124 - Explosives Knäuel

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Wie schnell hier alles ablaufen kann. Jeder arbeitet Hand in Hand, um reibungslose Abläufe auf die Beine zu stellen.
Phil befragt mich in einer Routine, die mir fast gruselig erscheint. Doch er ringt sichtlich um Fassung.
"Die Toilette... war mal schöner", schließe ich die Schilderung meiner Symptome ab. Und damit versteht er.
"Ist dir noch schlecht?" Seine Augenbrauen sind zusammengezogen.
"Hör bloß damit auf", winke ich ab. Sofort wird mir eine Nierenschale in die Hand gedrückt. Da kommt doch eh nichts mehr raus.
"Ich werde jetzt mal kurz abtasten. Ganz vorsichtig, okay?"
Bleibt mir was anderes übrig? Ich denke nicht.
Seine Hand legt sich sanft auf meinen rechten Unterbauch, er guckt mich schon fast entschuldigend an, bevor er ganz leicht drückt. Ich verziehe das Gesicht, doch als er den Druck wieder wegnimmt, jammere ich auf.
"Lass das", wimmere ich mit Tränen in den Augen.
"Mhm, habe ich mir schon gedacht. Ich muss ganz kurz ein Ultraschall machen. Aber davor gebe ich dir was gegen die Schmerzen."
Bitte. Mach alles was du willst, solange du mir was gegen diese Schmerzen gibst.

Und kaum versehe ich mich, liege ich im OP. Das lief alles mal wieder so richtig typisch nach dem Spiegel ab.

Als ich das erste Mal nach der Narkose aufwache, bekomme ich gar nicht wirklich etwas mit. Nur ganz schwammig kann ich aufnehmen, dass Papa neben mir sitzt. Das wars.
Erst auf der Kinderstation nach einem ausgiebigen Schlaf werde ich wieder richtig wach.
"Du machst Sachen." Papa drückt meine Hand.
Mein Blick wandert zu ihm, ich bin immer noch ziemlich fertig. "Was ist denn genau passiert?" Irgendwie weiß mein Kopf gerade gar nicht mehr, was nun als letztes passiert ist und welcher Stand nun ist.
Papa seufzt. "Du bist vor der Klinik zusammengebrochen, Phil hat dich untersucht, du wurdest sofort in den OP gebracht. Appendizitis", übermittelt er mir eine wirklich knappe Zusammenfassung.
Doch mein Kopf arbeitet selbstständig weiter. Da war noch was, aber was?
"Tim", fällt es mir wieder ein, was ich auch sofort ausspreche. Es ist wie ein Schlag in die Magengrube. Er ist hier. Und er war es auch schon die ganze letzte Zeit.
Nervös kratzt sich Papa am Kopf. "Ja, Tim. Da war was", murmelt er. "Denkst du, dass du es schaffst, allein hier zu bleiben? Ich meine, du weißt ja", wechselt er das Thema.
Ich zucke schwach mit den Schultern. Bleibt mir ja nichts anderes übrig. "Man wird es sehen. Aber eigentlich... bin ich hier doch in Sicherheit, oder?"
"Natürlich bist du das. Dir wird nichts passieren."
Ich nicke. Etwas anderes geht ja auch nicht. In meinem Alter kann nicht immer einer neben mir sein, weil ich Angst habe, dass ich im nächsten Moment überfallen werde.

Paula, Alex und Phil gucken nach ihren Diensten auch noch kurz bei mir vorbei, doch sie bleiben nicht lange. Mein Körper ist völlig fertig und schreit förmlich nach Schlaf. Den ich auch ziemlich schnell bekomme, nachdem ich noch eine Dosis Schmerzmittel intus habe. Und ich bin mir nicht ganz sicher, ob Birgit mir da nicht auch etwas Schlafmittel untergemixt hat. Damit ich keine Panik bekomme, weil ich allein bin.

"Wie geht's dir?" Tabea mustert mich kritisch. Die Visite ist vorbei, weshalb ich mich frage, warum sie überhaupt nochmal vorbeikommt.
"Ganz okay", sage ich knapp. Physisch habe ich halt ein wenig Bauchschmerzen, gegen die ich aber schon ein leichtes Mittel bekommen habe. Und Psychisch? Das ist eine gute Frage. Meine Gedanken wühlen mich einfach nur noch auf.
"Franco ist jetzt entlassen. Er fährt kurz zu euch und kommt dann wieder vorbei", informiert Tabea mich, doch ich habe das Gefühl, dass sie mir eigentlich etwas ganz anderes sagen will.
"Kommt da noch ein Aber?"
Sie schüttelt den Kopf. "Vor der Tür steht jemand, der mit dir reden möchte. Darf ich ihn reinholen?"
Ich schlucke, doch es bildet sich trotzdem ein dicker Kloß in meinem Hals. Weiß ich doch zu gut, um wen es geht.
Tabea nickt langsam. "Er scheint wirklich großen Redebedarf zu haben."
Wie erstarrt fixiere ich einen unbestimmten Punkt an der Wand. Kann sein. Aber den habe ich nicht. Oder doch? Ich weiß es nicht, ich weiß gar nichts.
Ich fühle mich, als hätte ich in der wichtigsten Prüfung meines Lebens ein Blackout. Dabei geht es hier um nichts. Oder vielleicht... Nein, es geht hier um nichts. Tim kann sich den Mund fusselig reden. Es ist mir egal.
Es ist dir nicht egal.

Sie wartet nicht auf eine konkrete Antwort, verlässt einfach das Zimmer, wechselt ein paar leise Worte mit jemandem vor der Tür. Und dann steht er plötzlich da.
Mein Blick will sich nicht von ihm losreißen. Doch ich zwinge mich und fixiere erneut einen Punkt an der Wand mir gegenüber.
"Hey."
Mir liegt selbst ein 'Hey' auf der Zunge, doch ich schlucke es runter.
"Josefine... Ich... Ja, ich bin froh, dich mal wieder zu sehen", bringt er stotternd hervor.
Ich bin nicht froh, dich zu sehen.
Wut bildet sich in mir. Und Trauer. Verzweiflung? Alles mögliche verbindet sich in meinem Bauch zu einem einzigen großen Knäuel und scheint explosionsbereit zu sein.
"Kommt aber sehr früh", schnaube ich. Und muss leider feststellen, dass meine Stimme wie ein wehender Grashalm klingt. Ganz und gar nicht fest.
"Ich wollte schon die ganze Zeit mit dir reden, wusste aber nicht, wie", macht er unbeirrt weiter.
Ist er auf den Kopf gefallen und hat meine Adresse vergessen? Kann ja mal passieren.
Dass er mich nicht mehr über mein Handy erreichen konnte, verstehe ich. Aber es hätte etliche andere Möglichkeiten gegeben.
Meine Hände zittern, halten sich gegenseitig fest, sie krallen sich beinahe ineinander und suchen verzweifelt nach Halt.
Ich habe keine Ahnung, wie ich mit dieser Situation umgehen soll.
Wie?

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Einen schönen Morgen, Tag oder Abend noch :)

7 Jahre Pech (Asds) |1/2|Where stories live. Discover now