52 - Pausenlos

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Meine Laune ist am tiefsten Tiefpunkt angekommen.
Nach dem Abendessen gehe ich sofort in mein Zimmer, würde dort am liebsten nie wieder rauskommen. Wieso muss mein Leben gerade in jeder Ecke eine unschöne Überraschung für mich bereithalten? Ich liege auf dem Bauch, drücke mein Gesicht ins Kissen und schreie. Schreie einfach drauf los. Lasse im Kopf die letzten Monate Revue passieren. Nicht immer ist es der körperliche Schmerz, dem ich ausgesetzt bin, weil ich mal wieder irgendetwas anstelle - wo die Schuld meist am wenigsten bei mir liegt. Viel schlimmer ist der psychische Stress, auch wenn der noch nicht ganz so oft gekommen ist. Erst gestern mit Toni und dem Stich, dann heute diese Sache in der Schule. Ich kann nicht mehr.
Eine Weile liege ich da, mal auf dem Bauch, mal auf dem Rücken. Starre an die Decke, versinke mit dem Gesicht im Kissen. Denke über mein Leben nach. Was alles passiert ist, seit mir dieser verfluchte Spiegel zerbrochen ist.
Irgendwann komme ich zu einem Entschluss. Okay, mir passiert viel Scheiße, ja. Aber es gibt unzählige Jugendliche, die es viel schlimmer haben. Ich habe eine tolle Familie, auf die immer Verlass ist. Wir sind gesund und es fehlt uns an nichts. Also wieso beschwere ich mich überhaupt? - Weil mir fast jeden Tag irgendwas passiert, was auch mal ganz schnell ganz anders enden kann. -
Nichtsdestotrotz entschließe ich für heute, dass der Tag gelaufen ist. Also mache ich mich fertig, lege mich hin und höre noch etwas Musik. Für etwas anderes fehlen mir schlichtweg die Nerven.

Heute werde ich den Tag definitiv positiver angehen. Das ist der erste Gedanke, den ich nach dem Aufwachen habe. Hätte ich gewusst, dass mir der Tag auch heute wieder einen Schlag ins Gesicht verpassen wird, hätte ich diesen Vorsatz auf jeden Fall verschoben.
„Heute so glücklich unterwegs?" Phil hebt eine Augenbraue.
„Was dagegen? Ich werde dem Spiegel den Kampf ansagen." Im nächsten Moment halte ich mir den Mund zu. Seit wann glaube ich auch an die Sache mit dem Spiegel?
„Na dann mach das mal, ich hätte nichts gegen ein wenig Ruhe. Ich werde heute mal die Beine hochlegen. Hab heute frei." Phils Kaffee ist durchgelaufen, er nimmt seine Tasse und setzt sich auf die Couch.
„Und dann bist du jetzt schon wach? Und überhaupt, wieso hast du schon wieder frei?" Verwirrt gucke ich aus der Küche zu ihm.
„Irgendjemand muss dir ja Essen machen. Die anderen sind schon weg und außerdem habe ich gerade einen doofen Schlafrhythmus. Und was heißt hier schon wieder? Habe eben viele Überstunden, die abgebaut werden müssen."
„Na dann, danke! Ich muss dann mal."
„Und du bist dir sicher, dass du nichts genommen hast?", hinterfragt er skeptisch, nachdem er an seinem heißen Kaffee genippt hat.
„Ach, ein bisschen ist doch mal drin." Ich zwinkere ihm zu, drücke ihn kurz und verschwinde dann in den Flur, wo ich auf Toni treffe, der mal wieder etwas spät dran ist.
„Äh Fine, hast du was mit Phil gemacht?", fragt Toni unsicher.
„Nein?", gebe ich zurück. „Kommst du oder soll ich alleine gehen?"
„Ich komme schon, hetz mich mal nicht."

„Dir geht es aber wirklich gut? Du wirkst ernsthaft wie auf Droge." Anni mustert mich etwas argwöhnisch, bis ihr plötzlich ein Licht aufzugehen scheint. „Du triffst dich ja heute mit Tim. Ist ja klar, dass du dann so gut gelaunt bist."
Ich verdrehe meine Augen und meine Mundwinkel sinken um ein paar Millimeter. „Nein, an ihm liegt es nicht. Also klar, ich freue mich auf unser Treffen, aber ich sehe ab heute einfach alles positiver. Und tada, die gute Laune kommt von allein."
Anni macht ein ungläubiges Geräusch, doch lässt es so stehen. Mal wieder verlassen wir als letzte den Raum.
„Gehen wir auf den Hof? Das Wetter ist so schön."
Ich stimme ihr zu und sofort verbessert sich auch ihre Laune ein Stückchen. So einfach geht's, man muss die kleinen Dinge im Leben genießen. Dass ich das mal denke.
Davor gehen wir noch kurz in die Cafeteria, damit Anni sich Trinken kaufen kann.

Mit einer neuen Flasche Wasser gehen wir also auf den Schulhof. Ganz schön voll bei dem guten Wetter.
„Wollen wir einfach laufen? Einen Platz wirst du jetzt hier nicht mehr bekommen. Da müssen wir mal schneller aus dem Raum kommen." Grinsend stoße ich ihr gegen die Seite. Anni ist immer diejenige, die beim Einpacken so trödeln muss.
Sie nickt, während sie ein Schluck Wasser nimmt.
„Sag mal, was ist denn da los?" Ich zeige nach rechts zum Rand des Schulhofs.
Anni muss kurz gegen die Sonne anblinzeln, bleibt dann jedoch genauso abrupt stehen wie ich. Die Szene kommt mir bekannt vor, sie ähnelt der von gestern, nur mit einer lauteren Geräuschkulisse.
„Ich bin ja wirklich nicht der Mensch, der sofort alles sehen muss. Aber da will ich wirklich wissen was abgeht", murmelt Anni.
Ohne darauf einzugehen, laufe ich auf die Menschenansammlung, bestehend aus Schülern, los. Und als ich nah genug dran bin und durch ein paar Lücken gucken kann, bleibt mir mein Herz kurz stehen. Vor Schreck schnappe ich nach Luft.
Abgesehen davon, dass es die erste Prügelei ist, die ich sehe, ist es kein anderer als mein Bruder, der sich mit einem halben Schrank angelegt hat.
„Was zur....", höre ich Anni sagen, doch da bin ich schon dabei, mich wie gestern an den Leuten vorbeizudrängeln. Ich weiß nicht, was in mich gefahren ist. Aber Toni muss da rauskommen, bevor es doof für ihn endet.
„Josefine, geh da doch nicht hin!", ruft Anni, doch mich hält nichts auf. Dachte ich. Kaum bin ich in der Mitte angekommen, werde ich schwunghaft zurückgezogen.
„Junge Dame, was ist....Fine?" Ich drehe mich um. Stephan steht vor mir, seine Hand noch immer auf meiner Schulter. Ich drehe meinen Kopf und sehe, dass ein zweiter Polizist die beiden Jungs voneinander trennt. Es handelt sich beim Polizisten um Robin. Und als ich das Gesicht des Typen sehe, der sich mit Toni geprügelt hat, ist meine Verwunderung noch größer. Es ist das Schwein von der Party, welches mich beschüttet hat. Was ging hier um alles in der Welt vor sich?
„Du willst mir jetzt aber nicht sagen, dass du was damit zu tun hast?" Stephans Ton schwingt zwischen Professionalität und privater Ebene.
Bevor ich ihm jedoch antworten kann, weisen Lehrer die Schüler lautstark zurecht, dass es hier nichts zu gucken gibt. Na sieh mal einer an, sie können ja doch handeln. Und es wird sogar auf sie gehört. Die Polizei muss auch von einem Lehrer gerufen worden sein.
Mit der neu entstandenen Ruhe schildere ich ihm meine Sicht. „Ich bin gerade erst gekommen. Keine Ahnung, was in mir vorging, dass ich in die Mitte gegangen bin. Aber ich hatte Angst um Toni. Worum auch immer es hier ging."
Ich drehe mich erneut zu meinem Bruder. Und erschrecke. Er sieht ziemlich mitgenommen aus. Doch auch sein Gegner, dessen Namen ich nicht mal mehr weiß, sieht nicht ganz unbeschadet aus.
Stephan lässt mich stehen und geht zu Robin und den zwei Jungs, ich halte mich mit einem kleinen Abstand im Hintergrund. Anni stellt sich zu mir. „Dir ist doch auch nicht mehr zu helfen. Dich einfach in die Mitte zu stürzen. Weißt du, wie gefährlich das hätte werden können?"
Ich wehre ihre Worte mit einem Schulterzucken ab und höre lieber auf das Gespräch zwischen den zwei Parteien.
„Ein RTW kommt gleich, der guckt euch mal an. Toni, ich möchte jetzt von dir wissen, was hier vorgefallen ist. Undu bist still." Der mir halbbekannte Typ guckt etwas unbeeindruckt, hält aber seine Klappe.
„Heiko hat Lügen über Josefine verbreitet. In meinem ganzen Jahrgang wird schon herablassend über sie geredet. Ich konnte das nicht weiter mit anhören. Und immer wieder kommt er mit neuen Sachen über sie, die vorne und hinten nicht stimmen, sie aber in ein schlechtes Licht rücken."
Meine Kinnlade klappt mir runter. Bitte was?

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Einen schönen Morgen, Tag oder Abend noch :)

7 Jahre Pech (Asds) |1/2|حيث تعيش القصص. اكتشف الآن