113 - Genugtuung

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Von einem Knall schrecke ich hoch.
Wo bin ich?
Ah, in meinem Zimmer.
Wie spät ist es?
Mein Blick wandert zur Wanduhr über meiner Tür. 7:20 Uhr? In 40 Minuten beginnnt der Unterricht! Warum hat mein Wecker nicht geklingelt? Und was hat überhaupt wo geknallt?
Ich springe aus dem Bett, kämpfe kurz um mein Gleichgewicht und renne dann die Treppe runter. Papa steht an der geöffneten Haustür.
„Ist was passiert?"
Erschrocken dreht sich Papa um. „Du bist wach?"
„Bei dem Lärm kann man ja nicht schlafen. Und überhaupt - ich muss zur Schule?"
Papa schmunzelt. „Eigentlich haben wir deinen Wecker ausgestellt, damit du ausschlafen kannst. Ich hab dich krankgemeldet."
Ich stutze. „Aber ich muss zur Schule, sonst verpasse ich wieder alles. Und mein Spiegel wird mir schon genug Gelegenheiten geben, nicht in die Schule zu müssen."
„Du und dein Spiegel. Aber zu deiner ersten Frage: da ist nur jemand mit etwas viel Geschwindigkeit gegen eine Mülltonne gefahren. Aber scheint alles gut zu sein."
„Ach so. Dann mache ich mich mal schnell fertig." Damit drehe ich mich um und bin schon auf der zweiten Stufe.
„Aber..."
„Kein aber!", unterbreche ich Papa.

Mit schnellen Schritten gehe ich auf den Schulhof. Nur noch um die Ecke und dann...
„Da bist du ja."
Ich werde gepackt und gegen das Schulgebäude gedrückt. Meine Augen blicken in Nils' Gesicht. Er ist unangenehm nah an mir.
„Was willst du?", frage ich mit erstaunlich fester Stimme. „War die Polizei schon bei dir?"
„Nein", knirscht er.
Meine Augenbrauen schnellen in die Höhe. „Und dann kreuzt du hier auf? Nicht so schlau, findest du nicht?"
Irgendwie verwundert es mich selbst, dass ich keinen Funken Angst verspüre.
Ein warmer Sommerwind weht mir ins Gesicht, vermischt sich mit Nils' Atem, wenn er spricht. Bah.
„Wie konntest du es wagen, mich so zu hintergehen?"
Ich kann es nicht verhindern, ich muss einfach auflachen. „Wer hat uns denn in diese Lage gebracht?"
Er schnaubt, bringt mir somit eine Extraladung seines Atems in mein Gesicht. Lecker. „Du raffst auch einfach nicht, warum ich das gemacht habe, oder?"
„Worauf willst du hinaus? Kannst du mal irgendwie nicht so verschlüsselt reden? Warum du was gemacht hast? Mich als Schuldige dargestellt?"
„Nein, warum ich dir Hilfe angeboten habe?"
Ich zucke in meiner misslichen Lage halb mit den Schultern. Bewegung ist gerade nicht so das, was ich hinbekomme.
„Du, der Unterricht beginnt gleich, wenn ich bitten dürfte."
Er knirscht mit den Zähnen, sein Kiefer spannt sich an. Das ist ein ekelhaftes Geräusch.
„Josefine, du bist wirklich einfach auf den Kopf gefallen. Ich dachte, ihr Mädchen würdet so was schnell mer..."
Weiter kommt er nicht, denn das Klingeln zum Beginn des Blocks schallt durch das Schulgebäude, bahnt sich einen Weg über den Schulhof und kommt auch bei uns an. Aus Reflex ziehe ich mein Knie hoch - so ziemlich die einzige Bewegung, die ich hinbekomme, bei dieser Bedrängnis.
Keuchend lässt er endlich von mir ab und ich kann schnell zum ersten Raum gehen.
Mit nur einer Minute Verspätung lasse ich mich neben Anni fallen.
„In letzter Zeit bist du ziemlich oft knapp dran, was?"
„Später. Du hast so einiges verpasst", raune ich ihr zu.
Sie war gestern nicht in der Schule und hat somit nichts davon mitbekommen, was Nils mit mir abgezogen hat.

Frau Gerlach teilt uns zu Beginn einen Zettel aus. Für die Klassenfahrt Ende des Schuljahres.
Es geht in die Berge und sie sucht noch zwei, drei Elternteile, die mitkommen können, damit wir mehr Betreuer haben. In der elften Klasse? Na ja, wie dem auch sei, vielleicht ist das in den Bergen anders.
Wirklich konzentrieren kann ich mich jedoch nicht.
Zehn Minuten nach Unterrichtsbeginn schneit Nils in den Raum. Er entschuldigt sich ganz lieb und nett bei der Lehrerin, funkelt mich danach wütend an, während er auf seinen Platz zugeht.
„Was war das denn gerade?", fragt Anni verwirrt. Sie scheint den Blick bemerkt zu haben.
„Später, immer noch."
Sie zieht eine Augenbraue hoch, lässt es aber so stehen.
Warum ist er heute zur Schule gekommen? Damit schießt er sich doch nur ein Eigentor, immerhin könnte ich die Polizei rufen. Oder die Polizei kreuzt von allein auf, Moritz hat mir gestern noch gesagt, dass sie ihn nirgendwo auffinden konnten.
Andererseits: Vielleicht will er keinen Raum für den kleinsten Verdacht bei den Lehrern schaffen.
Doch die wohl präsenteste Frage: Was um alles in der Welt meinte er vorhin damit, dass ich nichts raffe?

Von einem energischen Klopfen werde ich aus meinen Gedanken gerissen. Es wird nicht gewartet, bis jemand 'Herein' sagt, die Tür wird danach sofort geöffnet.
Eine Welle an Genugtuung überkommt mich augenblicklich.
Robin und Moritz stehen vorne und gucken zu Frau Gerlach. „Guten Tag, wir brauchen mal den Nils Koch", sagt Moritz, ehe die Blicke der beiden durch den Raum gleiten. Sie bleiben kurz an mir hängen, lächeln mich an und gucken dann weiter.
Allein an Nils' Verhalten erkennen sie ihn.
„Nimmst du bitte deine Sachen und kommst mit uns mit?" Robin unterstreicht seine Aufforderung mit einer Handbewegung.
Nils' guckt mich an, funkelt erneut wütend in meine Richtung, ehe er dann ohne Widerrede wirklich aufsteht.
In mir ist eine kleine Auseinandersetzung entstanden. Sollte ich das von heute Morgen auch noch ansprechen?
Kurz entschlossen räuspere ich mich. „Moritz? Kann ich nochmal kurz mit dir reden?"
Er nickt. „Klar, komm mit raus."

Aus großen Augen starrt Anni mir entgegen. „Das ist nicht dein Ernst."
„Doch, genau so ist das passiert. Nicht anders."
Ihr Mund bleibt offen stehen. „Darauf brauche ich erst mal ein Eis. Und dann das Trampolin."
Ich grinse. „Wer zuerst unten ist!"
Mit einem Satz bin ich von meinem Bett gesprungen und renne weg, Anni dicht hinter mir. Das ist ein Ding, welches wir schon seit der ersten Klasse machen. Plötzliche Wettrennen nach unten in die Küche.
„Mädels, einer von euch fliegt noch hin! Dann ist das Geschrei groß!", ruft Alex aus dem Wohnzimmer, obwohl er uns noch gar nicht gesehen hat. Aber gehört.

Mit unserem Eis wollen wir eigentlich auf die Terrasse, doch Alex hält mich auf. „Moritz hat mir wegen Nils geschrieben."
Da werde ich hellhörig. „Er hat gesagt, ich sei auf den Kopf gefallen. Weißt du jetzt vielleicht, was er damit meinte?"
Alex nickt. „Ich kann dir den Hintergrund seiner Tat sagen." Dann entweicht ihm ein Lachen, obwohl er es unterdrücken wollte.
„Mach das hier mal nicht so spannend. Ich stehe wirklich auf dem Schlauch."

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Einen schönen Morgen, Tag oder Abend noch :)


7 Jahre Pech (Asds) |1/2|Donde viven las historias. Descúbrelo ahora