80 - Sturz von Wolke sieben

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Freitag. Letzter Schultag. Zeugnisausgabe. Und wir bekommen unsere Prüfungsergebnisse.
„Mir ist kotzübel." Nervös knete ich meine Hände, wackele mit meinen Beinen, erleide einen Schweißausbruch. Von meinem Herzen will ich gar nicht erst reden. Ich fühle meinen Puls, gucke auf die Uhr. Fünfzehn Sekunden mal vier. Puls von 120.
„Jetzt beruhige dich mal. Mir müsste kotzübel sein. Deine Ergebnisse werden wieder nicht zu übertreffen sein", raunt Anni.
„Ist wirklich so. Wenn sich hier einer keine Sorgen machen muss, dann du", kommt es auch von Leon, der das wohl gehört hat und sich zu mir umdreht.
Die Zeugnisse und Prüfungsergebnisse werden nach Klassenliste verteilt. Fabiano. Zum Glück vorn im Alphabet.
„Josefine?" Frau Gerlach lächelt mich offen an.
Mein Atem stockt, ich halte die Luft an. Auf zittrigen Knien gehe ich nach vorn. Wieso sind mir Noten auch so verdammt wichtig?
„Ja, was soll man dazu noch sagen? Halte deine Leistungen so, dann kann nichts schief gehen." Grinsend drückt sie mir mein Zeugnis in die Hand. „Und herzlichen Glückwunsch zu deinen bestandenen Prüfungen. War aber ganz knapp." Frau Gerlach zwinkert und drückt mir das nächste Blatt in die Hand. Ich traue mich gar nicht, drauf zu gucken.
Ein kurzer Blick - und mir klappt die Kinnlade runter. Mein Herz stolpert.
„Mal wieder alles eins?", fragt Ben durch den Raum.
Wortlos gehe ich auf meinen Platz zurück.
„Und?" Anni nimmt sich beide Blätter. „Ach komm, das ist doch unmöglich." Sie nimmt die Ergebnisse runter und überfliegt mein Zeugnis. „Ah ja, auch noch einen Durchschnitt von 1,2? Also wirklich, das hättest du besser machen können."
In Mathe, Deutsch und beiden mündlichen Prüfungen habe ich eine eins. Nur in Englisch schriftlich eine zwei.
Meine Augen visieren als erstes die Fehltage an. Oha. Das sind viele. Aber bei meinem Glück ja kein Wunder.
Erleichtert versinke ich weiter in meinem Stuhl. Langsam erholt sich mein Herz von diesem Marathon.
„Und du dachtest wirklich, dass das nicht so aussieht?" Anni grinst mich kopfschüttelnd an.

„Fine?", ruft Phil von unten.
„Ich komme!" In rekordverdächtiger Zeit renne ich die Treppe runter und falle Anni in die Arme.
„Öhm...okay." Phils Augenbrauen kratzen praktisch an seinem Haaransatz.
„Hast du alles mitgebracht?", frage ich und löse mich wieder von ihr. Phil hat den Flur schon wieder verlassen.
„Natürlich." Sie zuckt mit ihrer Schulter, über der eine große Sporttasche hängt.
„Super." Ich greife nach ihrer Hand und schleife sie nach oben. Ein flüchtiges „Hallo" geht von ihr ins Wohnzimmer zu Paula. Doch dafür lasse ich ihr keine Zeit.

Sie leert ihre Tasche auf meinem Bett aus. Mindestens vier verschiedene Outfits purzeln aus dieser. Dazwischen etliche Schminkutensilien, ein Glätteisen und ein Lockenstab.
„Du musst mich beraten. Ich konnte mich nicht entscheiden." Verzweifelt beißt Anni sich auf ihre Unterlippe.
„Keine Sorge, wir schaffen das. Wie lang bleibt uns?"
Sie zückt ihr Handy aus der Hosentasche. „Es ist um vier. In fünf Stunden beginnt das da, in viereinhalb müssen wir los. Scheiße, das heißt, wir müssen uns beeilen!"
Ich gebe einen unterdrückten Lacher von mir, der sich eher wie ein unterdrückter Nieser anhört. „Das schaffen wir locker, ich glaube an uns. Schmeiß dich ins erste Outfit, ich hole uns Trinken."

Mit zwei Gläsern Orangensaft gewappnet, komme ich wieder ins Zimmer. Anni steht vor dem Spiegel. Sofort werde ich von Pailletten geblendet. „O Gott, hast du auch was freundlicheres für meine Augen?"
„Pff." Sie dreht sich von meinem Spiegel weg und kramt in meinem Kleiderschrank. Also anscheinend nicht.

Geduldig beobachte ich Anni dabei, wie sie sich schminkt. Allein das Raussuchen unserer Outfits hat anderthalb Stunden gedauert. Untypisch für mich, nicht jedoch für Anni.
Nachdem sie mit ihrem Meisterwerk im Gesicht fertig ist, dreht sie sich zu mir. „Jetzt du."
„Nee, wirklich nicht. Ich bin nicht der Typ für Schminke, das weißt du."
Sie schiebt ihre Unterlippe vor. „Komm schon, nur ein bisschen Mascara und Glitzerlidschatten."
Sie hat gewonnen.
Danach folgen noch unsere Haare, die wir uns gegenseitig locken.
„Wow, du siehst klasse aus! Kein Wunder, dass Tim nur Augen für dich hat", sagt Anni und zieht Kreise um mich herum, um mich von allen Seiten zu sehen.
„Leon wird spätestens heute den ersten Schritt gehen. Er kann dich heute nicht abservieren", bin ich mir sicher.
„Schluss mit deinen Tagträumen. Wir haben keinen Kontakt."
Ich zucke gleichgültig mit den Schultern. „Kontakt, wer braucht den heute noch?"
„Ich."

Phil fährt uns zu dem gemieteten Raum, der etwas weiter weg ist. Und auf diesem Weg geraten wir in einen ordentlichen Stau.
„Super", schnaube ich und lehne meinen Kopf an die Fensterscheibe.
Phil guckt mich durch den Rückspiegel an.
„Wenn was ist, ruft ihr einen von uns an. Wenn ihr da weg wollt, ruft uns auch an. Und nicht zu viel trinken, kennt eure Grenzen. Wartet, gibt es da überhaupt Alkohol?"
„Natürlich wird es welchen geben. Und ja, wir wissen das alles." Ich werfe Anni einen Blick zu, die gerade dabei ist, in ihrem schwarzen Handybildschirm ihr Aussehen zu checken. Wie alle fünf Minuten.

Etwas verspätet kommen wir an, ignorieren Phils runtergeratterte Worte über Alkohol und gehen zum Gebäude.
Die Launen sind gut - klar, Sommerferien. Und eine Hürde ist geschafft.
Wir müssen uns kurz orientieren. Die Umgebung ist in ein rotes Licht getaucht. Unterhalten geht bei dieser Lautstärke nur schlecht.
„Wollen wir uns Trinken holen?" Anni deutet auf die Bar. Ich nicke und wir machen uns auf den Weg. Sie nimmt irgendein Gemisch, was ich mit erhobenen Augenbrauen kommentiere. Ich bleibe bei einer Limo.
Da kommen auch schon ein paar Mädels aus unserer Klasse, mit denen wir die nächste Zeit verbringen.
Okay, ich bin Anni dankbar, dass sie unbedingt kommen wollte. Es ist wirklich ein tolles Gefühl hier.

Ein Gespräch über den neuesten Tratsch geht gerade dem Ende zu, als Anni an mein Ohr kommt. „Wollen wir mal nach deinem Prinzen gucken?"
Meine Stirn legt sich in Falten. „Das sollte doch ohne ihn sein." Sie antwortet nicht, guckt mich nur bedeutungsvoll an. Ich verstehe. Leon wird auch bei ihm sein.
„Nichts wie auf", grinse ich.
Sie hakt sich bei mir unter und zusammen durchsuchen wir das Gebäude.
„Wo sind die denn abgeblieben?", frage ich, während wir uns durch eine Gruppe an Mädchen einer anderen Klasse quetschen.
Und dann, in der hintersten Ecke, werden wir fündig. Wir haben Tim entdeckt. Nicht mit Leon, aber auch nicht allein.
Es ist, als hätte mir jemand eine Faust in meine Magengrube verpasst. Eine äußerst starke Faust.
Ich wurde soeben von meiner Wolke sieben geschubst.
„Das ist er bestimmt nicht", sagt Anni schnell und will umdrehen, doch ich bleibe eisern stehen.
„Ich bin nicht blöd."
„Guck da nicht hin. Komm." Sie hält mir eine Hand vor meine Augen und will mich wegzerren. Doch ich bin wie gelähmt.
Zitternd greift meine Hand nach meinem Handy und wählt Phils Nummer, um ihm eine Nachricht zu schreiben.

>>Du kannst kommen, die Party ist gelaufen.<<

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Einen schönen Morgen, Tag oder Abend noch :)


7 Jahre Pech (Asds) |1/2|Where stories live. Discover now