt sich seine Stimme immer wieder, so hektisch redet er. Toni, Alex und Phil reden irgendein Zeug über Fußball, wobei ich jetzt auch mitreden müsste, wenn ich Paula nicht hätte.

Der Flug soll etwa zwei Stunden dauern. Glaube ich zumindest. Doch irgendwie beschleicht mich ein komisches Gefühl, als das Flugzeug abhebt. Ich schätze, dass es an Papa liegt, der neben mir total nervös scheint. Nach einer Stunde Flug halte ich es nicht mehr aus. „Papa, was ist denn? Du wirkst so extrem nervös." Er fährt sich durch die Haare und will gerade zu einer Erklärung ansetzen, als ihm eine Durchsage zuvorkommt. „Liebe Fluggäste, uns hat gerade eine unschöne Nachricht erreicht. Wegen des Coronaviruses hat Italien vor ganz genau zehn Minuten seine Grenzen dichtgemacht. Wir müssen das Flugzeug nun in Frankreich, genauer gesagt in Paris, landen. Von dort wird Ihnen freigestellt, ob Sie kostenlos wieder nach Deutschland zurückreisen oder in Frankreich bleiben möchten. Wir bitten um Ihr Verständnis."

Die Durchsage trifft mich wie ein Schlag, und ich starre Papa mit offenem Mund an, zumal ich meinen Blick nicht einmal von ihm abgewandt habe. Die Durchsage folgt noch in Englisch und Italienisch. „Hast du deswegen vorhin so nervös mit Oma telefoniert?", frage ich. Meine Stimme zittert und ich bin irgendwie den Tränen nahe, denn das bedeutet immerhin, dass ich Oma und Opa doch nicht wiedersehe, sondern noch mindestens bis zu den Sommerferien warten muss. Papa nickt. „Ja, das habe ich. Sie haben mir davon erzählt, dass es dazu kommen kann. Und siehe da, es ist geschehen." Er fährt sich seufzend durchs Gesicht. Alex, Toni, Phil und Paula hat die Durchsage die Sprache verschlagen, den anderen Passagieren scheint es anders zu gehen, denn ein wildes Stimmengewirr in etlichen Sprachen folgt.

Wir haben alle vom Ausbruch in Italien mitbekommen, da wir jedoch in kein Risikogebiet reisen wollten und es dort, wo Papas Eltern leben, weit und breit keinen einzigen Fall gibt, haben wir in dieser Reise kein Problem gesehen. Ja, so schnell kann das gehen.

„Und was machen wir jetzt?", fragt Toni da. Tja, das würde ich auch gern wissen.

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Ich muss zugeben, dass die Idee mit der Umleitung des Fluges nicht meine Idee war. Hier nochmal ein dickes, dickes Dankeschön für die Idee, fühl dich angesprochen! :)

Noch als kleine Info möchte ich ansprechen, dass das Coronavirus keine weitere Rolle mehr spielen wird, falls manche jetzt genervt sein sollten. Dennoch finde ich es ganz und gar nicht falsch, dass überall davon berichtet wird. Ich bin der Meinung, dass es wirklich ernst zu nehmen ist, und dass auch jemand schwer betroffen sein kann, der nicht gerade zur Risikogruppe gehört. Das liegt nicht zuletzt daran, dass ich schon persönliche Erfahrungen gemacht habe (nicht mit dem Coronavirus, aber ähnlich!). In meinem Ort steigt die Fallzahl wirklich sprunghaft und viele Schulen haben schon für Wochen geschlossen. Panik ist trotzdem nicht angesagt, falls man mich jetzt falsch verstanden hat :) Dennoch solltet ihr dem Thema offen gegenüberstehen und nicht gleich bei dem Wort 'Coronavirus' genervt weghören.

Falls ihr das bis hier gelesen habt, würde mich mal interessieren, wie bei euch die Lage aussieht und wie ihr darüber denkt? :)

Einen schönen Morgen, Tag oder Abend noch :)


7 Jahre Pech (Asds) |1/2|Tahanan ng mga kuwento. Tumuklas ngayon