50 - Verschwiegene Verletzung

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Ich schließe für eine Sekunde die Augen und atme tief durch. Diese ganzen Gaffer machen mich nervös. Es ist nicht mal ein Lehrer vorbeigekommen, der sie hätte wegschicken können. Geschweige denn hat jemand einen geholt. Das ist ja auch viel zu viel verlangt, verstehe schon. Wie unfähig kann man eigentlich sein?
Mein erster Blick, nachdem ich meine Augen wieder geöffnet habe, gilt Anni, die bereits ihr Handy am Ohr hat und mit der Leitstelle redet. Immerhin kann man sich hier auf eine Person verlassen.
Verwundert bin ich über das Bild, welches sich mir bietet, als ich zum Mädchen gucke. Ich schätze mal, dass sie Valery heißt, laut Ruf des anderen Mädchens. Aus dem 11. Jahrgang, da bin ich mir sicher. Jedenfalls zittern ihre Lider und sie kommt allmählich wieder zu sich.
„Oh Gott, Valery, da bist du ja wieder", kommt erneut vom gleichen Mädchen, mit der noch immer so anstrengenden Stimme. Sie ist schon voller Elan auf dem Weg, sich zu ihr zu hocken, doch Anni hält sie auf. Zum Glück.
„Hey Valery, beweg dich nicht, bleib ganz ruhig liegen." Ich stabilisiere mit den Händen ihren Kopf. Was bin ich gerade froh, dass mich die Jungs so oft auf solche Fälle vorbereitet haben.
„Weißt du denn, wo du bist?", frage ich ruhig, die Schüler um mich herum ausgeblendet.
„In der Schule?" Ihre Stimme ist schwach, doch ich verstehe sie.
„Ja. Weißt du denn auch, was passiert ist?"
„Nein", kommt unsicher zurück.
„Okay. Die Rettungskräfte sind gleich da, dann wird dir geholfen."
Anni ist draußen, um den Rettungsdienst einzuweisen. In der Zeit unterhalte ich mich mit Valery ein bisschen. Die Betreuung des Patienten ist enorm wichtig, doch selbst da gucken Menschen oft sofort weg. Dabei zählt das schon unter erste Hilfe leisten.

Die Zeit zieht sich im Gefühl wie ein Kaugummi, obwohl es eigentlich nur sechs Minuten dauert, bis es ordentlichen Tumult gibt.
„Rettungsdienst, verschwindet jetzt hier mal alle. Aber sofort!"
Schon beim ersten Wort habe ich Alex' Stimme erkannt. Und er kann richtig wütend werden, wenn es um Gaffer geht. Und damit meine ich so wirklich wütend.
Als sich die Masse ohne zu zögern auflöst und ich sichtbar bin, sehe ich sofortige Erleichterung in ihren Gesichtern. Mit ihren Gesichtern meine ich Papas, Alex', Jackys und Flos. Nur das Mädchen, welches ich als Valerys Freundin einschätze, bleibt da und schildert den Unfall.
„Ein Glück gabs hier doch noch kompetente Hilfe", flüstert Alex neben mir und übernimmt den Kopf.
Anscheinend hat Anni gar nichts gesagt gehabt.
„Danke, dass ihr euch gekümmert habt", sagt Papa und lächelt mich kurz an, ehe er sich an die Arbeit macht.
Ich hebe meine rechte Hand, um mir eine Haarsträhne hinters Ohr zu streichen. Im Augenwinkel sehe ich Farbe an meinem Verband. Besser gesagt rote Farbe. Aber warte, das geht doch gar nicht. Scheiße. Mir schwant, was passiert ist. Und mit diesem Gedanken fühle ich auch ein Ziehen an der Naht. Sie muss aufgegangen sein.
Schnell mache ich meine Hände hinter den Rücken und überlege, wie ich jetzt am besten so unauffällig wie nur möglich hier wegkomme. Sie merken doch sonst sofort, dass etwas ist. Aber ich kann nicht schon wieder im Unterricht fehlen.
Das Vorklingeln kommt zur perfekten Zeit.
„Wir müssen dann", sage ich schnell, greife mit der linken Hand nach meiner Tasche und verschwinde. Etwas überrumpelt folgt mir Anni. Im Nachhinein fällt mir auf, dass es eigentlich gar nicht auffälliger ging. Super gemacht.

Im Raum lasse ich mich auf den Platz fallen und probiere, unauffällig auf meinen Verband zu gucken, in der Hoffnung nicht allzu viel Blut zu sehen.
Doch leider bleibt mein Blick bei Anni nicht unbemerkt. „Sag mal, wieso hast du denn nichts gesagt?", fragt sie ziemlich vorwurfsvoll, während sie auf meine Hand starrt.
Ich will zu einer Erklärung ansetzen, doch es klingelt zur Stunde.
„Ich kann nicht ständig fehlen. Reicht doch, wenn ich das nach der Schule kläre", flüstere ich ihr zu, während Frau Schmidt schon munter mit dem Unterricht loslegt.
Anni schüttelt verständnislos den Kopf. „Noch sind sie da."
Ich weiß, was sie damit sagen will. „Nein heißt nein. Ich würde mich jetzt gern auf den Unterricht konzentrieren." Ich drehe mich von ihr weg, jedoch nicht ohne nochmal einen Blick auf meine Hand zu werfen. Es wird mehr Blut.
„Ich muss auf Klo", murmelt Anni, hebt ihre Hand und wird direkt rangenommen. „Kann ich auf Toilette?"
„Es war gerade Pause", antwortet Frau Schmidt weniger begeistert.
„Es ist dringend", beharrt Anni und darf letzten Endes gehen. Dass sich manche Lehrer damit immer so haben müssen, nervig.

Der Zeit nach ist Anni nicht einfach auf Toilette gegangen. Seit fast zehn Minuten ist sie weg.
„Josefine, möchtest du nicht mal nach ihr gucken gehen? Das kommt mir doch etwas komisch vor." Frau Schmidt guckt mich besorgt an.
Doch wenn man vom Teufel spricht. Die Tür geht auf und Anni kommt, jedoch nicht allein. Alex steht neben ihr, der im Türrahmen stehen bleibt und mich erwartungsvoll anguckt. Meine Hand, die kurz in seinem Blickfeld gewesen sein musste, verstecke ich schnell unter dem Tisch. Leider zu spät.
„Dürfte ich Josefine mal kurz mit nach draußen nehmen?", fragt Alex da auch schon meine Lehrerin. „Sie hat ein kleines medizinisches Problem."
„Habe ich nicht", wehre ich direkt ab und gucke Anni mit einem bösen Blick an. Mir kam das sofort spanisch vor, dass sie auf Toilette möchte.
Frau Schmidt nickt, auch wenn sie ziemlich verwirrt aussieht.
Alex seufzt. „Du musst es nicht leugnen, Anni hats mir erzählt." Erstaunlich ruhig ist er. Noch.
„Nein, es ist alles gut bei mir. Bis dann, wir sehen uns." Ich drehe mich weg und gucke aus dem Fenster. Das war dann wohl doch etwas zu viel des Guten. Wieso bin ich eigentlich auch so dämlich und denke, ihn damit abwimmeln zu können?
„Josefine Fabiano, du kommst jetzt sofort mit mir raus. Zwinge mich nicht, dich eigenhändig zu holen. Du weißt, dass ich das ohne Probleme schaffe. Ich dachte, du wärst in den richtigen Momenten vernünftig."
Peinlich. Alle Blicke liegen auf mir. Allmählich erhebe ich mich und gehe mit vorsichtigen Schritten auf ihn zu. „Sei froh dass ich hier bin. Franco wäre direkt ausgetickt", nuschelt Alex mir nun doch wieder etwas versöhnlicher zu und schließt die Tür hinter uns.

7 Jahre Pech (Asds) |1/2|Where stories live. Discover now